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NIEMAND TEXTET SO WIE ER: staubtrocken, maulfaul, beißend. Randy Newman ist Musiker und Dichter.
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Lohn der Langsamkeit
Heinz Rudolf Kunze über den Phlegmatiker als Songschreiber und warum das neues Album "Bad Love" bejubelt wird
Wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige, der ihm ein solches Comeback nicht mehr zugetraut hätte. Elf Jahre nach seiner letzten regulären Platte "Land Of Dreams" – zwischenzeitlich schien er gänzlich in die Filmmusik abgetaucht zu sein oder versuchte sich an einer musikalischen "Faust"-Adaption, deren "Handlung" so wirr und unerfindlich blieb wie die Wege der Flipperkugel in Pete Townshends "Tommy" – legte er 1999 mit "Bad Love" eines der erstaunlichsten, dichtesten Alben seiner an Meisterwerken nicht eben armen Laufbahn vor.
Man durfte aufatmen, die Tür des Schneckenhauses war nicht endgültig hinter ihm zugefallen. Randy Newman, der scharfsichtigste Phlegmatiker unter den großen Songschreibern dieser Welt, war wieder da.
Von Bob Dylan ist bekannt, daß er sich mit Äußerungen über Kollegen, gar mit lobenden, sehr zurückhält. Leonard Cohen findet Gnade vor ihm, Neil Young auch; beide soll er phasenweise nicht ohne Neid als echte Rivalen empfunden haben. Newman, der nach eigener Bekundung auf der ganzen Welt so viele Platten verkauft wie Mark Knopflers Dire Straits in einer einzigen New Yorker Straße, genießt ebenfalls Dylans ausdrückliche Hochachtung, die ihm umso leichter fallen mag, je größer die Abstände zwischen dessen Veröffentlichungen wurden: Therapien, private Katastrophen und künstlerischer Selbstzweifel ließen Newman immer schon schwer tauglich erscheinen für den üblichen ambitionierten Galeerentakt von Platte – Promotion – Tournee – Und-wieder-von-vorn.
Tonperlen in Zeitlupe
Wann immer aber er sich aufraffte, gab das von ihm Vorgelegte Anlaß zu lang anhaltender Freude und Verblüffung. Niemand textet so wie er: Staubtrocken, maulfaul, beißend oft selbst noch in zärtlichen Passagen. Metaphorik meidet er geradezu allergisch, immer zieht er die üblichen, geläufigen Redewendungen vor, die er dann durch winzige Parallelverschiebungen aufknackt wie Austernschalen, sodaß das uneingestanden Gemeinte dahinter zum Vorschein kommt. Newman läßt seine Figuren reden, er verkneift sich das auktoriale Urteil über sie, das besorgen sie schon selbst. Er ist der unangefochtene Meister des Rollensongs: Setzte man all die Gestalten zu einem einzigen Bild zusammen, denen er seinen Mund geliehen hat, ergäben sie vielleicht das scheue, bebrillte, oft leer und abwesend wirkende Konterfei dieses Musikers mit den schmalstlippig herabgezogenen Mundwinkeln: Ein alter kleiner kluger Junge, der das Heulen nicht loslassen will, nach dem ihm zumute ist.
Dabei kann er durchaus lachen, er hat einen köstlichen, gebildeten, jüdischen West-Coast-Humor, wie ich feststellen durfte, als ich vor Jahren lange in seinem Londoner Hotelzimmer mit ihm zusammensaß. Seine Suite war mit einem Flügel ausgestattet, von dem er ausgiebig Gebrauch machte; ich war wohl der erste Deutsche, der damals "Land Of Dreams" hören durfte, bevor er zu uns auf Tournee kam.
Diese Musik: Ragtime und Gustav Mahler, Bourbon und Wiener Schlagobers, Country-Stiefel und Rock'n-Roll-Wildlederschuh, Austro-Schmelz und Midwest-Stomp. Newman ist ein kompetenter Pianist, der mit seiner Fingerfertigkeit aber ähnlich sparsam umgeht wie mit Worten – manchmal tröpfeln die Tonperlen wie in Zeitlupe.
An Deutschland hat er nicht nur als amerikanischer Jude und Zeitgenosse großes Interesse; er war einmal mit einer Düsseldorferin verheiratet. Ohne Frage ist er ein politisch denkender Kopf, ihn jedoch nach unserer mitteleuropäischen Gesäßgeografie "einzuordnen" fällt ähnlich schwer wie im Fall Neil Youngs, der sich durch seine Pro-Reagan-Äußerungen Mitte der achtziger Jahre hierzulande viel Unverständnis zuzog: Wenn einer am Ruder steht, dann unterstütze ich ihn nach besten Kräften, anstatt zu mäkeln, sagte er damals. Dieser Satz hätte auch von Newman stammen können, der allemal seismographisch auf die zu allen Zeiten vorhandenen antisemitischen Strömungen in seiner Heimat reagiert, genau wie kaum ein zweiter den Umgang mit Minderheiten aller Art innerhalb und außerhalb seiner Arbeit reflektiert und sich beim Singen einen künstlich-negroiden Akzent zugelegt hat: Eher eine Kreuzung aus Onkel Tom und Shylock als der coole Abkömmling einer Hollywood-Filmmusikkomponistendynastie (die berühmten Soundtrack-Schöpfer Lionel und Alfred Newman sind seine Onkel).
Onkel Tom und Shylock
Sein Lied "Follow The Flag" ist eben nicht ironisch gemeint; Newman ist genau in dem Sinne, den deutsche Bundespräsidenten bei feierlichen Anlässen gern für sich reklamieren und bei uns gewöhnlichen Sterblichen anmahnen, ein Verfassungspatriot. Amerika, dessen Beschädigungen und Sündenfälle er in seinen Liedern für alle oder doch für lange Zeit aufgehoben hat, ist und bleibt für ihn das gültigste Versprechen menschlichen Zusammenlebens, und er reagiert empfindlich auf Kritik an seiner Heimat, die von außen und ohne zureichende Kenntnis daherkommt: Mind your own business, folks.
Wenn er jetzt wieder Konzerte gibt, mit dem neuen Wurf im Gepäck, der von der Suche nach Frauen, Vergangenheit und also Sinn und Gott handelt, allein über die Tastatur gebeugt wie ein Krimi-Autor mit nicht allzu vielen Anschlägen pro Minute, muß man sich die grundsätzlich exzellenten Begleitmusiker seiner Platten wieder selbst dazudenken; er haßt es, pflegt er grinsend zu sagen, seine Gage teilen zu müssen. Macht nichts, der Mann trägt einen Abend auch allein. Besonders wenn er "Every Time It Rains" spielt, den absoluten Showstopper von "Bad Love": Das schönste Sehnsuchtslied der letzten zehn Jahre.
Oder zwanzig. Oder überhaupt.
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