Heinz Rudolf Kunze

2005

Angst vor Sprachverfall

Nach 25 Bühnenjahren ist Kunze immer noch Rebell

"Im Westen wird das nicht so einfach, da müssen wir mehr kämpfen", lächelt ein glücklicher Heinz Rudolf Kunze nach dem furiosen Tourneeauftakt in Halle/Saale. Zum zweiten Mal in diesem Jahr fegt der Deutschrocker en suite über die Bühnen, um sein neues Album Das Original bekannt zu machen. Morgen ist er im Jolly Joker in Braunschweig (Restkarten an der Abendkasse). Im Westen, wo er kämpfen muss.

In die Charts ist der Sängerpoet mit keinem der Songs seiner neuen CD aufgestiegen. Wiedermal nicht. "Das entscheidet sich in den ersten acht Wochen", merkt der silberne Bühnenjubilar nüchtern an. Die acht Wochen sind um. Die CD kam im Februar raus. Wie ein Verlierer wirkt er nicht. Kunze schaut entschlossen durch die großen Fenster seiner Ray-Ban-Brille und teilt kräftig aus. "Die deutsche Sprache ist in der Gewalt von Blödianen", verkündet er vom Klavierschemel runter. Den Gottschalk nennt er Schrottkalk. "Deutschland sucht den Superstar? Haben wir den ’33 nicht schon gefunden?" So lieben ihn die treuen Fans – Rebell und Rampensau, sezierender Intellektueller und Liebeslieder-Flüsterer.

25 Jahre, 25 Alben, 1200 Titel – wer kennt sich da noch aus? Heinz Rudolf Kunze nutzt auf der Bühne sicherheitshalber einen Teleprompter. Einheitsbrei sind seine musikalischen Einfälle niemals. Wer die Quintessenz über den Dichter Franz Kafka erfahren möchte, hört mit Gänsehaut den Titel K.: "Der Morgen graut, du bist verwandelt in ein plumpes Insekt, du kriechst in Ritzen, und du kostest, wie dein Fußboden schmeckt." Das erspart eine Literaturvorlesung. Heinz Rudolf Kunze ist ein gewissenhafter Star. Punkt acht betritt er die Bühne, auf der er sich zweieinhalb Stunden lang abarbeitet. Seine bemerkenswert schönen Hände illustrieren die Texte, flattern wie Vögel.

Hinterher, in der Garderobe, bei Rotwein, Zigarillo und eingetrockneten Schinkenbrötchen, wirkt er schmächtig, fast zerbrechlich. Er sitzt da im Schneidersitz und sagt, er habe große Angst vor Sprachverfall. "Das einzige, was ich machen kann, ist immer wieder eine Flaschenpost ins Wasser werfen." Die ahnungslose Veronika Feldbusch, die durch die vulgäre Medienlandschaft irrt, sieht er als Metapher für den Zustand unserer Welt. Er würde ihr gern mal persönlich begegnen und fürchtet sich zugleich davor. Wahrscheinlich ist sie nett und sogar schlau, und er ist ja auch nur ein Mann. "Auf einer Skala von Eins bis Zehn: Für wie eitel halten Sie sich?", wird Kunze gefragt und schmettert den Ball zurück "Elf".

Wer sich umfassend über die 25 Bühnenjahre des 49-jährigen Hannoveraners informieren will und die Qualität eines gut geführten Archivs verlangt, der wird fündig in dem neuen Buch Silbermond samt Stirnenfuß von Holger Zürch, Fotos Wolfgang Zeyen. Fakten satt. "Es ist der ADAC-Führer durch mein Leben", kommentiert Kunze.

Karla Götz, Braunschweiger Zeitungsverlag, Oktober 2005

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