Cover des Buches "Deutsche Wertarbeit"

1984

Alltag im Paradies

Der liebe Gott macht sich Notizen auf roten, herzförmigen Zetteln.

Der liebe Gott trägt lange Unterhosen bis in den Mai
und lernt Portugiesisch an der Volkshochschule.

Beim Versuch, seinen Notenständer aufzubauen,
fragt sich der liebe Gott jedesmal,
wie er so einen Scheißdreck hat schöpfen können.

Der liebe Gott bekommt noch immer viel Fan-Post,
meistens von ganz jungen Mädchen.
Sie wollen wissen, welche Musik er am liebsten hört
und wann er mal wieder nach Deutschland kommt.

Der liebe Gott versucht ernsthaft,
jeden Brief zu beantworten, aber andauernd gibt es
so viel zu tun und manchen hat er auch schon
verlegt, wie neulich den vom Vatikan
mit der Einladung zum Abendessen.

Der liebe Gott denkt jeden Abend vor dem Einschlafen
angestrengt darüber nach, warum er sich noch nicht
hat scheiden lassen. Er stellt dann regelmäßig fest,
daß er noch immer gern nachhausekommt, wenn es ihn auch
zusehends öfter hinauszieht dahin, wo Damen auf ihn warten,
ihm Gedichtbände schenken und Puppen und bitten,

Er möge doch gleich bleiben. Seine Frau ist
Atheistin, das ist gut so, denn das sorgt dafür,
daß er niemals allzu lautstark abhebt.
Der liebe Gott macht sich Notizen auf roten,
herzförmigen Zetteln und sagt für die Dauer
der Fußballweltmeisterschaft
alle Termine ab.

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