Heinz Rudolf Kunze im Kabarett "Leipziger Funzel" (Foto von Sven Walther)

2005

Durchaus ein Ansatz von Wahrhaftigkeit

Heinz Rudolf Kunze zu Gast beim „Funzel-Talk“ mit Moderatorin Katrin Huß (MDR) im Leipziger Kabarett „Funzel“

Montag, 25. April 2005, 20:00 Uhr 

Schönen guten Abend! Willkommen hier im Leipziger Kabarett „Funzel“ zum zweiten „Funzel-Talk“. Schön, dass Sie da sind.

Ich habe mir heute einen Gast eingeladen, den Sie sicher alle kennen. Und Sie sind sicher alle wegen ihm gekommen: Ein Mann, der musikalisch eine Größe ist, der großartige Texte schreibt, der ein toller Musical-Übersetzer ist. Ein Mensch, der nicht nur überall seinen Senf dazu gibt, sondern der auch was zu sagen hat. Es wird sicherlich sehr interessant heute.

Es gibt einen Kritiker, der hat mal gesagt: „Heinz Rudolf Kunze ist ein Mann, der jedes Jahr am liebsten den Nobelpreis und eine Goldene Schallplatte haben möchte – und dann noch den Orden ‚Wider den tierischen Ernst’.“ Ich denke, das hat er alles längst schon verdient. Lange Rede, kurzer Sinn – übrigens von Schiller jetzt im Schillerjahr – : Freuen wir uns gemeinsam auf Heinz Rudolf Kunze.

[Willkommens-Applaus.]

Hallo liebe Freunde, hallo liebe persönlichen Bekannten – und all die nicht persönlichen Bekannten ebenso!

Für die nicht persönlichen Bekannten vielleicht ein kurzer Steckbrief. Sternzeichen? 

Sündenbock.

Alter?Heinz Rudolf Kunze im Kabarett "Leipziger Funzel" (Foto von Holger Zürch)

Ja.

Gewicht?

Auch.

Das war schon mal schlimmer – oder?

Schmeicheln tun Sie nicht gerade.

Größe?

Eins zweiundsiebzig.

Größtes Laster?

Ungeduld.

Lieblingsplatz in Leipzig?

Die Festwiese vor dem Fußballstadion, wo ich im August 1989 ein Konzert gegeben habe – sechs Wochen vor der Wende quasi, bevor es anfing zu bröckeln.

Sie kommen ja gerade vom Kurz-Urlaub.

Würde ich so nicht bezeichnen. Das war eigentlich ein Arbeits-Treffen, auch wenn es auf Mallorca war.

Ich dachte jetzt eher ans Wochenende.

Ach so, das meinen Sie.

Seit dem zehnten Januar bin ich eigentlich ununterbrochen unterwegs, und insofern sind die wenigen Tage, die ich derzeit zuhause verbringe, eher eine Art Unterbrechung meines normalen Daseins. Ich war jetzt vier Tage zuhause und habe versucht, die Tournee und die Reiserei abzustreifen, aber wirklich ist das nicht gelungen. Es war nur eine merkwürdige, irritierende Unterbrechung in meinem derzeitigen Leben.

Und wie sieht dann so ein Wochenende – bei mir wäre es ein Faulenzer-Wochenende – bei Ihnen aus?

So wie Sie es sagen. Also: auf dem Ledersofa, Fernsehen an ohne Ton, Musik an, Buch in die Hand – und ab und zu mal den Schwerpunkt wechseln.

Sie haben zwei doch schon eher größere Söhne und eine Frau – die wollen vielleicht ja auch mal ihren Heinz zuhause haben.

Von dem zweiten größeren Sohn weiß ich nichts. Es gibt einen größeren Sohn – und eine größere Tochter.

[Gelächter im Publikum.]

Das war schon der erste Fettnapf.

Aber kann ja sein

Heinz Rudolf Kunze im Kabarett "Leipziger Funzel" (Foto Holger Zürch)

Aber Sie sind jetzt gut drum herumgekommen, die Frage nicht zu beantworten.

Was war die Frage?

Ihre Kinder und Ihre Frau möchten ja auch ein bisschen was von Ihnen haben zuhause.

Ach, die Kinder weniger. Die sind schon so groß, die haben ihren eigenen Lebenskreis. Die Tochter ist ohnehin im Moment in Amerika für ein Austauschjahr und kommt im Juni wieder. Der Sohn hat eine feste Freundin und kommt eigentlich nur noch zum Wäschewechseln. Und die Frau ist es gewohnt. Die gesamte Familie ist ja sozusagen mit mir und dem Beruf gewachsen, und meine Frau kannte ich schon, bevor ich Musiker geworden bin. Die Kinder sind in diesen Beruf des Vaters hineingeboren und wissen einfach, dass der häufig nicht da ist. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass sie das besonders schlimm finden. Im Gegenteil. Wenn man sich dann ab und zu wieder sieht, ist es recht frisch – und vielleicht sogar besser, als wenn man sich jeden Tag sehen würde.

Wie ist denn so der Kontakt? Rufen Sie dann heute Abend noch zuhause an und schwatzen?

Sicher nicht, weil meine Frau heute Chor hat und mein Sohn wahrscheinlich ohnehin bei seiner Freundin ist. Und mit der Tochter in Kansas habe ich erst gestern telefoniert – das muss heute nicht wieder sein. Man ist ja sparsam

Von diesem Kurzurlaub kommen wir nun doch zu dem Trip, den Sie vorher gemacht haben, nämlich nach Mallorca. Da denkt ja jeder an Urlaub und die Seele baumeln lassen. So war es aber nicht – Sie haben Ihren Kollegen Peter Maffay besucht.

