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"Ich bin kein poetisches Brechmittel" |
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H.R. Kunze, Studienrat
Heinz Rudolf Kunze ist nicht zum Abtanzen, sondern zum Zuhören – deshalb wird er nie ein großer deutscher Star werden. Denn Stars sind nicht intelligent, nicht vieldeutig, nicht analytisch, nicht schwierig, nicht kleingewachsen und von blassem Aussehen.
Und Didaktenbrillen tragen sie auch nicht. Dafür hat Kunze die Berechtigung zur Ausübung des Lehramts an Gymnasien in der Tasche. Und gutbürgerlich verheiratet ist er auch, liebt seine Frau und will ihr treu bleiben. Nein, so einer kann in der U-Musik-Szene nicht reüssieren.
Hat er aber doch! Spätestens mit einem Lied, das zwar untypisch für ihn war, mit dem er aber groß rauskam. Darin reimte er Herz auf Schmerz – und das verschaffte ihm den Durchbruch in Deutschland. War es bis dahin nur eine kleine eingeschworene Fan-Gemeinde, die seine Konzerte besucht hatte, kamen auf einmal die Massen, und selbst die Teenies fanden Gefallen an der Lehrererscheinung aus Osnabrück. Jetzt hat HRK Blut geleckt, will fortan "einfache geradlinige Rockmusik" machen und unbedingt ein Hitparadenstürmer werden. Die neue LP ist seit kurzem auf dem Markt und schon in den Charts. HRK steckt in den Startlöchern für seine bisher längste Tournee, die ihn von Januar bis März in sechzig Konzerten von Flensburg bis Passau durchs ganze Land führen wird.
Wiener: Sie haben behauptet, daß Falcos Obsession David Bowie und dessen musikalischer Werdegang ist. An welchen Obsessionen leiden Sie denn?
HRK: In den ersten Jahren meines Sängerdaseins litt ich vor allem daran, den ganzen Musik- und Spracharbeitern beweisen zu wollen, daß ich alles eventuell sogar noch besser kann. Ich stand unter einem fürchterlichen Beweisdruck: ein ängstlicher Student aus der Provinz, der kaum gewagt hat, richtig durchzuatmen und deshalb hechelnd, kurzatmig und schüchtern singt. Da war viel Verkrampfung, viel Unfähigkeit, mit der eigenen Stimme umzugehen. Ich hatte mich zu stark darauf festgelegt, textlich beweisen zu wollen, daß ich es viel blumiger als Herr Wecker und viel böser als Herr Heller und mindestens so zupackend wie Herr Grönemeyer bringe. Außerdem wollte ich musikalisch immer zeigen, was ich alles kenne: Rhythmusmaschinen, Avantgardemusik, Talking Heads. Ich habe hierhin und dahin geflirtet, und das gab natürlich ein zerrissenes Bild. Was trotzdem eine gewisse Stammkundschaft nicht daran hinderte, mich unbedingt zu mögen. Es bedurfte eines viel populärer denkenden Vormunds in der Band, nämlich des neuen Gitarristen Heiner Lürig, damit in unserem musikalischen Angebot etwas zustande kam, das von mehr Leuten als verbindlich und freundlich und zugänglich wahrgenommen wurde. Also, meine Obsession war ein literarischer Bluthochdruck und, musikalisch gesehen, der zwanghafter Versuch, Enzyklopädisches zu schaffen. Eine Begradigung hat stattgefunden, was aber keiner Vereinfachung gleichkommt. Seitdem wir versuchen, mehr geradlinige Rockmusik zu machen, ist der Arbeitsaufwand gewachsen. Wir wollen jetzt nicht mehr einen Flirt mit der Avantgarde vorzeigen, sondern Musik wirklich zum Schwingen bringen. Das ist enorm schwer, das liegt uns als deutschen Musikern überhaupt nicht im Blut, daran müssen alle hart arbeiten.
Wiener: Sie sind demnach nicht mehr der Kurier der Opposition?
