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2001

Kunze: Wir leben in einem sehr spannerartigen Zeitalter.

 

 

Anmerkung der Webverstärkung:

Auf dieser Homepage wird Heinz Rudolf Kunze nicht mit den genannten Größen verglichen, sondern nur erwähnt, daß Kritiker ihn mit diesen Personen vergleichen.

"Ich werde immer abgeschöpft wie ein IM"

Südthüringer Zeitung und Freies Wort präsentieren: Heinz Rudolf Kunze macht Halt – in Dorndorf

Am 12. Mai macht Heinz Rudolf Kunze HALT im Dorndorfer Kulturhaus. Beate Funk sprach mit ihm über seine neue CD, Spanner, Joschka Fischer und Leute, die den Deutschrocker mit Tucholsky und Led Zeppelin auf eine Ebene stellen.

Frage: Was erwartet den Konzertbesucher in Dorndorf?

Heinz Rudolf Kunze: Größte Teile der neuen Platte. Nicht alle 13 Stücke, ich schätze mal neun bis zehn. Genau kann man das erst bei den Proben entscheiden. Und noch mal mindestens die gleiche Anzahl Gemisch aus Älterem. Da wir fast jährlich auf Tournee sind, ist es mir wichtig, daß wir bei den alten Sachen auch 'ne andere Mischung finden als beim letzten Mal.

Daß die Hörer, die die letzten zwei, drei Tourneen verfolgt haben, nicht gelangweilt werden. Ich glaube, daß wir eine ziemlich treue Kundschaft haben. Da kommen doch sehr viele Leute Jahr für Jahr. Und die sollen dann zumindest bei den alten Titeln welche bekommen, die sie schon ganz lange nicht mehr gehört haben.

Frage: Der Titelsong Ihrer neuen CD Halt richtet sich gegen die neuen brauen Umtriebe in unserer Gesellschaft ...

Heinz Rudolf Kunze: Es richtet sich gegen jedes panische Verhalten gegenüber andersartigen Menschen. Es gibt auch sehr viele, die genauso denken, aber ihre Wut auf alles Andersartige in sich hineinfressen.

Frage: Es ist noch nicht lange her, daß Ihnen vorgeworfen wurde, sie leisteten dem deutschen Nationalismus Vorschub, indem Sie eine Quotenregelung gegen ausländische Musik im deutschen Rundfunk forderten ...

Heinz Rudolf Kunze: Ich habe keine Quotenregelung gegen ausländische Musik gefordert. Sondern ich habe gefordert, daß deutsche Popmusik – und zwar spannende und interessante – wie von Tocotronic, den Sternen oder Kreidler (die singen nicht mal), eine faire Chance hat gegenüber der Power der Angloamerikaner, mit der deren Produkte in unseren Markt gedrückt werden. Genau wie es im Kino auch der Fall ist. Ich könnte eigentlich immer noch abkotzen, wenn ich mir vorstelle, daß es wirklich Idioten in unserem Land gibt, die so eine Initiative mißbrauchten, um sich aufzuplustern und zu sagen: 'Wer so was sagt, ist rechts'. Das ist eine solche Mischung aus Infamie und Dämlichkeit, daß man eigentlich darüber nicht reden sollte.

Frage: Sie haben den Beruf des Lehrers erlernt und wurden Rockstar. Joschka Fischer war linker Straßenkämpfer und ist heute Außenminister. Was sagen Sie zu dem plötzlichen Wirbel um seine Vergangenheit?

Heinz Rudolf Kunze: Abgesehen davon, daß ich Joschka Fischer für einen katastrophal schlechten Außenminister halte, immer schon gehalten habe, finde ich jetzt diese Vorgänge doch relativ lächerlich. Es geht um eine mögliche Falschaussage zu einem absolut nebensächlichen Thema. Mein Gott, wer kann erwarten, daß jemand sich an drei Tage vor 27 Jahren genau erinnert, wenn es nicht um etwas wirklich Wesentliches geht? Und das ist ja hier nicht der Fall.

Frage: In So tun als ob besingen Sie einen Spanner. Was hat Sie zu diesem Text inspiriert?

Heinz Rudolf Kunze: Die Musik, muß ich sagen. Die Musik war zuerst fertig, und die hatte für mich so was Schlüpfriges. Ich weiß nicht, ob das beim Schreiben eine Rolle gespielt hat: Hinterher habe ich mich dann mit Heiner Lürig darüber unterhalten, dem Komponisten von diesem Stück.

Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß einem so etwas heute in den Sinn kommt. Weil wir ja in einem sehr spannerartigen Zeitalter leben, wo große Teile der Nation abends nichts Besseres zu tun haben, als anderen Leuten beim Duschen zuzugucken und in irgendwelche Container hineinzuspionieren. Da liegt es relativ nahe, daß einem so was einfällt.

Frage: Das paßt ja auch zu Ihrem Song Talk Show Schmutz. Sehen Sie sich so was öfter an?

Heinz Rudolf Kunze: Nein. Nicht immer wieder. Es reichen mir Stichproben. Aber gelegentlich muß ich es schon sehen, auch wenn es mich abstößt. Ich muß ja zumindest ein bißchen Bescheid wissen, was die Leute so umtreibt im Lande. Da bleibt einem eine gewisse Recherche nicht erspart.

Frage: Besitzen Sie einen Fernseher?

Heinz Rudolf Kunze: Ich besitze fünf Fernseher. Weil ich eine Familie habe, und jeder was anderes sehen will.

Frage: Die Kinder entscheiden alleine, was sie sich ansehen?

Heinz Rudolf Kunze: Ja. Da bin ich eigentlich ziemlich liberal. Weil ich doch darauf setze, daß sie von alleine 'ne gewisse Auswahl treffen.

Frage: Auf Ihrer Homepage werden Sie mit musikalischen Größen wie The Who, Led Zeppelin oder Velvet Underground gleichgesetzt – literarisch mit Rilke, Tucholsky und Ringelnatz. Sehen Sie sich selbst so?

Heinz Rudolf Kunze: Nein. Es fehlen Beethoven und Goethe. Nein: Ich habe nur gesagt, daß mir diese Leute was bedeuten. Also, ich habe mich nicht auf den gleichen Sockel gestellt. Vielleicht tun das manche Fans. Dafür kann ich dann nichts. Meine Homepage – da bin ich nur ein Zuträger. Das wird in Berlin gemacht von einem Freundeskreis. Da ist so ein Hardcore-Fankreis, die das machen.

Wir telefonieren regelmäßig und tauschen Informationen aus. Ich werde sozusagen immer abgeschöpft wie ein IM, nach Neuigkeiten. Die werden dann da reingestellt. Manche Werturteile, die da vorkommen, sind sicherlich schmeichelhaft gemeint, stammen aber nicht original von mir. Aber klar, ich finde diese Leute gut, sonst würden sie nicht erwähnt werden.

Frage: Hat deutsche Rockmusik – mit Blick auf den Nachwuchs – eine Zukunft?

Heinz Rudolf Kunze: Der deutsche Nachwuchs in der Musik hat die gleichen Probleme und die gleichen Chancen wie in England oder anderswo. Das ist überall schwierig. Aber, ich denke, auch überall möglich.

Frage: Inwiefern schwierig?

Heinz Rudolf Kunze: Weil es durch die Mediendiktatur, in der wir geradezu leben, sehr schwierig geworden ist, unformatiert und eigensinnig Erfolg zu haben. Aber das ist überall auf der Welt so. Und trotzdem ist ja in den letzten Jahren hier in Deutschland wieder einiges Erfreuliches passiert. Seien es die neuen Elektroniker wie Kreidler, seien es Gitarrenbands wie Tocotronic, oder sei es der große Hip-Hop-Bereich. Da ist doch einiges in Bewegung. Ich glaube schon, es geht irgendwie weiter. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, daß die populäre Musik in absehbarer Zeit aufhört.

Frage: Was halten sie davon, wenn deutsche Bands englisch singen?

Heinz Rudolf Kunze: Das finde ich zum größten Teil lächerlich. Denn ich arbeite ja auch als Übersetzer aus dem Englischen. Also ich kann Englisch. Ich kann es richtig. Ich habe es gelernt. Und manche deutsche Bands stolpern sich ein Englisch zusammen, über das man sich in Amerika und England nur totlacht.

Frage: Gibt's da Beispiele?

Heinz Rudolf Kunze: Ich werde mich hüten.

Beate Funk, Südthüringer Zeitung, 7. März 2001

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