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Eine momentane Trübung, sonst nichts
Danke, ich bin wieder ganz klar. Eine momentane Trübung, sonst nichts. Frühes Aufstehen. Nichts geht über frühes Aufstehen. Still im Sessel sitzen morgens, in der menschenleeren Pendlersiedlung, die Sonne wandert über den Bauch, und Barthaare ausreißen. Eins nach dem andern, rötlichwunde Hautlöcher oberhalb der Oberlippe, Salbe draufschmieren, weiße, und spüren, wie es klebt und kühlt. Die abgekauten Nägel? Nicht der Rede wert. Alles klärt sich nach und nach, alles läuft verläßlich auf einen Sinn hinaus. Ich lese allerdings auch niemals Hauptwerke. Hauptwerke sind mir verhaßt. Alles, was irgendwie nach Hauptwerken riecht, meide ich angeekelt. Ich verabscheue die Aura von nachgesagter Wichtigkeit. Ich verachte das angebliche Gipfeltum schöpferischer Menschenpracht. Hauptwerke und alles, was mit ihnen zusammenhängt, hängen auf der Wäscheleine meiner Welt! Und so trocken können sie nimmer werden, daß ich sie jemals wieder hereinhole! Ich lese nur Skizzen, Notizen, Entwürfe, Sentenzen. Lange Verschollenes, Abgestrittenes, Nebensächliches, darin finde ich mich wieder. Ich lebe nur auf bei Sätzen, die irgendwann vom Autor bereut worden sind, für nichtig erklärt, für nie entstanden. Das preise ich dann meinen Freunden an. Und lache sie aus, weil keiner das kennt. Sicher, solche Art Vorsprung macht einsam. Doch bekenne ich mich rückhaltlos zu dem Ruf, in dem ich stehe, einem Ruf, der meine Lebenswelt spaltet in eine schüttere Hand von ergeben an meinen Visionen Teilnehmenden und eine Flut von Teilnahmslosen und Feinden. Angenommen, du hättest den Knopf zu verwalten, sagen meine Freunde, den einen roten Knopf, der alle anderen roten Knöpfe auslösen kann, dir könnte man das anvertrauen. Du kannst deine ganz privaten Probleme davon trennen, sagen meine Freunde. Das ist schließlich was anderes. Wenn deine Haustür hinter dir zugeht, bist du ein ganz anderer Mensch, sagen meine Freunde. Danke der Nachfrage, alles im Griff. Eine momentane Trübung, sonst nichts.
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