Artikelfoto (Foto von Marion v. d. Mehden)

1993

Live, Heinz Rudolf Kunze

Sporthalle, Hamburg

Seine Entscheidung, Musiker statt Lehrer geworden zu sein, wird Heinz Rudolf Kunze nie bereuen. Immerhin hat sich so die Dimension seines Forums immens erweitert. In der Hamburger Sporthalle blickt er auf 6.000 mündige Bürger, denen er seit Jahren mit aufklärerischer Akribie im Leben assistiert. Kunze stöbert in den Befindlichkeiten des deutschen Alltags, und unter dem Deckmantel gefälliger Gassenhauer bringt der Germanist aus der Provinz allerlei aktuelle Allgemeinplätze unters Volk. In diesem Mann vereinen sich politische Korrektheit und redliche Harmoniesucht, kleinbürgerliche Gemütlichkeit und das Streben nach musikalischer Größe. Seine Suche nach dem richtigen Ton führte ihn bereits in die unterschiedlichsten Richtungen. Im vergangenen Jahr wagte Kunze dann ein gewaltiges Album: Artikelfoto (Foto von Marion v. d. Mehden)Das derbe Draufgänger bemüht seine momentane Vorliebe für die heftigen Hymnen des amerikanischen Underground. Lustvoll zuckt Kunze bei seinem Auftritt zu rhythmischen Rocksongs wie Lebend kriegt ihr mich nicht, spielt schrille Soli und singt verbale Kraftausdrücke. Textstellen wie Leck mich doch passen natürlich zu keiner Lichterkette. Erst bei Alles gelogen entflammen Feuerzeuge. Und wie immer setzt er zwischen den Songs zu meist launigem Kabarett an, pöbelt aber auch über "Nazi-Goreng" und "polnische Rollstuhlfahrer". Mit diesem Zynismus befindet sich Kunze auf der Höhe der Zeit, wobei auch seine treuherzigsten Fans zwischen Verständnis und Verachtung schwanken. Kunze irritiert das nicht. Als Zugabe spielt er "Ich gehe meine eigenen Wege".

Oliver Hüttmann, RockWorld, April 1993

Copyright & Datenschutz Heinz Rudolf Kunze Top