Heinz Rudolf Kunze im Wandel der Zeit

1994

Heinz Rudolf Kunze macht nicht nur Musik, sondern sinniert auch über sein kontroverses Image

Sprechstunde: dr. kunze

Ein Mann, eine Brille und der ewige Zwiespalt: Obwohl er mit seinen nunmehr 14 Alben zu den erfolgreichsten Interpreten der deutschsprachigen Rockmusik gehört, will des Volkes Seele den Intellektuellen mit dem Oberlehrer-Image nicht so recht ins Herz schließen. Axel Thorer fühlte ihm auf den Zahn

Musik Express/SOUNDS: Wenn jemand behauptete, Du seiest Schlagersänger ...

KUNZE: ... sage ich, das wäre nicht zutreffend.

ME/S: Aber im Radio kommst Du gleich nach Patrick Steiner und vor Howard Carpendale.

KUNZE: Dafür kann ich doch nichts. Ich höre außerdem nur N3, weil da Klassik und Jazz laufen. Programme, in denen ich selber vorkomme, würde ich nicht ertragen. Nicht meinetwegen, sondern wegen dem ganzen Drumherum.

ME/S: Aber eine Schnulze wie Dein ist mein ganzes Herz hätte auch Herr Carpendale singen können.

KUNZE: Wenn Du auf die Worte achtest, hat das mehr mit den Kinks zu tun, als mit Carpendale. Und auf einem Song wie etwa Finden sie Mabel bin ich ausgesprochen stolz, weil so eine Art Liebesgeschichte in der deutschsprachigen Musiklandschaft nur sehr selten erzählt wird.

ME/S: Na, na, Kollege Grönemeyer macht sowas auch.

KUNZE: Ja, aber als wir 1986 damit angefangen haben, standen wir ziemlich allein da. Dann hat auch Grönemeyer Elemente wie Country-Rock eingeführt. Er muß mich offensichtlich aufmerksam gehört haben.

ME/S: Welche Art von Musik hörst Du privat?

KUNZE: Im Auto fast nur Klassik. Zuhause besitze ich eine riesige, mehrere Tausend Alben umfassende Plattensammlung – von Hardcore Death Metal bis Miles Davis. Ich höre viel Musik und zwar kreuz und quer.

ME/S: Baust du – weil klassisch beschallt – deshalb weniger Autounfälle?

KUNZE: Nein, aber Klassik ist nicht so dämlich wie diese ganze monotone Schlagerscheiße, die ich wirklich nicht ertragen kann.

ME/S: Stören dich da nur die Texte, oder auch die Musik?

KUNZE: Da werden zum Teil gute Gassenhauer, also populäre Melodien, mit Texten versehen, die sowas von unterirdisch sind. Da ist das, was in den englischen Charts läuft, meist doch etwas niveauvoller und witziger formuliert.

ME/S: Entschuldige bitte, aber von Deinem Aussehen her, könntest Du diese deutschen Schlager doch sofort singen ...

KUNZE: Findest Du?

ME/S: Ja.

KUNZE: Ich sehe vielleicht ungewöhnlich normal aus. Das tut doch aber ein Typ wie Herbert Grönemeyer auch. Und Phil Collins erst recht ...

ME/S: Magest Du Phil Collins?

KUNZE: Ich finde ihn ziemlich öde und unerträglich, seitdem er Soloplatten macht.

ME/S: Wen läßt du dagegen gelten?

KUNZE: Elvis Costello. Er ist eines meiner größten Vorbilder als Songschreiber überhaupt. Und er trägt auch eine Brille und sieht aus, wie man sich früher klischeehaft den Sparkassenleiter von Mellendorf vorstellte. Obwohl dieser Sparkassenleiter inzwischen bestimmt lange Haare und Ohrringe trägt.

ME/S: Hattest Du die nie?

KUNZE: Doch, ich hab' mit allem rumexperimentiert – langen Haaren, Tigerbrillen, Kruzifixe im Ohr. Aber auf Dauer hat mich das nicht befriedigt. Vor allem: Sowas ist nicht nötig! Man kann aussehen, wie man will, es sind die Songs, die's bringen.

Heinz Rudolf Kunze steht auf die/der FAZME/S: Es gibt ein Bild von Dir, da stehst Du demonstrativ auf einer Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung herum. Warum denn das?

KUNZE: Ich stehe auf der FAZ, weil sie, vor allem im Flugzeug, meine bevorzugte Lektüre ist. Ich mag halt mild konservative Blätter.