Ich wollte ihn besuchen, es kam aber nicht dazu, weil Maffay nicht richtig informiert war. Wir wollten uns treffen, um gemeinsam ein Interview zu geben für eine Stiftung „Fairplay“, die jetzt im Werden ist und sich um die Fußball-Weltmeisterschaft und Sport im allgemeinen kümmert.

Es lief dann so, dass wir unsere Interviews getrennt geben mussten und wollen das gemeinsame nachholen, wenn er Auf Schalke spielt. Da machen wir dann zusammen ein Statement für diese an sich ganz gute Sache, wo sich auch noch andere Kollegen zuschalten werden und wo es irgendwann einmal auch ein Lied geben soll als Erkennungsmelodie für diese Stiftung. Ich habe jetzt die schwere Bürde auf mich genommen, es zu machen. Ich weiß gar nicht, ob ich selber mitsinge – vielleicht überlasse ich das anderen.

Was ist „Fairplay“ für ein Projekt?

Wir haben dieses Jahr Zeit, um das vorzubereiten. Ich habe bisher nur drei, vier Leute im Hintergrund kennen gelernt, die das finanzieren – sehr uneigennützig mit sehr viel Geld. Die Künstler, die bisher zugesagt haben, sind Peter und ich. Ich habe von Nena gehört, ich habe von Jasmin Wagner gehört und Frau Birkenstock, die da mitmachen will. Und so langsam wächst die Liste der Beteiligten.

Das Ganze ist schon sehr ehrgeizig angesetzt. Und Gott sei Dank ist die Stiftung auch recht begütert ausgestattet. Es soll verschiedene soziale Aktivitäten geben, der sich um Sorgen junger Heinz Rudolf Kunze im Kabarett "Leipziger Funzel" (Foto von Holger Zürch)Leute kümmert. Diese Sorgen sollen dann aufgenommen und zum Teil von uns Vorzeige-Gesichtern beantwortet werden. Zum Teil soll das auch weitergeleitet werden an professionelle Psychologen, die dann weitergehende Arbeit leisten. Eigentlich eine sehr schöne Sache. Ich hab bisher mit so was wenig am Hut gehabt, und bei mir kommt es immer darauf an, wie ich gefragt werde und welche Menschen das sind, wie die an mich herantreten. Abstrakte Anlässe begeistern mich eigentlich selten. Es kommt immer auf den Typ an, der mir so was vorträgt. Ich hab da so einen drallen, energischen Ruhrgebiets-Typ kennen gelernt, den Herrn Mühlenburg, der das vertritt. Und der hat mich einfach durch seine Dampfwalzen-Charismatik umgehauen.

Und welcher Typ kam auf Sie zu und hat gesagt ‚Herr Kunze, machen Sie doch mal ein Lied für den deutschen Kirchentag!’?

Das war auch so ein ganz seltsamer biographischer Zufall. Der Kirchtags-Präsident ist ja jedes Mal kein kirchlicher Würdenträger, sondern ein Laie. Und in diesem Fall ist es ein Medizin-Professor, der früher in Hannover lebte und jetzt in Süddeutschland und der rein zufällig mit meinem Gitarristen befreundet ist. Der hat uns angerufen – er kennt unsere Musik sehr genau – und hat gefragt, ob wir vorstellen könnten, so ein Auftragswerk zu erledigen. Heiner und ich haben kurz überlegt und gesagt ‚Warum eigentlich nicht. Die Kirche ist ja kein schlechter Auftraggeber und kein schlechter Bündnispartner. Ist ja nicht OBI oder IKEA.’

Und da ich zu den wahrscheinlich handverlesen wenigen Musikern in Deutschland gehöre, die die Kirche nie verlassen haben, fand ich es auch angemessen. Ich bin Mitglied der Evangelischen Kirche, bin da auch nie ausgetreten – das käme für mich, glaube ich, auch nicht in Frage – , und insofern hole ich mir ein paar Euro Kirchensteuer zurück. Das ist nur fair, finde ich.

„Mehr als dies“ heißt das Lied für den Kirchentag, das auch auf dem neuen Album drauf ist. Bevor wir weiter reden, sehen wir uns einen Ausschnitt an, als Heinz Rudolf Kunze kürzlich bei der MDR-Sendung „Hier ab vier"zu Gast war.

(...)

Wie es das neue Album „Das Original“ denn angenommen worden?

Einigermaßen. Bescheiden, aber fair.

[Gelächter.]

Ich denke, wenn man so viele Platten gemacht hat wie unser einer – es ist die Fünfundzwanzigste immer hin – , muss man schon zufrieden sein, wenn so was auf Platz 28 in den Charts einsteigt. Natürlich hatten wir uns ein bisschen mehr erhofft. Aber ich denke, dass dieses Album einen langen Nachbrenner hat, denn durch den Kirchentag und die zweite Single „Mehr als dies“ wird das Album noch längerfristig promotet werden. Diese kleine Tour von nur neun Auftritten, die wir jetzt absolviert haben, war ja auch nur ein erster Abschnitt. Wir werden beim Kirchentag weitermachen und dann die Open-Air-Saison einläuten. Es gibt etwa 15 Open Airs während des Sommers und im November einen dritten Tour-Abschnitt. Das heißt, das ganze Jahr steht eigentlich unter dem „Live-Vorzeichen“.

Wie lange hat es gedauert, bis das Album fertig war?

