Cover des Buches "Nicht daß ich wüßte"

1995

Mein Problem

Auf dem Weg zum Arbeitsamt werben sie im Autoradio für FLEISCHESLUST – die zwanzig schönsten Gynäkologenlieder. Und irgendwie denk ich mir: Du hast alles falsch angefaßt. Und dann sagt da noch das nette Mädchen auf dem Amt zu mir: Wir hätten da noch was als Rock-Poet frei. Können sie schreiben? Es geht, sage ich. Bis auf die Kommasetzung. Eigentlich bin ich Agent, doch ich wollte mich eh verändern. Mein einziges Problem ist: Ich kriege meine Sonnenbrille nicht mehr ab.

Ich nehme Mittel für den Kreislauf. Ich habe zwar kaum einen, aber besser ist besser. Und überall Schilder, und nirgendwo Teddybären. Und mein Problem ist: Ich kriege meine Sonnenbrille nicht mehr ab.

Schräg gegenüber eröffnet ein Lokal für AUTOMATENUNTERHALTUNG. Das mußte ja so kommen. Seit Jahren bedrückt uns das Freizeitproblem der Automaten. Schließlich gibts von denen schon mehr als Ausländer. Und irgendwo müssen die ja auch nach Feierabend hin. Und Menschen müssen hier leider draußen bleiben. Und mein Problem ist: Ich kriege meine Sonnenbrille nicht mehr ab.

Alle, die du kennst, sind arbeitslos. Eh du was getan hast, bist du arbeitslos. Alle suchen Arbeit, keiner sucht die Wahrheit. Ich möchte mich beschweren und finde kein Gehör. Ich laufe immer weiter, von Behörde zu Behörde, und nirgendwo ist jemand da. Schließlich stehe ich fix und fertig im WC vom Kanzleramt. Da liegt ein falsches Dreifachkinn, und abgeschnallte Fettwanstkissen. Das Oberlicht steht offen, und ganz weit hinten kann man hören, wie einer keucht und rennt. Und ich schaue in den Spiegel und da merke ich erst: Ich habe gar keine Sonnenbrille auf. Ich wünsche dem Ausreißer alles Gute, weit wird er nicht kommen. Sie trommeln gegen die Tür. RAUSKOMMEN, brüllen sie. WIR WISSEN, DASS SIE DA DRIN SIND. DAS KABINETT SNIFFT ALLESKLEBER, UND DER PLENARSAAL IST VOLLER RUSSEN! Also gut, sage ich. Ich komme. Aber nur, wenn ich nie mehr blinzeln muß. Besorgt mir eine Sonnenbrille. Aber eine mit Scheibenwischer.

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