Cover des Buches "Deutsche Wertarbeit"

1984

Stell dir vor

Stell dir vor,
du befindest dich mitten in einem Ankreuztest,
sie geben dir den Vornamen Paul,
und du sollst ergänzen:
a) McCartney,
b) Breitner,
c) Cezanne,
und deine Zukunft und noch die deiner Kindeskinder
hängt davon ab. Stell dir vor,
du legst dich unverhältmismäßig spät
ins längst schon dunkle Doppelbett,
dieser altbekannte Körper reglos neben dir,
und plötzlich spricht aus ihm eine kellertiefe Monsterstimme
und sagt: Sicherlich werden Sie sich fragen,
warum ich Sie hierhergebeten habe.
Stell dir vor,
du hast jahrelang, deiner Eingebung getreu,
alles aufgeschrieben, was dir in den Sinn kam, alles,
du warst der zuverlässigste Knappe deiner kauzigen Kreuzzüge,
und plötzlich, eines Nachts nach all den Jahren,
kannst du nicht mehr,
es ist halb zwei, du bist un-be-schreiblich müde
und verweigerst den Befehl.
Laß mich zurück, zieh weiter, sagst du der Idee
in der Atemwüste.
Dein erster abgewürgter Einfall. Wie fühlt sich das an?
Wie das eingenhändige Ertränken junger Katzen?
Wie ein Kindesmord? Weniger schlimm? Oder schlimmer?
Stell dir vor, beim Aufziehen solcher Gedanken
hättest du keinen, in dessen Fleisch du
von allen bösen Geistern verlassen fassen kannst –
dann, stelle ich mir vor,
müßtest du einer sein,
der soetwas schreibt.

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