Das ist schwer zu beschreiben, weil man ja nicht irgendwann anfängt und sagt „Jetzt machen wir ein Album“, sondern Schreiben und Ausdenken von Texten und Musik ist etwas Kontinuierliches. Das macht man ja dauernd. Wenn dann irgendwann die Signale alle auf Grün stehen und es heißt „Jetzt können wir ein neues Album machen“, dann sortiert man: Was habe ich – und was passt zusammen – musikalisch als auch textlich? Was gibt ein Gesamtbild? Und irgendwann schließt man die Akte und sagt „Jetzt fangen wir wirklich an“. Die Texte sind da, die Melodien sind da. Man schöpft aus einem Fundus von 30, 40, manchmal 50 Sachen und angefangenen Liedern. Die spitzt man dann zu, und der eigentliche Arbeitsvorgang – abgesehen vom Ausdenken – umfasst drei Monate Vorbereitung der Stücke und drei Monate konkrete Arbeit im Studio an den Stücken. Also ein halbes Jahr konsequentes Jahr und anderthalb Jahre Vorlauf.

Auf Ihrer Internetseite werkzeug.heinzrudolfkunze.de zählen die Macher ja mit, wie viele Texte Sie schon geschrieben haben – bislang sind mehr als eintausend. Wie kommen Sie immer wieder auf neue Ideen, auf neue Themen? Liegen die für Sie auf der Straße, oder kommen Sie auf die beim Duschen oder beim Autofahren?

Es ist die regelmäßige Beschäftigung mit Sprache und Tönen. Für mich ist beides etwas nahezu Tägliches. Wenn ich nicht unterwegs bin, ist das etwas, was für mich zum normalen Leben dazugehört wie Essen, Schlafen und alles mögliche andere, so dass der Kontakt dazu nie reißt. Das ist ganz wichtig. Und aus diesem ständigen Rumtummeln im Aquarium der Worte und Töne erwachsen dann irgendwann Sachen – und ich grenze das dann ein.

Die Themen können von überall her kommen. Es ist also bei weitem nicht nur Erlebtes – soviel hätte ich gar nicht erleben können, dass ich so viele Alben und Bücher hätte machen können. Ich bin damit beschäftigt, Sachen zu erfinden und mein kleines winziges Privatleben da auch mit einfließen zu lassen als ein Baustein. Aber das Meiste, was ich mache, ist doch erfunden und aufgeschnappt. Mein wirkliches Leben spielt nur eine kleine Rolle darin.

Wie gehen Sie dann vor? Schreiben Sie sich das auf kleine Zettel und denken sich dann eine Melodie dazu aus? Oder ist es anders herum?

Da gibt es alle denkbaren Varianten. Normalerweise ist erst ein Text da. Nur manchmal ist zuerst eine Melodie da, aber das ist eher die Ausnahme. Und der allerseltenste Glücksfall ist der, dass beides gleichzeitig kommt und man schon beim Aufschreiben der Worte etwas summt, was dann die Melodie ist. Doch das sind höchstens zehn Prozent.

In der Mehrheit der Fälle gibt es erst einen Text und dann – insoweit ich komponiere – geht’s um die Musik. Es sei denn, meine Partner in der Band nehmen sich einen Text von mir raus, weil sie die alle von mir ständig im Fax haben – die werden nahezu täglich damit bombardiert. Und dann meldet sich jemand zu Wort und sagt „Den möchte ich gerne machen“. Wenn ich da nicht streng opponiere, überlasse ich den ihnen auch.

Dieter Bohlen hat mal gesagt, er gehe jede Woche regelmäßig in ein Musikgeschäft und höre sich sämtliche Neuerscheinungen an, um sich so einen Input zu verschaffen, was momentan angesagt und Trend ist.

Das ist sehr klug.

[Gelächter.]

Ja – wer wäre ich, dem Kollegen Bohlen zu widersprechen?

Also ich mach das nicht.

Wie machen Sie das? Wie halten Sie sich auf dem laufenden? Orientieren Sie sich überhaupt an Trends?

Also, ich halte mich für relativ informiert. Ich habe seit 1969, als ich dreizehn war, Tonträger gesammelt und habe inzwischen so um die 40.000 davon zuhause. Ich vermute mal ganz vorsichtig, dass die wenigsten davon Herrn Bohlen gefallen würden. 

[Gelächter.

Fünfzwanzig Jahre.

Ja.

Fünfundzwanzig Alben.

Leider wahr.

Gefühlte Zeit fünf Jahre, oder wie war das?

Ja, es ist schon erstaunlich. Wenn man zurückschaut auf den Anfang im Januar 1981, als ich den ersten Vertrag unterschrieben habe, beziehungsweise auf den Herbst 1980, als ich erstmals öffentlich aufgetreten bin. Aber es muss ja so lange her sein, weil man ansonsten ja in dieser Zeit das nicht alles hätte machen können. Es war ein solcher Wirbel und Strudel von Ereignissen und Personen, Vorkommnissen und Erlebnissen – wunderschöne, manchmal auch sehr deprimierende, das gehört alles dazu. Eine riesige Achterbahn von Empfindungen, von Sachen, die man durchgemacht hat. In der Rückschau beschleunigt sich so etwas wahnsinnig. Man denkt „Das kann doch nicht wahr sein, dass das ein Vierteljahrhundert her ist“.

Wenn man die Leute auf der Straße fragt nach Heinz Rudolf Kunze, dann werden meist drei Titel genannt: „Dein ist mein ganzes Herz“, „Mit Leib und Seele“ und „Finden Sie Mabel“. Die sind alle schon ewig her. Stört Sie das, dass man Sie damit identifiziert?

Nein, denn das ist ja etwas ganz Normales. Die Kollegen, die wie ich lange dabei sind, werden alle – egal ob sie deutsche oder angloamerikanische Kollegen sind – meist auf die relativ frühen Titel festgelegt, die beim dem Publikum, das dann mit einem gewachsen ist, den ersten richtigen Stempel hinterlassen haben. Natürlich ist dass ein bisschen schade, weil man viel mehr gemacht hat. Aber im Grunde muss man dankbar sein, dass man überhaupt ein, zwei, drei Hausnummern hat – immer noch besser, man hat die als man hat keine.

