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Begeisterte im Trio: Sänger Heinz Rudolf Kunze
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Plötzlich ist der "Golem von Lemgo" am Telefon
Heinz Rudolf Kunze kammermusikalisch im großen SFB-Sendesaal
Ein ungewöhnlicher Abend mit einem außergewöhnlichen Sänger: Heinz Rudolf Kunze, der Rockmusiker mit den ausgefuchsten Texten, der es zum Glück partout nicht wahr haben will, daß deutsche Songtradition und anglophiler Rocksound sich nicht vertragen, kam sozusagen kammermusikalisch daher. Auf neudeutsch: unplugged. Seine fulminante Band blieb bis auf Schlagzeuger Peter Miklis und Gitarrist Martin Huch zu Hause. Miklis werkelt über diverse Percussions und speziell über das Vibraphon, Huch bearbeitet diverse Gitarren, darunter auch Dobro und Pedal-Steel. Und Kunze – ganz in Schwarz, nur die dunklen Socken zieren pinkfarbene Schweine – sitzt mal am Klavier, mal mit Klampfe vorm Notenpult und offeriert im gut besuchten Großen Sendesaal des SFB einen literarisch-satirischen Rundschlag mit nur wenigen Songs und jeder Menge neuen Texten.
Es ist ein Abend des literarischen Kabaretts, mit bitterbösen, sarkastischen Ausflügen in den deutschen Alltag, musikalisch experimentierfreudig balancierend zwischen Chanson und Bar-Jazz, Blues und britischem Art-Rock. Ein wohliges Wechselbad. Der Golem aus Lemgo hat er dieses spezielle Programm getauft. Kilian, Kunzes Alter ego, meldet sich am Telefon gern mit Der Golem aus Lemgo, obwohl er gar nicht mal weiß, warum. Ja, er.weiß nicht mal genau, wo dieses Lemgo liegt. Kilian jedenfalls liegt zu Beginn des Programms auf der Psychiatercouch und redet sich seine Muttermord-Phantasien von der Seele. Kilian ist auch so etwas wie der rote Ariadnefaden, der dem Programm die Richtung weist.
Kunze liebt die deutsche Sprache. Er feilt und formt an ihr, er weidet sie genüßlich aus, sie ist für ihn Waffe und Konkubine zugleich. Er bricht beispielsweise eine Lanze für den Bindestrich und hat selbst für Dudens oberste Sprachverwalter, die jeden Unsinn gelten lassen, solange er oft genug wiederholt wird, nur Spott übrig: "Früher penibler Landvermesser, heute die Hitparade des landläufigen Lallens!"
Das Kauderwelsch von Tennis-Kommentatoren inszeniert er als urkomisches Paradestückchen, und die Zwischenüberschriften aus Gustav Meyrincks "Golem" geraten zum Text für einen Punksong. Doch immer wieder bremst er seinen komödiantischen Übermut, wird ernst und bitterböse. Wenn er beispielsweise als Friseur feststellt, daß immer mehr junge Burschen nach einem Messerschnitt verlangen und er bei so manchem in Versuchung gerät, das Wort wörtlich zu nehmen. "Ich bete jeden Tag für ein Leben ohne Wiederholung" stößt er in einem Text immer wieder aus und wird – in Zeiten bedrohlicher rechtsradikaler Übergriffe – doch nicht erhört.
Die Texte werden von einer spannenden, atmosphärischen Musik untermalt. Natürlich gibt es auch Songs, bekannte Songs wie, Draufgänger, Brille, Alles gelogen, Lola – die aber im neuen Gewand. Es ist ein Kunze zum Zuhören, ein Kunze, der diesmal mehr auf den Kopf als auf den Bauch zielt, ohne phonstarkes Rockgetöse, dennoch mit jeder Menge Kraft und Druck.
Beim Finale schließt sich ein Kreis. 1981 war Heinz Rudolf Kunze erstmals in Berlin zu erleben. Damals auf der Bühne des legendären Kant-Kinos. Damals ebenfalls in eher kammermusikalischer Besetzung. Und damals spielte er das aus höchst aktuellem Anlaß geschriebene Lied, "Regen in Berlin (für Rattay und die anderen)", das es nun wieder zu hören gab. Der Applaus war frenetisch und langanhaltend.
Das Konzert wurde übrigens vom SFB-Fernsehen für eine Ausstrahlung Anfang kommenden Jahres aufgezeichnet. Und im Mai kommt Heinz Rudolf Kunze wieder nach Berlin. Dann aber mit seiner kompletten Band und mit einer kompletten neuen Rockshow.
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