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1999

Interview mit Heinz Rudolf Kunze

An Heinz Rudolf Kunze kommt keiner vorbei, der sich mit der deutschen Rockmusik beschäftigt. Doch eigentlich paßt Kunze so gar nicht in das Bild eines Rockers. Lindenberg, ja, der hatte schon immer eine große Klappe oder auch der schnoddrige Westernhagen aus seinen "Theo gegen den Rest der Welt"-Jahren. Heinz Rudolf Kunze ist vielmehr der Mann mit dem Gewissen, der Intellektuelle im Geschäft, der "poetisch korrekte Sänger" (Kunze), der mit seiner Musik und seinen Liedern seit nunmehr zwei Jahrzehnten ein fester Bestandteil der deutschen Musikszene ist. Als Radio Goethe bei Heinz Rudolf Kunze anfragte, war der über den Interviewwunsch aus San Francisco mehr als erstaunt, doch umso bereitwilliger stand er schließlich Rede und Antwort.

Radio Goethe: Seit 20 Jahren sind Sie auf der Bühne. Angefangen als Liedermacher, dann mit dem Ohrwurm Dein ist mein ganzes Herz die Hitparaden gestürmt und schließlich sind Sie einer der bekanntesten deutschen Rockmusiker geworden. Wie sehen Sie im Rückblick Ihre Karriere?

H.R. Kunze: 20 Jahre sind eine sehr lange Zeit, in der es verschiedene Phasen gab. Ich habe das geradezu märchenhafte Glück gehabt, als lupenreiner Amateur gleich von Anfang an bei einer der größten Plattenfirmen der Welt zu sein – bei Warners oder WEA, wie sie in Deutschland heißt. Ich muß sagen, ich habe nichts bereut. Die Beschreibung, die Sie gegeben haben stimmt im wesentlichen. Zu Anfang ein, ich würde sagen, merkwürdiger Spagat zwischen Liedermacherei und Elementen der New Wave oder, wie es in Deutschland hieß, Neuen Deutschen Welle. Das heißt eine komische Kreuzung aus Akkustikgitarre, Klavieren, Rhythmusmaschinen und Sequenzern. Erst im Lauf der Jahre, und nach einigen Umbesetzungen in meinem Team, haben wir dann zu einem konsequenteren Stil gefunden. Niemand ist heute, außer mir, noch von der ersten Besetzung dabei. Heiner Lürig, Gitarrist, Co-Komponist und Produzent ist jetzt schon seit 1985 dabei. Wir sind also der Kern der Abteilung und haben jetzt seit 1995 eine neue, stabile, festformierte Band, mit der wir sehr viel Spaß haben. Wenn man 19 Alben in 20 Jahren gemacht hat, hat man sicherlich in der Rückschau einige Dinge gelernt, die man von heute aus gesehen anders machen würde, aber es gibt keine Platte dabei, die ich bereuen würde oder die ich durchstreichen würde. In ihrer Zeit waren die alle in Ordnung.

Radio Goethe: Ihr neues Album kam in diesen Wochen auf den Markt, können Sie etwas zur Entstehungsgeschichte sagen? Wie unterscheidet es sich zu den vorhergehenden CD's?

H.R. Kunze: Ganz amerikanisch und geschäftlich gesprochen unterscheidet es sich darin, daß es zum ersten Mal in meiner Laufbahn von 0 auf 12 in die Albumcharts gegangen ist. Das hatte ich noch nie erlebt. Wir haben zwar ein paar Alben gehabt, die nach einigen Wochen höher plaziert waren, aber so einen Kalt- und Direktstart hatten wir noch nie. Musikalisch gesehen kann man das am besten beschreiben, wenn man das mit der letzten Platte alter ego vergleicht. Die hatte nur zwei oder drei Seiten von dem vorgeführt, wozu wir als Team imstande sind und wozu ich als Komponist und Texter imstande bin. Es war eine Art Trotzreaktion auf die Hochphase des Techno in Deutschland. Wir wollten mit dem vorletzten Album zeigen, wir sind immer noch fähig, handgemachte Rockmusik zu machen. Das war ein etwas überflüssiger Beweis, das wußte jeder. Die neue Platte zeigt, glaube ich, viel, viel mehr Seiten und ist ein sehr weitgespannter Fächer und beinhaltet alles, was ich mit diesem Team überhaupt kann. Deswegen bin ich auf diese Platte sehr stolz.