Sicherlich erschöpft sich meine Arbeit nicht in diesen drei Titeln, und ich bin auf manchen Titel viel stolzer als auf „Dein ist mein ganzes Herz“. Ich fand zum Beispiel die nächste Single „Mit Leib und Seele“ viel besser. Und auf „Finden Sie Mabel“ bin ich richtig stolz – das war ein verantwortbarer Hit.

[Gelächter.]

Was halten Sie denn von den Casting-Shows und den aktuellen Rummel um Gracia, wo es heißt, der Manager hätte einen großen Teil der Alben aufgekauft, damit sie in die Charts kommt und so beim Eurovision Song Contest mitmachen kann.

Es kann mich nicht besonders aus dem Sessel heben, weil ich solche Praktiken eigentlich immer schon in bestimmten Bereichen der Popmusik unterstellt habe. Ich glaube nicht, dass David Brandes etwas sensationell Neues erfunden hat. Er war nur so blöd, sich erwischen zu lassen. Wir haben übrigens nie so etwas gemacht. Ehrlich.

Sie sind jetzt auf Promotion Tour gewesen. Wie werden Sie da denn aufgenommen? Sagt man „Kunze – das ist doch Schnee von gestern“, oder sagt man „Schön, endlich mal wieder was Neues“?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt natürlich eine normale Abnutzung qua Alter, unter der nicht nur ich zu leiden habe, sondern auf anderem Level auch Leute wie PUR und Peter Maffay, die auch inzwischen, weil sie über zwanzig Jahre dabei sind, nicht mehr so regelmäßig im Rundfunk eingesetzt werden, wie das früher der Fall war. Damit muss man leben.

Immerhin habe ich eine Zeitspanne gehabt von 1985 bis 1990, wo in meinem Heimatsender, wo ich lebe, beim NDR, jeden Tag ein Kunze-Stück im Radio war. Zeitweise hatte ich mehr Radioeinsätze als Elton John. Es hat mir auch wenig genützt – aber immerhin hatte ich das.

Ich finde es jetzt jedoch etwas pikant, wenn man jetzt abgeschoben wird in bestimmte Rundfunk-Programme, die eigentlich eher für die Kollegen vom Schlager zuständig sind – da fühle ich mich von der Baustelle her doch nicht ganz richtig aufgehoben. Aber gut, so ist das halt. Man muss am Ball bleiben, immer wieder sein Angebot machen und hoffen, dass es offene Ohren findet und irgend jemandem Lust macht. Etwas anderes können wir eh nicht tun. Wir können es nicht beeinflussen.

Sie haben sich schon 1996 starkgemacht für die Deutsch-Quote im Radio. Hat sich denn mittlerweile etwas getan? Wenn ich Radio höre, höre ich fast nur noch Silbermond, Juli, Ben, Xavier Naidoo.

Ich hab mich damals unwillig in die erste Reihe schieben lassen als Klassensprecher, weil die anderen das alle nicht machen wollten. Und ich bin vor acht Jahren auch von den Kollegen – bis auf ganz wenige – damals ziemlich im Stich gelassen worden, als dann die Backpfeifen von den Medien kamen. Bei der neuen Kampagne im vorigen Herbst habe ich mich sehr zurückgehalten und hab eher versucht, die Kollegen zu warnen, mit einem so untauglichen Begriff wie Quote herumzufuchteln, der eh nichts bringt. Es wird nie eine geben. Deutschland ist ein ganz anderes Land als Frankreich, und was dort funktioniert, wird hier aufgrund der Kulturhoheit der Länder und der vielen Rundfunkverträge politisch nie durchsetzbar sein. Und nie wird eine Partei aus dem Deutschen Bundestag einen solchen Gesetzentwurf vorlegen, das weiß ich einfach, weil ich ja selber im Bundestag arbeite und mir das inzwischen die Rechts-Experten aller Parteien erklärt haben. Das heißt, als Künstler holt man sich nur eine unnötige blutige Nase, wenn man mit einer Keule fuchtelt, die aus Papier ist. Und man verdirbt es sich dann noch mit den Journalisten, die einem eigentlich wohlgesonnen sind.

Das Einzige, was hier geht, ist Überzeugungs-Arbeit. Und das halte ich jetzt zumindest für möglich. Das Problem ist jetzt im Bundestag angekommen, die Parteien haben das jetzt begriffen. Es ist ja die Rede davon, dass es eine überparteiliche Kommission geben könnte, die sich auf Reisen begibt, zu den Rundfunk-Anstalten fährt und versucht, die Leute von dem Thema zu überzeugen und sie dafür zu sensibilisieren.

Silbermond und Juli und Wir sind Helden – das ist alles ganz gut und schön, aber für mich kein Gegenbeweis. Das ist eine ganz normale Wellen-Erscheinung, wie sie alle zehn Jahre in Deutschland passiert. Ich wünsche den Kollegen nicht, dass sie genauso schnell abgehalftert werden, wie es der Neuen Deutschen Welle Anfang der 1980er Jahre ging. Ich wünsche ihnen, dass sie durchhalten und dass es längerfristig etwas zu bedeuten hat.

Ich glaube, viele Leute im Radio und Fernsehen reden sich im Moment alibimäßig damit heraus, dass sie sagen „Was wollt ihr eigentlich, es funktioniert doch gerade“. Abzuwarten bleibt, wie lange dieses „gerade“ hält.

Haben Sie mal versucht, Englisch zu singen oder englische Texte zu schreiben?

