Cover des Buches "Papierkrieg"

1986

Kuckma Inge

Kuckma Inge kuckma,
wie der sich festhält am Mikrophon!
Als ob die Bühne schwankt.
Aber wahrscheinlich schwankt der selber,
zu viele Orgien gefeiert nach den Triumphen,
sex&drugs&Dosenbier, man kennt das ja.
Und überhaupt, wie der aussieht:
Der Stolz italienischer Frauen und finnischer Saunen,
der Schrecken Darmstädter Nächte.
Wie der die Arme ausbreitet: Ich bin für alle da!
Wenn du mich fragst, das klassische AIDS-Modell.
Kuckma nich hin, Inge, der kuckt gerade her!
Wenn ich dem jetzt die Zunge rausstrecke –
das müßte der doch sehen, was meinst du, Inge,
vielleicht bring ich ihn raus, er vergißt seinen Text,
dann wär das nicht mehr sein Konzert, dann wär das meins!
Dann würd der lange daran denken, daß ICH hier war:
Vorne rechts, Kassenbrille Bürstenschnitt,
Getuschel hinter vorgehaltner Hand und beim Beifall ohne Arme.
Aber der kann mich ja gar nicht sehen,
der kriegt ja einen Strahler in die Fresse, Jungejunge,
wie beim KGB-Verhör. Darum blinzelt der auch immer so.
Der ist bestimmt gar nicht kurzsichtig, die Brille gehört
zum Image, ich glaub dem sowieso kein Wort und kein
Kleidungsstück. Wenn der eines Tages im Rollstuhl
auf die Bühne kommt, hat er bestimmt in der Garderobe
die Turnschuhe stehenlassen. Kuckma Inge kuckma,
jetzt hält der sich sogar beim Singen ein Ohr zu!
Kann der seinen eigenen Scheiß schon selber nicht mehr hören?
Und jetzt umarmt er seinen Gitarristen zum Dank für ein
gelungenes Solo! Sag mal, für wie dumm will der mich
eigentlich verkaufen? Man weiß doch, wie das zugeht bei
diesen Leuten: Hinter der Bühne warten fünf schwarze
Limousinen, für jeden eine, mit laufendem Motor,
und wenn der Schlagzeuger vom Bassisten die Uhrzeit wissen
will, werden die Rechtsanwälte eingeschaltet.
Die haben doch alle kleine Spickzettel hinter ihren
Monitoren, wo draufsteht: Lächle, denn sie machen dich reich.
Kuckma Inge, jetzt schmeißen sie dem sogar Blumen hin.
Der macht nur'n paarmal den Mund auf und zu,
und schon regnets rote Rosen.
Ich steh den ganzen Tag am Fahrkartenschalter, Inland Ausland,
Busse und Bahnen, die Welle der Vernunft,
und schenkt mir etwa einer rote Rosen?
Kuckma Inge kuckma, wie naß der ist!
Der Mann ist doch fertig, der hatn Kopf wie ein Streichholz,
aber der macht immer weiter, der gibt immer noch mehr Gas,
der holt immer noch mehr raus, wie macht der das bloß?
Also für mich wär das nichts. So auf der Bühne,
vor all den Leuten, für mich wär das nichts.
Nicht daß ich nichts zu sagen hätte. Wenn ich loslegen würde,
ich sage dir, Inge, da würden sich einige Leute aber umkucken!
UMKUCKEN, sage ich dir! Kuck da doch nich so ausdauernd hin,
Inge, der kuckt jetzt schon mindestens seit zwei Strophen
in deinen Ausschnitt! Irgendwie fehlt diesen Sängern doch sowas
wie Schamgefühl. Aber kuckma Inge: Der ist nicht nur geschwitzt.
Kuckma genau hin Inge:
Der weint ja.

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