Und immer noch die reine Lehre ...
Heinz Rudolf Kunze (heute in Leipzig) hörte die neuen CDs von Bob Dylan und den Rolling Stones
Von den Tour-Proben in einer eiskalten Fabrikhalle in Hannover hielten ihn nur zwei Dinge ab: Sein Schnupfen und unsere Zeitung. Auf unsere Bitte nämlich hörte sich Heinz Rudolf Kunze die neuen Alben der Rolling Stones ("Bridges To Babylon", Virgin) und Bob Dylans ("Time Out Of Mind", Columbia) an. Was ihm dazu einfiel, verriet der Golem aus Lemgo im Interview. Heute gastiert Heinz Rudolf Kunze in Leipzigs Easy Auensee.
LVZ: Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen beiden Platten?
Kunze: Beide zeigen, was Stones und Dylan am besten können: Sie haben nicht krampfig versucht, sich zu modernisieren und Prodigy hinterherzurennen. Beides sind Acts der ersten Generation, denen man es abnimmt, wenn sie sich auf ihre Wurzeln beziehen.
LVZ: Und die Unterschiede?
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Kunze über die neue Rolling-Stones-CD: textlich ein Durchfall. |
Kunze: Die Stones klingen frisch und jugendlich. Gitarren und Schlagzeug, das, was die Band ausmacht, sind immer noch glaubwürdig. Aber es ist eben nur ein weiteres von vielen Alben. Es ist ein Phänomen, daß eine Band, die vor 25 Jahren mit "Exile On Main Street" ihre letzte wichtige Platte vorgelegt hat, noch immer so berühmt sein kann. Bei den letzten CDs hatte man das Gefühl, sie waren nur ein Anlaß für eine neue Tour.
LVZ: Welches Manko hat die neue CD?
Kunze: Es ist kein einziger wichtiger Song drauf. Keith Richards spielt toll und hat es auch geschafft, seine Mitmusiker zu motivieren. Aber wenn man selbst textet und liest dieses Gestammel nach, was Herr Jagger da von sich gibt: Da ist nicht mehr als ödes, sexistisches Machogelaber. Das ist nur unsinnliche, anschauungslose Verbalerotik. Textlich ist das Album ein Durchfall, hat nichts zu sagen. Die Stones wären ohne Jagger viel besser. Ich verstehe auch nicht, warum er als so großartiger Rocksänger gilt: Der Vortänzer hat nichts mehr zu sagen. Er hat bemerkenswerte Lippen. Ansonsten sind mir aus der Generation Sänger wie Robert Plant oder Roger Daltrey wichtiger.
LVZ: Vorab hieß es, die Stones würden mit Elektronik-Pionieren kollaborieren. Man hört aber nichts mehr davon ...
Kunze: So ein Urgestein wie die Achse Watts/Richards kann man nicht modernisieren. Möglicherweise gab es Experimente. Aber man hat sie wohl in der Versenkung verschwinden lassen. Das einzige, was die Stones noch hinkriegen, ist, das ihre Maschine noch relativ gut geschmiert läuft. Ich fürchte ein besseres Album können sie nicht mehr einspielen.
LVZ: Wie Bob Dylan?
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Kunze über die neue Bob-Dylan-CD: richtig feiner Blues. |
Kunze: Ganz anders! Sein neues Album haut mich glatt um. Es ist noch besser geraten als seine erste Zusammenarbeit mit Daniel Lanois. "Oh Mercy" war schon aufregend. Aber jetzt ist Dylan noch intensiver und lebendiger geworden, noch musikalischer. Damals hat sich Lanois darauf konzentriert, Dylans Verse mit Amientemusik in Watte zu packen. Jetzt wird wieder richtig feiner Blues gespielt. Stinksauer bin ich nur, daß der alte Bock wieder versäumt hat, seine Texte abzudrucken. Es ist ja bekannt, daß er gierig und geizig ist. Wahrscheinlich will er seinem nächsten Songbook nichts vorwegnehmen. Insofern kann man meistens nur raten, was da abläuft. Denn seine grantelnde Stimme ist ja oft unvernehmlich. Aber man hat die Ahnung, daß das tolle Texte sind.
LVZ: Ist soviel Blues nicht eine Bankrotterklärung?
Kunze: Nein. Er wird so warm und voller Seele gespielt, daß man dagegen nichts haben kann. Für Dylan-Fans gibt es nur gute oder sehr gute Platten von ihm. Dies ist eine sehr gute.
LVZ: Die Platte ist Musik aus einer anderen Zeit, aus einem anderen Raum. Ist das ursprünglicher Rock'n'Roll oder Kalkül?
Kunze: Dylan und Richards sind unfähig zu solchem Kalkül. Diese Frage könnte man eher einem David Bowie stellen.
LVZ: Sie sind also erhaben darüber?
Kunze: Einmal das. Außerdem sind sie wehrlos. Denn sie stehen nur vor einer Entscheidung: Entweder aufhören – materiell könnten sie das schon lange. Oder weitermachen, weil es ihnen wichtig ist.
LVZ: Und ist es nun Rock'n'Roll oder Abklatsch?
Kunze: Abklatsch ist Oasis. Das sind Plünderer, hirnlose junge Leute, die nicht wissen, was sie da stehlen. Wenn die Stones und Dylan noch mal eine Platte machen, dann ist das immer noch die reine Lehre. Schließlich haben sie ihn mit erfunden. Natürlich ist es keine Musik von heute. Es verstößt schockartig gegen die Hörgewohnheiten junger Leute. Doch wer heute 40 ist, wird sagen: Nicht schlecht gemacht, Rock'n'Roll in der Urform.
LVZ: Jakob Dylans ausgezeichnete "Wallflower"-CD erschien zuvor und wurde rauf und runter diskutiert – perfekte Promotion für Vater Bob?
Kunze: Das war sicher so. Das machen Amerikaner so. Man soll da keine Illusionen haben, gerade Ihr im Osten nicht. Amis sind keine Halbgötter.
LVZ: Und Sie? Sie sollen vor Ihrer neuen Tour noch aufgeregter als sonst sein?
Kunze: Nur überarbeitet und erkältet. Ich versuche, den Golem und Rockmusik zusammenzubringen, mein eigenes Vorprogramm zu sein. Die erste halbe Stunde ist ein literarisches Programm mit Band, was dann umkippt in reine Musik. Es geht leise los. Die Musiker kommen einzeln zu jedem Text auf die Bühne.
LVZ: Wie in Jonathan Demmes Talking-Heads-Film "Stop Making Sense" ...
Kunze: Genau.
LVZ: Stellen Sie neues Material vor?
Kunze: Im wesentlichen Alter Ego, alte Stücke, aber auch einen Song vom neuen Album, das im Februar erscheint.
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