Radio Goethe: Sie haben sich vor einigen Jahren dafür eingesetzt, daß mehr deutschsprachige Musiker in deutschen Radiosendern gespielt werden. Mittlerweile sind viele deutsche Künstler in den Charts. Wie bewerten Sie die aktuelle deutsche Musikszene heute?

H.R. Kunze: Ich glaube, daß dieser Einsatz nicht vergeblich war. Ich möchte allerdings unbedingt dazu sagen, ich war nur das Sprachrohr einer großen Gruppe von Leuten, die gemeinsam eine Petition an Rundfunkanstalten, Politiker und alle möglichen Kulturinstitutionen gerichtet haben. 80 deutsche Kollegen haben das unterschrieben. Ich mußte es öffentlich vertreten, ich mußte dafür auch viele Ohrfeigen einstecken, wurde oft böswillig mißverstanden, dahingehend, daß Leute mir unterstellt haben, ich wolle die deutsche Musik gerne gegen das Ausland abschotten. Man hat mich damit gelegentlich, völlig idiotisch, auch in eine rechte Ecke gerückt. Hat mir unterstellt, ich wolle für Volksmusik oder gar für mich selbst Werbung machen. Weder für Volksmusik noch für mich selber wollte ich etwas tun. Ich komme seit vielen Jahren sehr regelmäßig im Radio und im Fernsehen vor. Mir ging es bei meinem persönlichen Einsatz nur darum, möglichst ein paar Türen für eigensinnige Schrägdenker aus Deutschland aufzustoßen. Ich sehe mit großer Freude, daß sich die Situation entspannt hat, daß durch den deutschen Rap und Hip Hop-Bereich eine Generation nachgerückt ist, die ganz selbstverständlich die deutsche Sprache mit einer sehr anglo-amerikanischen Musik verbindet. Insofern waren der Streit und die Prügel, die ich bekommen habe, nicht ganz umsonst.

Radio Goethe: Sie haben vor einigen Jahren mit Peter Hammill von "Van der Graaf Generator" zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?

H.R. Kunze: Peter Hammill hatte ein kleines Label für seine deutschen Veröffentlichungen in Süddeutschland und der Label-Chef hat mich angerufen und mich darauf aufmerksam gemacht, daß Peter Interesse daran hätte, auch mal in der deutschen Sprache zu singen. Er hatte sich zuvor schon in französisch und italienisch versucht. Er ist ein sehr sprachbegabter Mensch. Ich fand den Auftrag sehr interessant, weil ich seit meiner Studentenzeit ein großer Fan von "Van der Graaf Generator" war und auch alle seine Soloplatten besitze. Er ist einer der ganz wenigen herausragenden Texter, die immer noch am Werk sind. Man kann ihn durchaus mit Leuten wie Elvis Costello vergleichen. ArtikelbildDas war eine große Ehre. Er war sehr gelehrig. Wir haben die deutsche Stimme in unserem Studio hier in Hannover aufgenommen. Er war sehr sensibel, was die deutsche Aussprache angeht. Er hat sich wesentlich weniger ungeschickt angestellt, als manche englischen und amerikanischen Kollegen, die hier beispielsweise in Musicalaufführungen auftreten. Die Platte hat zwar leider nicht wesentlich dazu beitragen können, daß sich der Marktanteil von Peter Hammill in Deutschland erhöht hat, doch es war literarisch ein großer Spaß.

Radio Goethe: Wenn Sie auf die letzten 20 Jahre Ihrer Karriere zurückblicken, was waren für Sie die Höhepunkte, was die Tiefpunkte?

H.R. Kunze: Das ist eine schwierige Frage, bei einer so langen Zeit. Ich glaube, wir haben jede Art von Publikumsdimension kennengelernt. Von Clubauftritten mit wenigen hundert Leuten bis hin zu riesigen Stadionkonzerten, vor allem in Ostdeutschland mit 50 000 und noch mehr Leuten. Ich will das auch alles gar nicht gegeneinander ausspielen. Ein kleiner Club hat seine besonderen Reize, weil man intim und intensiv auf jeden der im Saal ist eingehen kann, weil jeder wirklich alles mitbekommt. Große Konzerte sind natürlich eine unwahrscheinliche Blähung für das Ego. Man findet das natürlich klasse, wenn da Menschen in fünf oder sechsstelliger Zahl vor einem stehen.