HRK: Nein, nicht mehr so wie früher, obwohl ich meine Musik nach wie vor unter bestimmte Vorzeichen stelle. Ich äußere mich in Wahlkämpfen, bin seit vielen Jahren Mitglied der SPD, habe eine Menge für die Grünen getan, denn ich gehöre in der SPD zum Flügel derer, die sich eine Verbindung beider Parteien vorstellen könnten. Es gibt auf der neuen LP ein bösartiges Nicaragua-Stück, das mir schon als Aufforderung zur Gewalt ausgelegt wurde. Dann gibt es noch ein schlimmes, finsteres Lied über Tierversuche, das von dem zwar groben, aber diskutierwürdigen Satz der englischen Tierschutzbewegung "Für Tiere ist jeden Tag Auschwitz" ausgeht. Lieder, in denen ich auf solche Dinge eingehe, wird es immer wieder geben, sie fallen mir auch viel leichter ein als die Schlager.
Wiener: Wie genau umschreiben Sie Ihren politischen Standort?
HRK: Ehrlich, ich weiß genau, warum ich in der SPD bin. Ich bin als junger Student in die Partei eingetreten, nachdem ich mich bei verschiedenen Hochschulgruppen umgesehen hatte. Die SPD ist immer noch eine Partei mit großer moralischer Tradition, aber ich bin nicht mehr glücklich mit dem, was in ihr passiert und auch nicht mit dem jetzigen Vorzeigehelden. Andererseits ist das, was bei den Grünen passiert, auf eine nervenzerfetzende Weise unausgegoren. Da finden Reibungen statt, die unnötig sind und in denen ich mich, wäre ich ein Grüner, aufreiben würde. Das dümmliche Diskutieren über Reizthemen wie Sexualität mit Minderjährigen verprellt mich.
Wiener: Sie haben sich immer schon als Skeptiker gesehen, dem kleine Schritte, kleine Seitenhiebe und ein grimmiges Grinsen genügten. Vielleicht sind Sie gar ein Pessimist?
HRK: Ja, ich gehöre zum Studienratsflügel der SPD. Zur Arbeiterschaft habe ich keinen direkten Kontakt, ich bin ein Kleinbürgersohn, der nie wirklich unter materiellen Verhältnissen zu leiden hatte. Ich will den Mächtigen und Reichen und Einflußreichen mit List, Raffinesse und Kompetenz soviel wie möglich abringen, aber es soll kein Blut fließen. Ich bin nicht für radikale Lösungen.
Wiener: Wer Ihre politischen Ambitionen kennt, dem muß dann Ihre aufgesetzte Fröhlichkeit bei der letzten Deutschland-Tournee - unter dem leicht großkotzigen Motto "Wir sind die deutsche Antwort auf Prince" – seltsam vorkommen. Wie erklärt sich die Wandlung des HRK?
HRK: Aufgesetzte Fröhlichkeit, das zieh ich mir so nicht an. Wir waren bei der Tour sehr fröhlich, weil sie unsere erfolgreichste war. Wir waren in Euphorie, weil viel an Freude und Zustimmung vom Publikum auf uns zurückschwappte. Von einer Wandlung kann man nicht sprechen, das neue Material ist uns organisch zugewachsen. Wir wissen jetzt, daß wir Leute nur erreichen können, wenn wir sie unterhalten. Ich will den Leuten nicht mehr etwas zumuten, was wie eine Vorlesung abläuft und nach Kreide riecht. Ich will jetzt auch die Kids-Fraktion. Das Studienrats-Getue ist vorbei.
Wiener: Muß Ihnen das nicht ungeheuer schwerfallen, jetzt populäre, leichtgängige Stücke schreiben zu wollen, nachdem Sie sich jahrelang an den großen Literaten, wie etwa Enzensberger, geschult haben? Sie haben doch sogar Literaturpreise eingesackt.
HRK: Enzensberger finde ich gut, obwohl ich ihn nicht liebe. Ich mochte immer sehr gern die Lakoniker lesen, die in den sechziger Jahren ihre Sachen vorlegten. Popliteratur. Wondratschek war anfangs gut, Wolf Dieter Brinkmann habe ich verehrt, auch Hans Henny Jahnn, der den ungeheuerlichsten Roman geschrieben hat, den ich je gelesen habe, "Fluß ohne Ufer", wirklich uferlos, über zweitausend Seiten. Günter Eich ist mir sehr sympathisch, Peter Handkes Bücher waren zeitweise Offenbarungen für mich, jetzt aber geht er mich nichts mehr an. Mit dem Doppelgestirn Böll-Grass konnte ich nie etwas anfangen.
Wiener: Ein Gymnasiallehrer aus Osnabrück als Liedermacher, dem es gelingt, in der Bundesrepublik einen Hit zu landen. Können Sie eigentlich auch mal über sich selber lachen?