Nee, denn ich kann einigermaßen Englisch – im Gegensatz zu den Leuten, die es machen.

[Gelächter.]

Ich arbeite ja als Übersetzer, wie Sie wissen. Und so gut Englisch zu können, dass ich von einem Hörer in Tennessee oder Liverpool nicht ausgelacht werde, das traue ich mir dann doch nicht zu.

Ich weiß, dass es bestimmte deutsche Platten gibt, die bei englischen und amerikanischen Kollegen einfach totgelacht werden – und das möchte ich mir nicht widerfahren lassen.

Jetzt setzen Sie so viel Herzblut dran für Deutsch im Radio – und Ihr eigener Sohn macht englische Texte. Haben Sie da irgendwas falsch gemacht in der Erziehung?

Dass er sich von seinem Vater absetzen will und das in Englisch macht, finde ich völlig in Ordnung. Er war ein Jahr in Amerika und hat eben jetzt auch die amerikanische Umgangssprache ganz gut drauf, wahrscheinlich besser als ich. Und dass er nicht in die gleiche Kerbe hauen will wie sein Vater, ist ja vollkommen legitim.

Sie haben große Musicals übersetzt wie "Miss Saigon“, „Joseph“ und „Rent“ – wie schwer ist es überhaupt, Musicals zu übersetzen? Man muss sich ja selbst dabei zurücknehmen, den Original-Dichter zu Wort kommen lassen und dabei den Sinn so erfassen, dass dessen Anliegen auch in unserer Sprache verstanden wird.

Ja, das ist schon ein paradoxes Arbeiten. Man muss sich völlig zurücknehmen und versuchen, den Original-Autor, der es auf Englisch verfasst hat, aHeinz Rudolf Kunze im Kabarett "Leipziger Funzel" (Foto Holger Zürch)uf Deutsch richtig zum Strahlen und zum Leuchten zu bringen. Nur dann, wenn man das hinkriegt, dass der Autor glücklich ist und sagt „Ja, das bin ich“, hat man seinen Job gut gemacht. Nur dann war es das wert, diese viele Arbeit auf sich zu nehmen. Der Übersetzer ist ein Dienstleister. Der kann nicht mit eigenen Eitelkeiten hausieren gehen. Dennoch freut man sich diebisch, wenn man die eine oder andere Kleinigkeit eingebaut hat, die dann doch nach einem selber klingt – vor allen dann, wenn der Original-Autor es auch noch begreift und versteht und sagt „Ja, ich geb’ dir Recht, das funktioniert so im Deutschen mit dieser Wendung einfach besser“.

Das Schlimme ist, dass viele Leute, die aus der englischsprachigen Welt kommen, diese naturgegebene Arroganz des Englischen mitbringen und eigentlich immer die Frage stellen – egal ob ich nun Deutscher, Rumäne, Japaner oder was weiß ich bin – „Warum funktioniert das bei dir nicht genauso wie bei uns? Warum weichst Du ab vom Wortlaut?“ Und ihnen dann klarmachen zu müssen, dass die Absicht, die er hatte, in Deutsch andere Formulierungen braucht, damit der gleiche Effekt eintritt, das ist manchmal sehr zeitaufwändig und kostet lange und aufreibende Diskussionen. Doch wenn man das einmal geschafft hat und wenn sie es einem einmal glauben, dann hat man sich diesen Vertrauens-Vorschuss erarbeitet, dass sie einem beim nächsten Mal freie Hand lassen.

Das ist mir bei „Les Miserables“ passiert, das ja ursprünglich von zwei Franzosen stammt und in Frankreich ein völliger Flop war und erst dessen erste Übersetzung ins Englische zu einem Mega-Welterfolg geführt hat. Ich kann kein Französisch – ich hab in der Schule Englisch, Latein und Altgriechisch gehabt – und konnte mich mit den französischen Autoren nur auf Englisch unterhalten, und die konnten auch kein Deutsch. Das heißt, das war immer eine Diskussion um mehrere Banden oder Ecken. Und als die dann aber sahen, wie die Leute reagiert haben bei dem übersetzten Stück, dass die an den Stellen, wo es so sein sollte, gelacht oder die Taschentücher gezückt oder sich gegruselt haben, dann waren sie einverstanden. Und es war das schönste Kompliment, was einem ein Autor machen kann, wenn er wiederkommt und sagt „Ich gebe Dir mein neues Stück auch – Du hast es offenbar richtig gemacht“.

Wie kam es überhaupt dazu? Wie kam man auf Sie?

Auch wieder so ein biographischer Zufall. Überhaupt habe ich oft folgende Erfahrung gemacht: „Wenn man mich um etwas fragt oder bittet, dann geht das meistens gut. Wenn ich mich um etwas bewerbe, dann geht das meistens schief.“

