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Liebe Eltern
Liebe Eltern: Immer noch keine unheilbare Krankheit.
Ich weiß, Ihr wartet so drauf. Was soll ich denn machen.
Noch mehr rußige Steaks als ich kann keiner verdrücken.
Ich tobe durchs Beziehungsgefecht mit steifer Lanze,
japanisch unbeeindruckt, cool und begehrenswert
(finde ich jedenfalls), aber keiner steckt mich an.
Irgendwie strahle ich sowas abstoßend Gesundes aus,
da werden die plötzlich alle wieder immun, zumindest gegen mich.
Mir ist mehr als klar, daß Ihr alles dafür geben würdet,
noch dabeisein zu können bei meiner Beerdigung, besonders Vater.
Das geht nicht gegen Dich, Mutter. Ich denke an kaum noch was andres,
als Euch diesen letzten Traum nicht vorzuenthalten.
Ihr wolltet schließlich bei allem in der ersten Reihe sitzen,
was mich betraf, BEI ALLEM, IMMER.
Manchmal träume ich, daß selbst das Fortpflanzungsorgan meiner Frau
die Form eines Schlüssellochs hat. Unvergeßlich auch,
wie Ihr alle Drogerien im Umkreis von 100 Kilometern terrorisiert habt,
bis extra für mich Windeln in XXL hergestellt wurden.
Ich weiß genau, Ihr seid enttäuscht, daß ich Euch
nichts Schlimmes zu berichten habe. Natürlich würdet Ihr Euch das
nie anmerken lassen. Ihr habt ja auch nie eine Miene verzogen,
wenn ich mal nur mit 'ner Zwei aus der Schule kam.
Oder am mittäglichen Weißkohl fast erstickte,
der stank wie mit verfaultem Fisch eingeriebene Filzpantoffeln.
Immer Haltung bewahrt. Inzwischen zwar mehr Schonhaltung,
wegen der Rückenmarksversteifung, aber Haltung.
They don't make Moms and Dads like this anymore.
Ich habe getan, was ich konnte, verdammen dürft Ihr mich nicht.
Erst das verkrüppelte Bein, fast hätte ich lebenslang gehinkt!
Das hat nicht ganz hingehauen. Dann die bescheinigte Untauglichkeit
zur Verteidigung der Freiheit, die abgebrochen Promotion,
der unanständige Beruf – Mühe gegeben habe ich mir,
das müßt Ihr schon zugeben.
Daß ich es mal besser haben sollte als Ihr,
war so plausibel wie der Endsieg.
Liebe Eltern, noch im Schlaf höre ich Euch schlurfen
durch die vergilbten Blätter des Herbstes Eures Lebens,
auf und ab, auf und ab, und sehnsüchtig wartet Ihr
auf die eine finale Nachricht von Eurem über alles geliebten Sohn,
hustend starrt Ihr in sonntäglichen menschenleeren Kirchenschiffen
auf das reglose, ratlose Kruzifix,
amputiert seine Haken, die es zum rollenden Feuerrad machten,
einmal noch soll der Adler fallen,
einmal noch der lockende, jaulende Orgasmus der Sirenen,
Schutt, Asche, Vorhang, Ende, Kinderdämmerung –
also, wie gesagt, liebe Eltern, immer noch keine unheilbare Krankheit.
Achte auf Papas Blutdruck, Mama. Hau ihm auf die Finger,
wenn er wieder in Leserbriefen öffentliche Einrichtungen für
Raucher fordert, du weißt genau, er soll sich nicht so aufregen.
Und Mama: Huflattich. Denk an meine Worte.
Huflattich wirkt manchmal Wunder.
Ich ruf wieder an.
Und wenn ich was weiß:
Ihr seid die Ersten.
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