Titelseite von "Mücken und Elefanten"

1992

Abwarten

Warten wir's ab.
Sie werden den Tag der deutschen Einheit umtaufen
zum Tag der Abschaffung der Wirklichkeit,
den Tag der Arbeit zum Tag des Neides
und den Jüngsten Tag zum Wandertag.
Ihr privater und öffentlich-rechtloser Schönfunk
wird nur noch Platten spielen, auf denen die
anstaltseigenen Moderatoren das Lob des Senders singen.
Die Erben Axel Springers werden alles was sie haben
an die Erben Walt Disneys verkaufen.
Die moderne Kirchenmalerei in den Vereinigten Staaten
wird Jesus beim Letzten Abendmahl mit Fast Food
aus dem Archipel Gulasch ausstatten.
Sie werden Atlantis entdecken und sich nichts dabei
denken.
Sie werden an Teilchenbeschleunigern arbeiten,
die das Vergessen vor dem Erleben ermöglichen.
Das wird wunderbar sein,
eine mentale Melkmaschine.
Sie werden uns in Lager stecken,
wo man aufstehen darf, wann man will,
der Frühstücksraum hat bis zwölf geöffnet,
die Duschen sind stufenlos regelbar und der
Kurzhaarschnitt liegt voll im Trend.
Es gibt keine harte körperliche Arbeit
und keine größere Strafe als Entlassung.
Zugegeben, ein gewisser Frauenmangel wird herrschen,
aber das war doch eigentlich nie und nirgendwo anders,
oder?
Das alles wird kommen,
wenn wir's nur abwarten.
Wenn wir's nur
abwarten.

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