Cover des Buches "Deutsche Wertarbeit"

1984

Ödipus Calling

Dankbar?
Euch?
Wofür?
Dafür, daß ihr uns das Leben schenktet?
Ihr habt uns nicht gefragt.
Und so ganz uneigennützig war es denn wohl auch nicht,
wer spricht denn dauernd vom Generationenvertrag?
Dafür, daß ihr immer wolltet,
daß wir es einmal besser haben als ihr?
Könntet ihr euch nur einmal so sehen, wie ihr wirklich seid,
dann wüßtet ihr, daß das das Mindeste ist,
was wir vom Leben verlangen müssen.
Nicht dafür. Dafür nicht.
Auch für die Welt nicht, die ihr uns
als ungelöste Rechenaufgabe überlaßt,
wenn man sich das mal überlegt, seht ihr plötzlich aus
wie mißratene hammelblöde Rotzlöffel und wir, die
ratlosen Eltern, fassen uns mürbe an die donnernden Schläfen.
Immer nur das Zersetzende spräche ich aus, sagt ihr?
Freilich ist jedes meiner Worte ein Negativ –
was das Positiv zeigt, hängt weitgehend davon ab,
wie gut ihr entwickelt.
Von Glück wollt ihr hören? Also gut,
ich kann von Glück sagen,
daß er mit Vornamen Hardwig heißt,
mittlerweise promoviert hat
und auf einer Assistentenstelle sitzt.
Doch, er hat sich wirklich gut entwickelt.
Zufrieden? Ah, ich sehe schon, ihr meintet etwas anderes ...
älter müsse ich halt noch werden, denn renke sich vieles ein,
dann komme alles wie von selbst ins dafür vorbestimmte Gefrierfach.
No way.
Älter seid ihr, müder, leiser,
aber klüger seid ihr nicht.
Wie ihr auch dahockt in den getönten, entspiegelten Bunkern eurer Zellulitis-Republik, oben in den eisvogelblauen Leitzentralen
mit eingebauten Selbsterfahrungs-Sauerstoffmasken oder unten
im Maschinenraum, der Kiefer fest verkantet in der
Schweinshaxe des Vordermanns, Kriegsgewinnler seid ihr allesamt nicht,
dazu seid ihr gar nicht smart genug,
Friedensverlustler seid ihr, leckgeschlagen,
nie wart ihr so wertlos wie heute,
voll auf die Kalorienbremse gelatscht, doch ihr kriegt die Karre
einfach nicht in den Griff, abwärts, dreckwärts,
immerhin, die Appetithemmer wirken,
lustlos stochert ihr in der Tagessuppe
aus der Gerüchteküche.
Ihr bringt es noch so weit, daß wir tatsächlich wieder
die Bibel aufschlagen, um herauszufinden,
was eigentlich mit Liebe gemeint war.
Denn was uns am allerwenigsten imponiert an euch,
sind eure permanenten groß herausposaunten Versöhnungen miteinander.
Eure Ehen sehen aus wie das kotbesudelte Schlachtfeld,
das nach Muttis Aussagen von der Wohnung übrig bleibt,
falls Vati nicht vor Überschreiten der Schwelle die Schuhe auszieht.
(Muttis Traumordnung wäre ohnehin
eine ohne Menschen, Mutti definiert den Menschen
als homo exkremens).
Ihr wollt nichts als eure Ruhe und hampelt herum wie Zombies auf Urlaub.
Ihr grabscht nach ungeborenem Leben und verzichtet bis an die Zähne bewaffnet auf das eure.
Hungerkünstler seid ihr. Applaus. Prost. Mahlzeit.

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