Cover des Buches "Papierkrieg"

1986

Pech

Anläßlich einer Fernsehdiskussion im schwäbischen Städtchen Horb
hätte am 31.10.1984 die Welt verändert werden können.
Gegen Ende eines end- und fruchtlosen Gesprächs über die
Theologie der Befreiung zwischen samenfremden Besserwissern
und nichtjüdischen Käppchenträgern («aus Solidarität zum
Alten Testament!») trat ein junger langhaariger Mann ans
Mikrophon und sagte leise:
«Seid ihr bescheuert oder was?
Wieso eigentlich immer dieses Entweder-Oder?
ENTWEDER die Verhältnisse verändern ODER den Einzelnen?
Schwachsinn!
Beides muß passieren! Habt ihr eigentlich Bibeln auf den Augen?»
Es folgte ein langes Loch randvoll mit Schweigen.
Dann machte sich allmählich die Einsicht breit.
Kleine Grüppchen begannen miteinander zu murmeln.
In mehreren Ecken des Saales wurden Gesänge angestimmt.
Schließlich schrie alles durcheinander,
fiel sich um den Hals, tanzte. «Klar! Das ist es!
Den Einzelnen UND die Verhältnisse! Den Einzelnen
UND die Verhältnisse!»
Am 31.10.1984 hätte, ausgehend vom schwäbischen Städtchen Horb,
die Welt verändert werden können. Es war 21 Uhr und 12 Minuten.
Leider stürzte in diesem Augenblick ein Tornado der Bundes-
luftwaffe, der sich auf einem Nachtflug von Ulm nach
Mannheim befand, auf das Gebäude.
Und die Fernsehdiskussion hatte niemand gesehen.
Es war ja auch nur das dritte Programm,
und bei Frank Elstner schwebte zur gleichen Zeit ein
Bulldozer über zehn Eier.

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