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2001

Heinz Rudolf Kunze, 44, Rocksänger, trug schon als Schüler eine Brille. Im Januar erschien Halt, sein 21. Album.

entschuldigung

"Herr Kunze, wir möchten uns dafür entschuldigen, daß Sie eine Brille tragen müssen. Das paßt doch gar nicht zu einem Popstar."

HRK: Ist das nicht ein Klischee?

SZ: John Lennon, Elton John – und dann? Allzu viele bebrillte Rocker gibt es nicht.

HRK: Also, ich sehe häufiger die Oasis-Brüder mit Brille abgelichtet oder neuerdings sehr nachdenkliche Fotos des reifen Marius mit Brille.

SZ: Im Popgeschäft sind eher Kontaktlinsen üblich.

HRK: Das habe ich nie probiert, dafür gibt es auch einen konkreten Grund. Ich bin 1985 mit der Welthungerhilfe durch die Sahara gefahren, da habe ich erlebt, wie die Leute leiden, wenn Dreck zwischen Auge und Linse gerät. Nun bin ich nicht täglich in der Sahara, zugegeben, aber das hat mich doch sehr abgeschreckt.

SZ: Sie haben den Spieß umgedreht und benutzen die Brille als Imagefaktor.

HRK: Von allein wäre mir das gar nicht in den Sinn gekommen. Ich war schon ein paar Jahre im Geschäft, als ich darauf aufmerksam gemacht wurde, daß meine Brille den Leuten auffällt. Erst danach habe ich angefangen, die Modelle zu wechseln und auch mal etwas ausgefallenere zu nehmen.

SZ: Wieviele haben Sie im Lauf der Jahre getragen?

HRK: Dreißig, maximal vierzig.

SZ: Elton John hatte eine Brille mit Pfauenfedern und eine, die Funken sprühen konnte. Wäre das was für Sie?

HRK: Bei den letzten Tourneen hatte ich auch völlig wahnsinnige Geräte: eines mit der Freiheitsstatue drauf, eines mit Vampiren. Das war schon ziemlich abgedreht.

SZ: Aber letztlich hilft alles nichts: Eine Brille ist total unsexy, oder?

HRK: Mein Publikum besteht zu 70 Prozent aus Frauen. Ich weiß nicht, ob meine Brille sie davon abhält, gewisse Gefühle zu entwickeln. Vielleicht führt die Brille allerdings dazu, daß sie ernsthaftere Absichten hegen.

SZ: Das meinen wir ja: Ihre Brille erinnert an Ihre Zeit als Student der Germanistik.

HRK: Die ich zur Zeit habe, erinnert eher an Container-Alex.

SZ: Ohne Brille würden Sie bestimmt nicht als Deutschlands einziger Rock-Intellektueller gelten.

HRK: Das ist doch nur ein krampfiges Schlagwort. Wenn ich in Talkshows zu Gast bin, wird bei der Ankündigung meines Namens "Pop-Intellektueller" gesagt, ganz kokett und salbadernd, aber gefragt werde ich dann: "Schwitzt man eigentlich im Scheinwerferlicht?" Zu allen anderen Themen, zu denen ich als normaler Zeitgenosse vielleicht eine vernünftige Meinung haben könnte, werde ich nicht eingeteilt, trotz Brille.

SZ: Wie viele Dioptrien haben Sie eigentlich?

HRK: Nicht viele. Eins Komma irgendwas.

SZ: Da könnten Sie auch oben ohne gehen.

HRK: Ja, aber die Brille gehört einfach zu mir, warum sollte ich sie weglassen? Ich hab's ja ein einziges Mal auf einem CD-Cover gemacht, in der verstiegenen Hoffnung, die Leute würden merken, das etwas fehlt.

SZ: War das nicht der Fall?

HRK: Nee.

SZ: Eine Ihrer Platten heißt sogar "Brille".

HRK: Das ist allerdings ein erfundener Spitzname. Mich hat als kleiner Junge niemand "Brille" genannt.

SZ: Sie sind also nicht gehänselt worden?

HRK: Ganz im Gegenteil: Die wüstesten Gestalten haben mich in Schutz genommen. Ich war mit einem befreundet, der später in Spanien wegen Juwelenraub im Knast gesessen hat. Der war schon in der Schulzeit zum Finsterling veranlagt, aber mich hat er oft vor Prügeln bewahrt.

SZ: Dann hat Ihnen die Brille im Lauf der Jahre eher genützt als geschadet?

HRK: Ich habe mir die Frage nie gestellt, ob mir eine Brille hätte schaden können. Seit ich in die sechste Klasse ging, hat sie dazu gehört. Inzwischen sagt die Augenärztin allerdings, daß meine Sehschwäche von einer Art ist, die im Alter besser wird.

SZ: Dann haben Sie ja noch etwas, worauf Sie sich freuen können.

HRK: Ja, wenigstens das.

Johannes Waechter, Süddeutsche Zeitung Magazin, 15. Juni 2001

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