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1997

alter ego – Rockmissionar auf Feldzug

"Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding", singt die Marschallin im Rosenkavalier. Manchmal spüre man, sorgt sie sich, "nichts als sie." Heinz Rudolf Kunze, deutscher Rockmissionar, derzeit wieder auf dem Feldzug gegen das Böse, watschelt mit kurzen energischen Schritten auf die Bühne, klemmt sich einen Hocker zwischen die Beine und seufzt ins Mikrofon: "Früher, ach früher." Pause.

Jetzt beginnt er seine Konzerte schon sitzend, und es kommt, was kommen muß: Der literarische Monolog. Der Mann mit dem schweren Mut erinnert sich der 70er, als die Welt noch geordnet und Deutschland geteilt war. Im Westen die lebenslängliche Freiheitsstrafe gekoppelt mit der Höchststrafe Wirklichkeitsverlust. Er resümiert seine Zeit, bis in die Gegenwart, wo sich Spinnen im Internet(z) tummeln und Horden bei der Love Parade im Gleichschritt "Fick" brüllen.

Nach und nach füllen die Musiker die Bühne, es dauert, bis der musikalische Herzschrittmacher in Gang kommt. Auftakt: alter ego, Titelstück des aktuellen Albums, ein wenig verschleppt. Damit nichts schiefgeht, hinterher die Wunderkinder als Anheizer. Auch so ein Lied über früher, ein wunderbarer Abgesang aufs Wirtschaftswunderland und Menschen mit Ludwig Erhard Spitzbauch.

Und dann? Handwerklich sauberer Rock made in Germany, der auf Dauer gepflegte Langeweile ausstrahlt. Er haut sie wie gewohnt in die Pfanne, die üblichen Verdächtigen, aber mit zunehmender Dauer des Konzertes wird man das Gefühl nicht los, daß der Fackelträger der "guten Deutschen" diesmal nur ein Strohfeuer abbrennt, daß von den neuen Liedern nicht viel Bestand haben wird. Er spürt sie wohl, die rasanter werdende Halbwertzeit von Musik und besticht uns mit dem unveröffentlichen Song Pech und Schwefel, der besser auch unveröffentlicht bleibt.

HRK, der in Leipzig immer ein Heimspiel hat, zehrt von der Substanz. "Ich heiße Heinz Rudolf Kunze, bin 40 Jahre alt und gehöre zu einer starken Truppe – den Langschläfern." Als er sich beim Publikum bedankt, fällt ihm nicht viel mehr ein als: "In Leipzig ist es – wie immer." Eben nicht. Von den Konzerten der vergangenen Jahre war der, alter ego-Auftritt der schwächste. Das war auch im Publikum zu spüren. Die Band spielt präzise und engagiert, aber uninspiriert. Nach jedem Stück wird artig geklatscht, aber es zündet erst bei den Kunze-Classics. Sie haben nichts von ihrer Wärme und Kraft verloren – Alles gelogen, Wenn Du nicht wieder kommst, Finden Sie Mabel, Leg nicht auf, Ich brauch Dich jetzt. Früher, ach früher, denkt man dann.

Markus Deggerich, Leipziger Volkszeitung, 6. November 1997

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