HRK: Glaub' ich schon. Zumindest hab ich ein Lied geschrieben mit dem Titel Glaub' keinem Sänger. Keiner von uns hält sich für einen heiligen Ochsen, und zu unseren immer neuen Waterloos bekennen wir uns. Für uns ist Rockmusik eben doch ein importiertes Medium. Unser Lebensgefühl ist ein anderes als das der Amerikaner beispielsweise. Wir haben zu viele Antennen für die Schwierigkeiten, wir empfinden Ungerechtigkeit intensiver, wir leben in einem Land, in dem es spannender ist und nötiger, sich Gedanken zu machen als etwa in Zentraltexas. Ich war mal in so einem Zweitausend-Einwohner-Dorf in Texas, wo es am Wochenende eine Zeitung gab, die so dick war wie das Telefonbuch von Delmenhorst, aber nur auf drei Seiten wurde die Weltpolitik abgehandelt. Genauso ist es mit der Musik in den Staaten. Da kann man anders leben, ganz auf sich bezogen, und so kommen ja auch die Ganzkörperbotschaften eines Prince zustande. Das schaffen wir nie, wir müssen uns immer mit wichtigen Dingen beschäftigen. Meine Lieblingsbeschäftigung ist nun mal, zu Hause in der Sauna zu hocken und den Spiegel zu lesen. Ich hab kein Verhältnis zu schnellen Autos, aufgemotzten Motorrädern und weiblichen Groupies. Obwohl meine Kindheit und Jugend ereignislos war und ich noch soviel nachzuholen habe. Jetzt bin ich verheiratet, habe ein Haus, einen kleinen Sohn und bin immer heilfroh, wenn ich am Wochenende zu Hause sein kann. Also, ein richtiger Rockmusiker bin ich eben doch nicht.
Wiener: Sie haben freundliche Komplimente verteilt, aber meine Frage noch nicht beantwortet. Machen Sie jetzt Herz-und-Schmerz-Lieder, weil Sie Hitparadenstürmer sein und den großen Erfolg wollen?
HRK: Ich wollte immer ganz oben sein, ich bin notorisch erfolgssüchtig. ich bin einem Hit immer hinterhergelaufen, bis ich verstanden habe, da man Hits nicht über Worte machen kann. Man muß Formeln finden, die ganz vielen Menschen ganz unmittelbar und ganz tief einleuchten. Mit Dein ist mein ganzes Herz ist das gelungen. Da habe ich zum erstenmal gemacht, was ich bis dahin verweigert habe: Ich habe einen Text auf eine fertige Melodie geschrieben. Ich wollte ein Liebeslied mit Zwinkern, und zum Glück ist mir diese Operettenzeile eingefallen. Ich bin dem Kollegen Franz Lehár für diese Zeile mit Aura dankbar.
Wiener: Wie wichtig ist Geld für Sie?
HRK: Ich bin ein panisch vorsichtiger Mensch, Geld beruhigt mich enorm. Ich bin ungeeignet für ein exzessives Leben, mein Geld gibt mir die Möglichkeit, mehr Gelassenheit zu haben und mir in aller Ruhe den nächsten Schritt zu überlegen. Ich möchte gern tun, was Neil Young und andere fertiggebracht haben: Als die schwerreich waren, haben sie gnadenlos nur noch das auf Platte gebracht, was sie selber interessierte, in diesem Zickzackkurs, der jede Plattenfirma zur Verzweiflung brachte. Ich möchte nicht immer berechenbar und nicht nur von Zielgruppen abhängig sein, sondern persönliche Lieder mit allen Schrägheiten, aber auch aller Intensität machen. Um so operieren zu können, braucht man ein Polster, und das ist das Geld.
Wiener: Erfolg wollen Sie, Geld wollen Sie, schräge Lieder und dann auch noch, daß die Leute Ihre Botschaft aufnehmen. Was für eine Botschaft haben Sie denn?
HRK: Keine, die man auf Handlungsanweisungen bringen kann. Ich biete Beobachtungen an, seine Schlüsse kann jeder selber ziehen. Ich will anregen, den Alltag genauer wahrzunehmen, mit Sprache mißtrauischer umzugehen, besser hinzuhören.