Ende der 1980er Jahre fragte mich der Konzert-Veranstalter Marek Lieberberg aus Frankfurt am Main, mit dem ich seit Anfang meiner Karriere befreundet bin, obwohl wir beruflich nie miteinander zu tun hatten, ob ich so etwas machen wollte. Er hatte einen Artikel von mir gelesen in der Zeitschrift „Männer-Vogue“ über Falco. Und ich hatte mich – entgegen meiner üblichen Art – ziemlich wohlwollend über Falco geäußert. Lieberberg ging gerade mit Falco auf Tour, und dieser Artikel hat ihm sehr gemundet. Er machte ja nur solche Acts wie Springsteen, R.E.M. oder Robbie Williams, spielte also nicht in der ersten, sondern in der nullten Liga, und ich bin ja höchstens der MSV Duisburg. Und Lieberberg sagte: „Wir werden zwar nie zusammen auf Tournee gehen, aber irgendwann finde ich was, wo wir zusammen arbeiten werden.“ Und so kam es dann auch. Er und Peter Weck aus Wien hatten die Rechte erworben von „Les Miserables“, und Lieberberg fragte mich, ob ich das ins Deutsche übersetzen wolle. Da hab ich geschluckt und geantwortet: „Ich hab bisher nur ‚Lola’ übersetzt von den Kinks, und das dauert viereinhalb Minuten.“ Er: „Das macht nichts. Ich geb Dir drei Monate Bewährung, dann lieferst Du mal ab, was Du bis dahin gemacht hast. Und dann sehen wir weiter.“ Was ich ihm später vorliegte, gefiel ihm gut. Er machte das erste Demo, die erste Arie der Fantine mit der wunderbaren Esther Ofarim. Sie hat das unglaublich gesungen – leider war sie für die Rolle zu alt und konnte sie dann auf der Bühne nicht verkörpern. Aber als ich dann das Demo hörte, war ich dermaßen angemacht, dass ich sagte „Okay, ich unterschreibe, egal was Du mir vorlegst.“

Sie haben ja noch weitere Musicals übersetzt – da gibt es den „Sommernachtstraum“, den Sie aber wohl leicht verändert haben, mit eigenem Einschlag.

Ja. Das war dann nach vier Übersetzungen der erste vorsichtige Absprung in das Halb-Selbstgemachte. Da war die Auftragslage eine andere, da musste ich mich nicht an Vorgaben, da Shakespeare bekanntermaßen schon eine Weile tot ist und keinen Supervisor mehr hat, der dann vorbei kommt und darauf achtet. Man kann ja damit Schindluder treiben ohne Ende. Das hab ich nicht versucht zu tun – um Gottes Willen. Ich hab schon versucht, die Absicht von Shakespeare zu treffen. Aber der Intendant in Hannover sagte „Mach das mal so nach Deinem Schnabel. Erzähl die Geschichte vom Ansatz her – aber erzähl sie mit Worten, die modern sind“. Gerade bei Komödien ist es ja so, dass die Kalauer, die Shakespeare erfunden hat für den Marktplatz in London natürlich so heute nicht mehr funktionieren. Die muss man schon durch modernere Formulierungen ersetzen, damit die Leute an den vorgesehenen Stellen auch lachen können. So fing es also an als penible Übersetzung und wurde immer freier. Manche Passagen sind wirklich eins zu eins, glaube ich, und manche sind sehr frei, wo ich nur noch die Absicht von Shakespeare zu verwirklichen suche in unserer heutigen Zeit. Das war also so eine Art Zwischenschritt.

2004 habe ich dann den Sprung ins kalte Wasser richtig gewagt und hab im Staatstheater Saarbrücken ein Libretto gemacht, das ganz und gar von mir war über Edgar Allan Poe, sein Leben und seine Figuren. Da hatte ich dann keine Vorlage mehr, das war dann der Freischwimmer.

Wenn man so zuhört: Musicals übersetzt, Bücher geschrieben, Lesungen, Konzerte. Jetzt auch noch Vorlesungen an Universitäten wie in den kommenden zwei Tagen – was machen Sie da?

Es gibt ja die Pop-Akademie in Mannheim, die bisher einzige Einrichtung dieser Art, die auch vom Land Baden-Württemberg relativ gut mit Geld ausgestattet ist. Das macht der Kollege Udo Dahm, früher ein sehr guter Schlagzeuger und seit langen Jahren zwischen den Fronten unterwegs, auch als Funktionär für Musiker, der kennt den Beruf wirklich von allen Seiten und ist dort der Rektor dieser kleinen Uni. Der lädt sich Leute ein für Gastvorträge. Ich hab dort schon mal einen gehalten über die Geschichte des Deutschrocks. Jetzt mach ich zwei Vorträge über das Leben und die Auswirkungen von Bob Dylan. Und wenn er irgendwann mal eine richtige Uni hat, dann hoffe ich, dass er mir einen Lehrstuhl für Rockgeschichte gibt.

Wo bekommen Sie Ihren Input her, beispielsweise zu Dylan?

Na ja, ich hab mich seit 1969 leidenschaftlich und sehr zeitaufwändig mit Musik beschäftigt, und warum soll ich nicht das, was ich mit Freunden zuhause beim Wein über Platten diskutiere, auch mal öffentlich diskutieren?

Wie kommt das an bei den Studenten? Ich kann mir vorstellen, dass es relativ locker da zugeht.

Unterschätzen Sie mich nicht – ich bin eher streng. Ich hab ja schließlich mal Lehrer gelernt.

Standen Sie mal vor einer Klasse?

Soweit es zum Referendariat gehörte. Ich habe unterrichtet und beide Staatsexamen gemacht. Als ich damals im Jahr 1979/1980 an der Schule war – da war damals in Hannover, wo ich war, eine Zeit von Lehrerknappheit – , musste ich da Dinge tun, die rechtlich gar nicht abgesichert waren. Aber ich glaube, ich habe es – hoffentlich – verantwortungsvoll gemacht. Ich hab nämlich drei Kurse zum Abitur geführt und Abiture abgenommen, was ich gar nicht durfte, weil ich die zweite Prüfung noch gar nicht hatte. Doch es war kein anderer da, der es tun konnte. Insofern musste ich es machen.

Ich hab also den Beruf schon richtig gelernt, bin dann aber gleich nach dem zweiten Examen in die Musik abgehauen.

Wie kam es überhaupt zu dem Berufswunsch Lehrer? Durch den Vater, der ja auch Lehrer war?

