1987

Eine ganze Menge mehr zu sagen als Kurzkrimis und Hitparaden-Herzattacken

Heinz Rudolf Kunze + Verstärkung gastierten beim "5. Liedersommer des FDJ"

Pop-Nachwuchsfestival in Würzburg, November 1980. Auf der Bühne steht einer, dem man den Nachrichtensprecher abkaufen würde: bebrillt, beschlipst, im schwarzen Anzug.

Wenn da nicht das Klavier wäre, wenn aus seinem Munde nicht bissig, zynisch die Bestandsaufnahme des Alltags einer kranken Gesellschaft käme, die Abrechnung mit sich selber auch, nichts dagegen tun zu können, zu bequem zu sein, es zu versuchen.

ArtikelfotoDer Nachrichtensprecher ist keiner, er heißt Heinz Rudolf Kunze. Er gewinnt den Nachwuchswettbewerb, bekommt seinen ersten Plattenvertrag angeboten, entscheidet sich, ihn zu unterschreiben, sein Philosophie- und Germanistikstudium an den Nagel zu hängen, "Popstar" zu werden.

Einiges hat sich seitdem getan: Aus dem bösen, sarkastischen Liedermacher Kunze der 81er LP Reine Nervensache ist der engagierte Rockmusiker HRK des Jahres 1987 geworden, der vor anderthalb Wochen beim 5. Liedersommer der FDJ erstmals auch in unserem Land gastierte, von 15000 jungen Leuten begeistert gefeiert wurde.

Dem Großteil von ihnen war der in Osnabrück lebende Kunze wohl bis dato vor allem durch flotte, eingängige Ohrwürmer wie Dein ist mein ganzes Herz oder Finden Sie Mabel bekannt – kein Wunder, findet doch der "andere" Kunze, der nach wie vor kritische, aggressive Texter solcher Stücke wie In der Sprache die sie verstehn oder Wunderkinder (Zitat/Textzeile: "Wir sind die Wunderkinder – auf Kosten weit Entfernter gut genährt und gut gelaunt ..."). ArtikelfotoIn den Medien seines Heimatlandes kaum statt, ist er in unserem Land doch erst in den letzten Monaten durch seine musikalischen Herzattacken und Kurzkrimis bekannt geworden. Trotzdem hatten es Kunze und seine Verstärkung leicht mit den Tausenden, die trotz strömenden Regens den Weg in die Lichtenberger Parkaue gefunden hatten.

Mit den ersten Takten schon schlug die Begeisterung vor der Bühne hohe Wogen, gehörte die Parkaue ganz Heinz Rudolf Kunze, der von seinem Musiker- und "Künstler in Aktion"-Kollegen Klaus Lage die Empfehlung bekommen hatte: "Das DDR-Publikum ist phänomenal – da mußt du einfach spielen!"

Was er dann auch zweieinhalb Stunden lang tat. Und wie!

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Nach acht Zugaben von der Bühne: Joschi Kappl (b), Heiner Lürig (g), HRK (voc, g, p), Martin Huch (g), Kristian Vogelberg (keyb), und Peter Miklis (dr). "Ich danke euch für eines meiner schönsten Konzerterlebnisse!" rief HRK am Ende von der Bühne.
Rocknummern – größtenteils aus seinen beiden zuletzt erschienenen Langspielplatten – wechselten sich ab mit den lyrischen, leisen Tönen solcher Titel wie Madagaskar und Kadaverstern. Dazwischen immer wieder drei, vier Minuten ohne Musik – Kunze erzählt Geschichten, Beobachtungen, aneinandergereihte Erlebnisse, Gedankenspiele. Die fünfzehntausend reagieren: schweigen, klatschen, zeigen Betroffenheit. Manchmal bleibt uns das Lachen im Halse stecken. Irgendwann, nach acht Zugaben, nach unzähligen "Heinz, noch eins"-Rufen, geht das Konzert mit dem Kompliment: "Ihr seid wie euer Ruf!" und der Frage "Dürfen wir wiederkommen?", die ein fünfzehntausendstimmiger Chor mit "ja" beantwortet, zu Ende.

Es bleibt die Erinnerung an eines der schönsten Konzerterlebnisse, an ein gelungenes Stück 5. Liedersommer der FDJ und die Vorfreude auf den "Sechsten" im Sommer '88.

Aufwärts (DDR), 25. August 1987

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