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2001

Beschäftigt sich auch auf seinem neuen Album Halt mit bekannten Themen: der Rockmusiker Heinz Rudolf Kunze.

"Es kommt Zugluft in unser Land"

Heinz Rudolf Kunze über die 68er, Talkshows und den Verfall der Sprache im Fernsehen

Der Rockpoet spricht auch auf seinem neuen Album, Halt eine deutliche Sprache. Am 20. April startet der 44-Jährige seine Deutschlandtour in Cloppenburg.

Frage: Auf Ihrem neuen Album geht es um altbekannte Kunze-Themen, zum Beispiel ums Bequemwerden ...

Kunze: ... das ist sicher ein roter Faden bei mir. Dadurch ermahnt man sich auch, die Neugier auf das zu behalten, was um einen herum passiert.

Frage: Kümmert sich heute jeder nur noch um sich selbst? Den gerade so heftig diskutierten 68ern sagt man ja nach, sich noch engagiert zu haben.

Kunze: Ich bin ein bißchen zu jung, um etwas Glaubwürdiges über die 68er sagen zu können, aber da wird auch sehr glorifiziert. Das war damals nur eine kleine Avantgarde von Studenten – die überwältigende Mehrheit war davon relativ unberührt.

Frage: Also sind die Leute heute auch nicht bequemer als damals?

Kunze: Sicher gibt es so etwas wie eine entsolidarisierte Zeit, wo jeder als Einzelkämpfer klarkommen will. Aber ich glaube nicht, daß die Leute weniger politisch sind.

Frage: Ist es politisch kälter geworden in Deutschland?

Kunze: Man kann das kälter nennen, man kann auch sagen, das Klima ist erhitzter geworden. Es gibt an den Rändern Menschen, die mit der Öffnung aller Lebensverhältnisse, mit dem Schwinden der Grenzen nicht klarkommen und darauf panisch reagieren. Diese Panik drückt sich dann in Gewalt aus. Es kommt halt Zugluft in unser Land.

Frage: Und damit können manche nicht umgehen?

Kunze: Genau. Es wird unseren Staat noch eine Menge Geld kosten, damit zurande zu kommen – das Aussteigerprogramm von Schily ist da schon ein richtiger Schritt.

Frage: Aktionen wie Rock gegen rechte Gewalt – bewirken die etwas, oder ist das bloßes Flaggezeigen?

Kunze: Das ist nur eine Geste, mehr kann es nicht sein. Lindenberg ist nicht so ein naiver Hippie, daß er glaubt, wir könnten damit etwas erreichen, was schon Woodstock nicht geschafft hat.

Frage: Ein böses Lied auf Ihrer Platte ist, Talk Show Schmutz. Halten Sie solche Shows für gefährlich?

Kunze: Die Leute leben schon gar nicht mehr in der Wirklichkeit, sondern in einer vermittelten zweiten. Die einzige Chance, daß diese Dinge aufhören, ist, daß das Publikum keine Lust mehr darauf hat. Es gibt leider keine Instanz in unserer Gesellschaft, die die Autorität hätte, so etwas zu unterbinden.

Frage: Fänden Sie das gut?

Kunze: Oh, ich wäre sicherlich ein wunderbarer Zensor. Lassen Sie mich lieber nicht in so ein Amt geraten, Stalin wäre nichts gegen mich!

Frage: Also muß man Menschen vor solchen Sendungen schützen?

Kunze: Die Konsequenz, die sie aus diesem Irrsinn ziehen, ist, daß sie einfach nicht mehr hingucken. Das ist aber auch bedenklich, weil dann auch das Gute nicht mehr wahrgenommen wird. Durch diesen Dreck wird alles Fernsehen so beliebig.

Frage: Noch etwas fragt man sich bei manchen Talkshows unweigerlich: Werden wir ein sprachloses Volk?

Kunze: Ja. Es gibt eine regelrechte Krebserkrankung in unserer Sprache. Selbst die Vorzeigefratzen in den Medien können ihre eigene Sprache nicht mehr richtig. Die Vereinfachung dort – die Frontbegradigung geradezu – ist entsetzlich. Wenn man mal Tagesschau-Ausgaben von vor 30 Jahren sieht: Da gab's noch richtige Nebensätze! Es ist beängstigend, wie zusammengestammelt heute die Worte in der gleichen Sendung aufeinander folgen.

Frage: Wenn Sie sich im deutschsprachigen Musikbereich umgucken – sind Leute wie Zlatko oder Christian ernst zu nehmen?

Kunze: Ich glaube, daß das ein weltweit einmaliger Abschaum ist. Anderswo gibt es eine solche Entgleisung nicht. Aber die Deutschen meinen's eben immer am radikalsten.

Brit München, Nordwest-Zeitung, 24. Februar 2001

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