Nein, das war kein Berufswunsch, sondern eine Art Nothilfe. Ich wollte eigentlich nach dem Germanistik- und Philosophie-Studium an der Uni bleiben und Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft werden. Das war mein eigentlicher Lebensplan. Mein Professor hatte mir auch eine Assistentenstelle in Aussicht gestellt. Die wurde dann aber gestrichen. Er sagte dann „Was mach ich nur mit Ihnen? Na ja, machen Sie halt das Lehrer-Examen, damit Sie nicht umsonst studiert haben, und parken da mal eine Weile. Und irgendwann ruf ich Sie an“. So lange wollte ich aber nicht warten.

Ihr Bruder ist ja Professor.

Ja, Professor für Geschichte.

Wie sehen denn dann bei Ihnen Familientreffen aus? Ich stelle mir das sehr intellektuell vor.

Wir haben selten Familientreffen.

Die Gespräche mit meinem Bruder sind ohnehin nicht so ganz einfach. Er ist unglaublich viel jünger als ich, zwölf Jahre. Das ist schon fast ein Generationsunterschied. Aber wir haben natürlich viele gemeinsame Lektüre-Interessen. Jedoch sind wir eigentlich nicht gemeinsam aufgewachsen, das kann man nicht sagen. Dafür waren wir zu weit auseinander.

Heinz Rudolf Kunze im Kabarett "Leipziger Funzel" (Foto Holger Zürch)

Wenn Sie sich an Ihre Kindheit erinnern: Woran denken Sie gern, und woran nicht so?

Ich denke sehr gern an die Zeit, als ich ganz klein war, bis zur Einschulung. Die habe ich an der holländischen Grenze auf einem Bauerndorf verbracht. Da war mein Vater Dorfschullehrer, und es gab nur zwei Lehrer. Mein Vater hatte die Klassen eins bis vier, und der andere hatte fünf bis acht. Das war so eine wirkliche Traum-Kindheit, wie man sie sich heute gar nicht mehr vorstellen kann: Umgeben von Tieren und Bauernhöfen, wo man abends dann die Kühe und Schweine mit heimgetrieben hat und sich vom Heuschober in riesige Heuballen hat werfen können. Das war ziemlich idyllisch, das war sehr gut. Und den Geruch, wie das frisch gemähte Gras riecht, habe ich heute noch in der Nase. Das war wirklich klasse da.

Ich war sehr erstaunt, dass die Leute dort uns als Vertriebene, als Flüchtlinge aus’m Osten auch so sehr herzlich aufgenommen haben. Wir wurden gewarnt vor dieser Ecke. Das war diese kleine Grenzbeule nach Westen, Grafschaft Bentheim heißt das, in Richtung Holland. Man sagte uns, diese Bauern dort im Moor wären ein unglaublich verstocktes Volk, nicht nur fremdenfeindlich, sondern auch deutschfeindlich für alle, die nicht aus ihrer Ecke kommen. Und das stimmte überhaupt nicht. Die waren unglaublich herzlich und haben uns also auf Händen getragen, das war ganz liebevoll. Hab ich nicht in allen Gegenden Deutschlands so erlebt. Wir sind dann noch viel umgezogen, in manchen anderen Ecken war es feindselig. Aber das war wirklich eine Traum-Phase.

Woran ich mich nicht so gern erinnere ist, dass mein Vater oft den Schauplatz gewechselt hat und sich an verschiedenen Orten als Lehrer ausprobiert hat, bis er dann irgendwann als Assistent an der Pädagogischen Hochschule in Osnabrück hängengeblieben ist. Und dieses viele Umziehen ist als Kind nicht so toll. Weil man immer der Fremde ist und neu irgendwo als Letzter reinkommt, das ist gerade in dieser prägenden Phase eine schwierige Erfahrung und macht einen wahrscheinlich auch zum Stubenhocker, Leser und Grübler.

Haben Sie noch Freunde aus der Zeit?

Ja, aus der letzten Zeit in Osnabrück, wo wir lange gelebt haben. Zwei, drei Schulfreunde gibt es noch, und dann natürlich Studienfreude, klar. Die sind mir noch fast wichtiger als die vielen, auch guten Freunde, die ich dann später durch die Musik kennengelernt habe. Weil das eben Menschen sind, die mich von vorher kennen und mich nicht unter dem Blickwinkel eines sogenannten öffentlichen Menschen sehen. Die noch wissen, wie das war, als das alles rein privat war.

Es gibt so zwei, drei Schulfreunde, die ich heute noch mit meinem Material konfrontiere, wenn es ganz frisch ist, bevor es jemand anders hört. Deren Urteil ist mir sehr wichtig – obwohl ich weiß, dass sie mir einen Gefallen tun und es immer loben.

Können Sie eigentlich mit Kritik umgehen? Ihre Musik ist ja teilweise auch umstritten, der eine versteht’s nicht, der andere findet es gut.

Ich kann das verschieden gut ertragen. Es kommt auf die Art und Weise an, wie es formuliert ist. Ich habe 1983 einen Artikel gelesen über mich in der ZEIT, eine Live-Kritik. Die war sehr sehr bösartig – aber unglaublich gut geschrieben. Und ich habe mir vorgenommen „Diesen Journalisten krempelst Du um“. Ich hab den zu mir eingeladen, ihn näher kennengelernt und er hat das bitter bereut. Er wird das nie wieder tun. Heute sind wir Freunde.

Ich habe ein Zitat gelesen: „Wer sich eine Platte von Heinz Rudolf Kunze kauft, sollte sich die Pistole gleich mit dazu kaufen“. Wie gehen Sie damit um – oder ist das eher schon ein Kompliment?