Radio Goethe: Sie sind bekannt für Ihre tiefsinnigen Texte. Sehen Sie sich als politischer Sänger?

H.R. Kunze: Ich sehe mich jedenfalls nicht als politisch korrekten Sänger. Ich hoffe, mich als poetisch korrekten Sänger sehen zu dürfen. Die Außenwelt kommt, denke ich, immer in die Texte hinein, wenn man offene Augen, Ohren, Nasen, Münder, überhaupt Körperöffnungen hat. Das läßt sich gar nicht vermeiden. Auch die sogenannte Politik. Wenn man das Land, die Gegend, in der man lebt, abbilden will, dann muß das eine Rolle spielen. Aber ich suche diese Themen nicht, sie ergeben sich einfach. Und ich glaube, daß ich auch eine Reihe von sogenannten Liebesliedern gemacht habe, wo man durchaus erkennen kann, wie das sogenannte öffentliche Politische und das sogenannte Private sich gegenseitig durchdringen und gar nicht wirklich voneinander zu trennen sind.

Radio Goethe: Glaubt keinem Sänger haben Sie einmal gesagt. Was machen Sie dann da oben auf der Bühne?

H.R. Kunze: Lügen, notorisch lügen, was sonst?

Radio Goethe: Gibt es einen Punkt in Ihrer Karriere an dem Sie sagen würden "Das war es. Bis hierher und nicht weiter"?

H.R. Kunze: Nein, Gott sei Dank bis jetzt nicht. So eine Frage suggeriert, daß man vielleicht schon einmal das absolute für sich selbst mögliche Album getan hätte und absolviert hätte und vollendet hätte. Es gibt auf wunderbare Weise, bei allem was man getan hat, auch wenn man wirklich stolz darauf ist, immer noch Dinge, die man sich erträumt und die man sich wünscht. Es wäre sehr schwer mit dem Gedanken zu leben, ich hätte das perfekte Album, jedenfalls das was mir als perfekt möglich ist, hinbekommen, dann hätte ich keine Motivation mehr weiterzumachen. Doch die habe ich Gott sei Dank immer noch.

Radio Goethe: Für viele deutsche Bands ist es das Ziel einmal durch die USA zu touren. Reizt Sie eine Konzertreise durch die Vereinigten Staaten?

H.R. Kunze: Ja, selbstverständlich! Das ist ganz klar, auch wenn ich ein deutschsprachiger Sänger, Interpret und Autor bin, weiß ich ja ganz genau, was ich einerseits Liverpool und London und andererseits Memphis, New York und San Francisco zu verdanken habe. Ich weiß, daß die Musik, die ich verwende, nicht in meinem Land entstanden ist. Ich klinke mich da eigentlich nur mit meiner Sprache in ein weltweites Musiksystem ein, das anglo-amerikanisch, eigentlich müßte man amerikano-englisch sagen, ist. Es wäre natürlich eine große Ehre und eine große Herausforderung mein Material auch dort spielen zu können. Das ist aber für mich eine ganz mehrschneidige Frage. Ich bin nun mal ein deutscher Sänger, ich arbeite andererseits auch als Übersetzer für englische Musicals. Ich halte mich also des Englischen für relativ mächtig. Trotzdem würde ich ungern das, was mir auf Deutsch einfällt, grundsätzlich auf Englisch sagen. Denn die Einfälle sollte man nicht maskieren, finde ich. Man sollte sie auch in der Sprache verwirklichen, in der man sie träumt. Und das ist eben in meinem Fall die deutsche. Es hat bislang immerhin zu einem Konzert im Bostoner Goethe-Institut im Duo mit Heiner Lürig gereicht. Ich würde mich sehr freuen, wenn noch mehr möglich wäre, würde sicherlich auch das eine oder andere Stück entweder auf Englisch singen oder es den Leuten auf Englisch erklären. Nur, ich fürchte halt, daß wir nach wie vor in einer kulturellen Einbahnstraße leben. In Deutschland ist wahnsinnig interessant, was in New York und Los Angeles und auch in San Francisco passiert. Leider ist für die dort lebenden Menschen ziemlich uninteressant, was in Dortmund, Hamburg oder Duisburg passiert. Damit muß ich leben als Künstler.

Arndt Peltner, Radio Goethe, April 1999

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