Heinz Rudolf Kunze

2007

Wie ein Sequoia-Baum

Kolumne. Der Rockmusiker Heinz Rudolf Kunze über die neuen Platten alter Idole. Kunze, 50, begann als Liedermacher, sein erster Hit war Dein ist mein ganzes Herz. Mit der Single Die Welt ist Pop aus seinem neuen Album Klare Verhältnisse tritt Kunze beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an.

Es gibt vier Platten aus dem vergangenen Jahr, die ich als neue Lebenszeichen wahrgenommen habe. Zunächst wäre da das Album „Endless Wire“ von The Who. Ich bin der extremste Who-Fan der Welt. Natürlich habe ich alle Platten. Und obwohl ich schon aus eigenem Interesse ein Gegner von Raubkopien und Bootlegs, also unerlaubten Mitschnitten von Konzerten, bin – ein Freund schickte mir mal Mitschnitte von Konzerten der Who. Ich schickte sie nicht zurück.

Ich war also als Fan voller Sorge, dass mich das neue Album enttäuschen könnte. Denn schließlich, was ist ein Who-Album, wenn die Hälfte der Band schon nicht mehr lebt? Es ist eher ein Pete-Townshend-Solo-Album, bei dem Roger Daltrey mitmacht. Aber es steckt voller augenzwinkernder Anspielung auf die eigene Musik und ist ein schönes, würdiges Alterswerk. Besonders aufgefallen ist mir das Stück „In the Ether“, auf dem Pete klingt wie eine Tom-Waits-Imitation. Es ist das erstaunlichste Lied der Platte. Es ist harmonisch so anspruchsvoll, es könnte von Cole Porter sein. Dabei wäre ich nicht einmal böse gewesen, wenn es nicht gelungen wäre. Gerade als Fan will man doch auch die schwachen Stunden einer Band begleiten. Das gilt auch für Neil Young, dessen jüngste Platte ich nicht so gut finde und trotzdem bleibe ich natürlich Fan von Young.

Aus einem anderen Grund hat mich „Surprise“ von Paul Simon sehr beeindruckt, denn es ist – da stimmt der Titel – eine echte Überraschung. Simon hat schon früher bewiesen, dass er weiterschaut und hat als Weltmusikpionier viel erreicht. Aber die Entscheidung von Simon den Keyboarder Brian Eno einzuspannen, fand ich mutig. Aber es ist toll, wenn ein alter Haudegen wie Simon sich mit einem Künstler aus einer ganz anderen Welt konfrontiert. Es ist eine künstlerisch integre Entscheidung, wenn ich wie Simon, der Songs wie „Bridge over troubled water“ komponiert hat, sage ,das kann ich eh nicht mehr toppen‘ also schaue ich, was es sonst noch gibt. Was bleibt einem Künstler, der Fans hat, die immer das Gleiche erwarten? Schweigen oder sich neu erfinden. Oder zynisch werden.

Morrissey hat wiederum ein Album vorgelegt, im Stil seiner alten Band The Smiths. Und es ist schade, dass sich die Band so früh aufgelöst hat, denn es war die letzte bedeutende britische Band außer Radiohead. Ich bin zwar Oasis-User aber keine Oasis-Feierer. Aber gut, beim Britpop war ich immer eher auf der Seite von Blur. Aber Morrissey ist ein großer Songerzähler und auf „Ringleader of the Tormentors“ gefällt mir seine misanthropische Oscar-Wilde-Maulerei. Und wenn man „You are the Quarry“ noch dazuzählt, dann hat er im Laufe von drei Jahren zwei wundervolle Alben herausgebracht. Er steht in einer Reihe der großen Songerzähler wie Bryan Ferry oder Ray Davies. Dass es heute keine Songerzähler mehr gibt, liegt vielleicht daran, dass die Welt kaum noch zu begreifen ist. Es wäre natürlich fantastisch, wenn ich beim Eurovision Song Contest gegen ihn antreten könnte, sollte er denn für England antreten, wie die BBC es sich wünscht.

Und die vierte Platte der Reihe der gelungenen Alterswerke ist „Modern Times“ von Bob Dylan. Sie ist so gut geworden, dass einige sie als beste aller Zeiten bezeichnen – ich meine, da gibt es noch zehn andere, die das auch sind. Ich mag auch seine Alben aus den Acht- und Neunzigerjahren. Und wenn ich 60 bin und noch eine so entspannte Platte hinbekomme, das wäre noch ein Lebensziel. Ich bin auch in seinem Fall nicht böse, dass er wieder zurückgeht zum Blues, statt wie Simon neue Ufer zu suchen. Damit erreicht er dennoch Leute, die sonst nicht so viel mit Dylan anfangen können oder ihn nicht kennen. Mein Bassist ist 15 Jahre jünger und hat „Modern Times“ gehört, die in den Pausen lief, als wir im Studio „Klare Verhältnisse“ aufgenommen haben. Der sagte dann: „Die nehme ich mit.“

Ja, und zu den anderen 10.000 Platten für die einsame Insel gehört auch Johnny Cashs Box mit fünf CDs „Unearthed“. Er ist wie ein Sequoia-Baum, der immer besser, intensiver und toller wird. Wenn ich dort jedoch schreiben wollte, stets zunächst mit Stift, dann bräuchte ich Musik von Komponisten wie Ligeti oder Varese, die läuft, wenn ich texte. Aber wenn es denn nur eine sein dürfte, dann wäre es von meiner Lieblinsgband The Who das Album: „Who’s next“, natürlich. Die gehört zu den Scheiben, die ich regelmäßig und oft höre und auch künstlerisch hoch einschätze.

Thorsten Firlus, WirtschaftsWoche, 18. Februar 2007

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