Wiener: Mir will nicht einleuchten, daß Sie kein didaktisches Konzept verfolgen. Da gibt es ein Zitat von Ihnen: "Ich möchte mit möglichst viel List mich möglichst oft und überall einschleichen, um möglichst vielen Menschen mein Angebot unterbreiten zu können." Da wittere ich doch den Oberlehrer?
HRK: Nein, nein, nein! Mein Angebot ist das einer nicht ganz bewußtlos ablaufenden Form von Unterhaltung. Ich mache einen Hit, ein Liebeslied, weil ich Leuten, die sich daraufhin in mein Konzert oder zum Kauf meiner LP verirren, dann noch ein paar Dinge mitteilen will, die ihnen der Kollege Carpendale doch nicht erzählen wird.
Wiener: Warum müssen deutsche Liedermacher immer etwas mitteilen, warum haben die nicht einfach mal nur Spaß an der Musik? Sie wirken verbiestert, genau wie Ina Deter, Ulla Meinecke oder unser kleiner blonder Ziehgruppenführer Grönemeyer. Das ist so uniform, da ist so wenig Lust, kaum Überschwang.
HRK: Mann, wir sind Deutsche, das darf man nicht vergessen. Für mich zum Beispiel sind Pete Townshend und The Who die definitive Rockband aller Zeiten. Auch die Kinks und David Bowie, über die ich geschrieben habe, finde ich hervorragend Aber ich weiß, daß wir sie nicht kopieren können, wir sollten das gar nicht erst versuchen. Diese Doppelbegabungen im textlichen und musikalischen Bereich, Leute, die sich auf der Bühne bewegen können und mit ihren Händen etwas anzufangen wissen, die gibt es in Deutschland nicht. Hat es nie gegeben, wird es nie geben. Uns kann man nicht idolisieren, wir sind zu normal, zu bieder. Dennoch haben Gestalten wie Ulla Meinecke, Grönemeyer, Niedecken ihre Berechtigung. Selbst Manfred Maurenbrecher, dieser kauzige, kleine, in sich hineinmurmelde Erzähler, der am Piano festklebt und aufgrund seines Erscheinungsbildes einfach nicht geeignet ist, vor größeren Auditorien aufzutreten. Der schreibt phantastische, konkurrenzlose Sachen, hat aber, wie wir alle, keinen hemdaufknöpfenden Schwung. Oder Heiner Pudelow von Interzone, der erschütterndste Sänger, den ich je in Deutschland gehört habe. Was der drauf hat, ist für mich die tatsächliche Anknüpfung an die beste deutsche Unterhaltungskultur bis zu Zarah Leander. Ein Ufa-Rocksänger mit brillanter Aussprache und schwebendem Gesang. Der hat mit Interzone diese drei Platten gemacht, die gigantisch gut sind, aber keiner wollte sie hören. Auch Herwig Mitteregger ist unterschätzt. Das Nölige, Halb-Berlinernde, das ist es! Da ist einer, dem man nicht abhört, daß er immerfort bedauert, nicht aus Los Angeles zu sein. Aber Erfolg hat man nur, wenn man deutschen Peinlackschlager macht. Wer Genauigkeit anstrebt, kriegt teilweise beklemmende Reaktionen.
Wiener: Welche denn?
HRK: Ich sehe es an den Briefen, die hier eintrudeln. Darunter sind schöne und witzige, aber auch viele seitenlange Werke, in denen am Ende, und da wird's knifflig, die Briefschreiber von mir Entscheidungen über ihr Leben erwarten.
Wiener: Aber das provozieren Sie doch, und mit Ihnen die gesamte deutsche Bardenszene! Sie haben im Spotlight eine Guru-Aura, und auf die wird keiner von Euch so schnell verzichten. Jeder deutsche Liedermacher ist ein verkappter Pastor, ein Beichtvater. Stimmt's?
HRK: Da ist schon was dran. Ich ärgere mich selbst darüber, wie ich von manchen Leuten gehört werde. Für die bin ich ein poetisches Brechmittel, die legen den Kunze auf, wenn es ihnen schlecht geht in der Hoffnung, jemanden zu erleben, dem es noch schlechter geht. Ich selbst kann meine früheren Sachen nicht mehr hören, nur noch zu Studienzwecken und wenn ich mich mal totlachen will. Wir können hier nicht genug mit dem Schein spielen, wir schaffen es nicht, uns spektakulär zu entziehen. Bei uns kann jeder Fan nach dem Konzert in die Garderobe.
Moritz Fahrner, Wiener, Januar 1987
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