Artikelfoto (Foto von Michael Münch)

1999

KENNT SICH AUS MIT DEUTSCHLAND: Heinz Rudolf Kunze beim "Heimspiel" in der Lagerhalle.

Fachmann für die großen Fettnäpfe

Heinz Rudolf Kunze in der Lagerhalle

Willkommen zur Fettnapfia '99. Heinz Rudolf Kunze begrüßt seine Zuschauer in der ausverkauften Lagerhalle. "Fettnapfia, die Fachmesse für Einheitsbrei", so nennt Kunze das Sonderprogramm, das er zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls zusammengestellt hat. Und Kunze thematisiert weniger die Fettnäpfchen, in die er selbst tritt, als die Fettnäpfe, in die wir Deutschen kollektiv treten. Große deutsche Fettnäpfe.

Daß Frauen an Herd und Tisch gehören, nur nicht an den Stammtisch. Daß die besten deutschen Fussballmannschaften die sind, in denen Brasilianer, Afrikaner und Kroaten mitspielen. Überhaupt: wie es mit unserer Einstellung gegenüber dem "Neger" bestellt ist. Deutsche Befindlichkeiten, Szenen aus dem deutschen Alltag – "Zehn Uhr morgens in Deutschland".

Kunze kommt zum Thema: "Im Westen die Besten, im Osten die Kosten." Hört sich an wie ein Klospruch. Oder eine Stammtischparole. Das Publikum lacht. Ein "fremdes, kaltes deutsches Erwachen" nennt er das, was nach dem Mauerfall passierte. Und singt Vertriebener. Fester Wohnsitz Osnabrück.

Das Publikum jubelt. Es weiß: das ist unser Kunze, der da vorn auf der Bühne steht. Mit seinem Held der Arbeit-T-Shirt unter schwarzem Jackett. Vom Thema Deutschland hat er Ahnung. Und wie er das auszudrücken vermag, mit wohlkonstruierten Texten und griffigen Liedern, auf seine ganz eigene Art, das ist schon eine Klasse für sich.

Die Atmosphäre in der Lagerhalle ist apart, die Musik akustisch. Heiner Lürig unterstützt den Liedermacher mit der Gitarre, und CC Behrens sorgt für perkussive Akzente. Wort- und Liedbeiträge wechseln sich ab. Texte, die Kunze noch nie auf der Bühne dargeboten hat, mit er mit bekanntem Material. Es gibt keine Überschneidungen zum letzten Live-Programm.

Als erste Zugabe spielt Lou-Reed-Fan-Kunze "Walk On The Wildside". Das hat zwar nichts mit dem Thema des Abends zu tun, aber der Zuschauer soll den "Ernst des Programms damit abschütteln können". Es funktioniert.

"Der Kreis hat sich geschlossen", sagt Kunze nach dem Konzert. "Hier in Osnabrück habe ich meine Karriere und die diesjährige Tour begonnen." Vom Konzertpublikum verabschiedet er sich dementsprechend. "Das letzte Wort, das ich in diesem Jahrhundert auf einer Bühne spreche, soll – Verschwunden – sein." Mit diesem Wort beendet er seine Fabel vom Mann, der Fliegen am Fenster an die frische Luft wedelt, die nicht so recht kapieren wollen, daß dieser Umweg in die Freiheit nötig ist. Und verschwindet.

Tom Bullmann, Neue Osnabrücker Zeitung, 25. Oktober 1999

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