ME/S: Und doch trägst Du eine "Public Enemy"-Mütze. Gehst Du etwas auf Kollisionskurs mit der Öffentlichkeit?

KUNZE: Ich habe seit acht Jahren eine ganze Reihe von Songs herausgebracht, die deutlich sperriger und manchmal ambitionierter waren als das, was man gemeinhin unter dem qualligen Begriff "Deutsch-Rock" kennt. Titel wie Kadaverstern, Götter in Weiß und so weiter.

ME/S: Aber die kennt doch keiner.

KUNZE: Nein, die haben nie so diese westkurven-artige Zustimmung gefunden, wie die Titel so mancher deutscher Kollegen, die es sich – sagen wir mal – etwas einfach machen.

ME/S: Kunze fühlt sich also ganz wohl in der Minoritätsecke?

KUNZE: Das ist nicht ganz richtig. Ich hatte ja einige Titel, die von Funk und Fernsehen gerne genommen wurden. Aber ich fahre eben zweigleisig und würde mich als "Mittleren Act" bezeichnen – sagen wir mal: nicht Bayern München, aber Kaiserslautern.

ME/S: Jetzt gehst Du auf Tournee. Macht Dir das immer noch Spaß?

KUNZE: Das ist wie eine Droge. Ich muß live erleben, wie die Leute mit dem umgehen, was ich ihnen anbiete. Eine Platte ist ja nur eine Art Flaschenpost, die man ins Meer wirft. Man weiß nie, wie die Leute darauf reagieren.

ME/S: Manchmal hat man den Eindruck, Du willst unbedingt geliebt werden?

KUNZE: Aber ja, sehr sogar.

ME/S: Und wo liegt Dein Problem?

KUNZE: Ich bin kein Zielgruppensänger und kein Westkurvenidioten-Vorkauer. Ich kann nun mal nicht für eine bestimmte Kundschaft schreiben, wie so viele Unsägliche, sondern nur das, was mir in den Kopf kommt.

ME/S: Wann kommt Dir denn gewöhnlich was in den Kopf?

KUNZE: auch dafür gibt's keine festen Regeln. Deshalb liegen in der ganzen Wohnung Notizblöcke herum, damit mir mir schnell etwas notieren kann, wenn mir gerade was einfällt.

ME/S: Wie legst du eigentlich Deine Kohle an?

KUNZE: Ich überlasse Geldfragen meiner Frau, da ich von Wirtschaft überhaupt nichts verstehe. Außerdem bin ich kein Mensch, der mit Geld verschwenderisch umgeht oder ein Talent hätte zum organisatorischen Leben. Allerdings habe ich mir erst relativ spät ein recht großes Haus besorgt und bin immer noch dabei, das einzurichten.

ME/S: Könntest Du von den Tantiemen Deiner bisherigen Produktionen bequem leben?

KUNZE: Ich denke schon. Ich bin nach 14 Jahren Arbeit so eine Art Institution geworden, um die man einfach nicht herumkommt.

ME/S: Laß' mich zum Schluß ein bißchen herumspielen. Ich nenne Dir einen Namen und Du sagst mir spontan, was Dir dazu einfällt. Schreinemakers?

KUNZE: Reizende, unverkrampft ehrgeizige Frau, die ich sehr bewundere.

ME/S: Schwarzenegger?

KUNZE: Lehnte ich jahrelang total ab, bis ich die beiden großartigen "Terminator"-Filme gesehen habe. Seitdem bin ich ein Fan.

ME/S: Die Comic-Figuren Beavis and Butthead?

KUNZE: Kenn ich nicht.

ME/S: Karl Moik?

KUNZE: Vertritt eine musikalische Philosophie, die ich widerwärtig und erschütternd finde – Volksmusik, oder was man dafür ausgibt. Ekelerregende, bierdunstige Scheißschlager.

ME/S: Der Film "Schindlers Liste"?

KUNZE: Habe ich nicht gesehen. Ich gehe ungern ins Kino, weil ich Bilder nicht mit anderen teilen möchte.

ME/S: Claudia Schiffer?

KUNZE: Äußerlich absolut langweilig.

ME/S: Das Lied "Katzeklo"?

KUNZE: Habe ich noch nie gehört.

ME/S: Rudolf Scharping?

KUNZE: Hat mir geschrieben, will mich auf Tournee dringend kennenlernen. Soll er man kommen.

ME/S: Badeurlaub?

KUNZE: Eine lästige familiäre Pflicht.

Axel Thorer, Musik Express/Sounds, Mai 1994

Copyright & Datenschutz Heinz Rudolf Kunze Top