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Besser als der Rest
HEINZ RUDOLF KUNZE – Freiburg/Breisgau – Jazzhaus, 29.4.2001
Ein altes Kellergewölbe, klein und urgemütlich, mit Platz für etwa 500 Leute. Das Jazzhaus von Freiburg, tief im Südwesten Deutschlands. Die enge, schmale Bühne verspricht hautnahen Kontakt zum Künstler. Der heißt heute Heinz Rudolf Kunze und ist der vielleicht beste Texter aller deutschsprachigen Songpoeten. Doch auch nach 20 Alben und ebenso vielen Jahren ausgiebigen Tourens hat er immer noch mit dem Nord-Süd-Gefälle zu kämpfen. In Hamburg spielt er vor ein paar tausend, hier in Freiburg vor ein paar hundert Fans. Diese zählen aber dafür zur Kategorie "eingefleischt" und bereiten ihm einen mehr als warmen Empfang. Doch auch die Bühnentemperaturen sollten noch in schwindelerregende Höhen steigen. Schlagzeuger C.C. Behrens hat mit seinem schicken Schottenröckchen ja für ausreichende Luftzufuhr von unten vorgesorgt. Doch Kunze selbst mit wechselnden Kopfbedeckungen wie Hut und verschiedenen Käppis verbraucht im Laufe des langen Abends noch etliche Handtücher für den ehrlichen Schweiß.
"Fühlst du das, was ich dir sagen will?" fragt er gleich zu Beginn, und wir fühlen es. Es ist der erste von insgesamt neun neuen Songs aus dem aktuellen Album HALT, das Kunze auf der Höhe seines Schaffens zeigt. Die restliche Songauswahl führt die begeisterten und äußerst textkundigen Zuhörer auf eine Zeitreise durch eine 20 Jahre lange, große Karriere, die wir Österreicher sträflicherweise an uns vorbeigehen ließen, von einigen Exoten (wie mich) mal abgesehen. Wir "Ösis" vergöttern zwar einen Grönemeyer für sein simpel gestricktes "Ich hab dich lieb", doch ein genialer Wortspieler wie Kunze ist uns nun doch etwas zu abstrus. Die hohe Kunst der treffenden Wortwahl beweist Heinz Rudolf Kunze bei seinem Freiburger Konzert auch in den eingestreuten Zwischentexten voller Skurrilitäten. So kommen die deutschen Radios als Gehirnvernichtungsmaschinen weg, "voller Abwechslung – die Tina von gestern, der Turner von heute". Oder Kunze läßt in einem Traum die Beatles wie Bleifiguren schmelzen und trinkt deren Flüssigkeit, um danach lapidar festzustellen: "Jetzt bin ich die Zukunft des Rock'n'Roll". Daß sie rocken können, beweisen Kunze und seine Band vor allem gegen Ende des Konzerts mit zupackenden Songs wie Stirnenfuß oder Ich will es wissen. Nicht nur Heiner Lürig als unaufdringlich agierender und gerade deshalb wirkungsvoller Gitarrist beweist sich dabei als Meister seines Fachs. Auch Kunze selbst beeindruckt als Solist. Doch ähnlich der durchwegs ruhigeren Gangart seines neuen Albums HALT präsentiert Kunze auch den Großteil des Konzertprogramms eher mit feiner Klinge. Vor allem die Klavierballaden Stein und Wo warn wir stehngeblieben? lassen Herzen übergehen wie Flußläufe nach der Schneeschmelze. Auch die persönlichen Lebensanalysen Brille und Jesus Tomahawk sind absolute Highlights.
Nach Ende des offiziellen Programmteils singt erst mal das Publikum. Mit lauthals intonierten Wenn du nicht wiederkommst-Chören holen sie den sichtlich gerührten Künstler für 6 Zugaben immer wieder auf die Bühne zurück. Bei Aller Herren Länder wird so ganz nebenbei noch das eine oder andere Rockzitat von Neil Young oder den Stones verbraten. Und mit Romanze, dem ältesten Kunze-Song des Abends, findet ein denkwürdiges Konzert nach zweieinhalb Stunden sein würdiges Ende. (Über-)Lebensprinzip des jungen Kunze war mal: "Du mußt besser sein, Brille". Nicht erst seit dem Konzert in Freiburg wissen wir: "Du bist besser, Heinz, besser als der Rest!"
Michael Puchner, Musicmagazine X-Act, Juni 2001
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