Das ist eher schon ein Kompliment. Ich weiß noch, dass der berühmte Rock-Kritiker Franz Schöler, der in der alten BRD eine fast Reich-Ranicki-artige Instanz war, in den frühen 1980er Jahren über mein zweites Album geschrieben hat: „Ich möchte nicht, dass ein so menschenverachtender Sänger jemals Erfolg hat.“ Für das Album bekam ich dann den Deutschen Schallplatten-Preis. Danke, Franz!

[Video-Einspiel „Immer für Dich da“ aus „Rockpalast“-Aufzeichnung.]

Und jetzt Quiz-Frage ans Publikum: Dieser Gegenchor, den meine Jungs da singen, „Oh yes I am the lizard king, I can do anything“ – wer weiß, wo das herstammt?

[Zuruf aus dem Publikum: Jim Morrison.]

Sehr gut, der Mann kriegt ein Stück Torte extra. Das ist ein Zitat von Jim Morrison von den Doors aus „The Celebration of the Lizard“.

Gibt es schon Fragen aus dem Publikum? Ja.

[Frage aus dem Publikum: Herr Kunze, was machen Sie eigentlich mit den Titeln, die bei einer Album-Produktion übrig bleiben, also nicht veröffentlicht werden?]

Das ist relativ tragisch, weil die nie zu Ende geführt werden. Die bleiben im Ansatz stecken. Den Text gibt es zwar, die Musik in Ansätzen auch, aber die werden nie in eine Form gebracht, die sozusagen ein Ganzes ist. Es gibt unheimlich viele Sachen, die angefangen da sind. Die Titel, die wir wirklich ernsthaft in die Mangel nehmen, die wir zu Ende bearbeiten, da gibt es nur einen sehr kleinen Überhang. Das sind nach fünfundzwanzig Jahren vielleicht zwanzig, die nicht veröffentlicht sind und irgendwo noch in der Kiste schlummern.

Aber potentielle Titel gibt es das Vielfache von dem, was ich herausgebracht habe. Zumindest die Texte sind ja alle in meinen Büchern enthalten, das heißt wenn andere Musiker da Lust zu haben und sich bedienen bei dem, was ich nicht selber gemacht habe, können die das gerne machen. Ich habe mich vor ein paar Jahren sehr gefreut, als die Kollegen von City das gemacht haben – sie haben sich fünf genommen, die ich selbst nicht vertont habe, und haben sie auf ihr vorletztes Album getan. Das wäre mal ein Ansatz.

Fördern Sie auch Nachwuchssänger mit Ihren Texten?

Haben wir versucht – mit mäßigem Erfolg. Wir haben uns sehr gerne um einen Freund gekümmert aus Ost-Berlin, nämlich Tino Eisbrenner, der früher die Band Jessica hatte. Das war glaube ich das einzige Mal, dass wir erlaubt haben, dass jemand bei uns im Vorprogramm spielt. Mit ihm sind wir mal in Halle aufgetreten – da war er vor uns mit seiner Band auf der Bühne. Normalerweise machen wir so etwas nicht, weil wir selber sehr lange spielen.

Heiner und ich haben bei uns in unserem Studio zwei Alben mit ihm fertig produziert, die dann auch erschienen sind, die dann aber leider nicht viel Wirkung erzeugt haben. Was ich sehr schade finde, denn den halte ich für sehr begabt und wünsche ihm alles Gute.

Wir machen das nicht systematisch. Auch da brauchen wir einen persönlichen Bezug. Also wenn uns da jemand einleuchtet als Typ, dann ja.

[Frage aus dem Publikum: Deine musikalischen Weggefährten hast Du ja immer mal verändert, das gehört im Leben dazu. Wie gehst Du damit um?]

Ein ausführliches Thema, da könnte ich jetzt sehr viel dazu sagen. Da gibt es unterschiedliche Verläufe. Also mit einigen Musikern bin ich sehr gut auseinandergekommen. Ich habe ja auch nicht immer Musiker entlassen, sondern es haben mich auch manchmal Musiker verlassen. Gerade in der ersten Phase, wo ich auf meine erste Band so stolz war, musste ich dann Ende 1983 erleben, dass mein erster geliebter Keyboarder Hendrik Schaper dann zu Lindenberg gewechselt ist – wo er heute noch ist – , weil ich ihm damals einfach nicht genug bieten konnte. Wir hatten damals so wenig Auftritte, davon konnte der nicht leben. Und Lindenberg ist auch eine so vereinnahmende Persönlichkeit, der lässt es auch schlecht zu, dass man dann nebenbei noch Kunze macht. Mein Schlagzeuger damals, Micki Stickdorn, hat mich verlassen für „Major Tom – völlig losgelöst“. Zwei Jahre später hat er an der Garderobe gekratzt und wollte wieder mitspielen. Aber da war sein Stuhl schon besetzt.

Andere Leute habe ich verabschiedet. Das ist dann natürlich sehr unterschiedlich ausgegangen. Mit einigen hat der Kontakt gehalten und ist menschlich okay. Andere waren dann verbittert. Und einige haben sich dann auch nach langer Zeit bei mir völlig aus dem Musikgeschäft zurückgezogen. Also die Achse der sogenannten klassischen Kunze-Band – Thomas Bauer, Keyboards, und Peter Miklis, Schlagzeug – sind heute überhaupt nicht mehr aktiv. Beide geben nur noch Musikunterricht und wollen mit dem Business nichts mehr zu tun haben, was – wie sie mir versichert haben – nur zur Hälfte an mir liegt.

Weiter geht es mit der Schnell-Fragerunde.

Oha – das üble Spiel, wo man spontan reagieren muss.

Ja, das können Sie ja. Los geht’s.

Wenn Sie einen Tag lang Deutschland regieren könnten, was würden Sie zuerst durchsetzen?

Die Abschaffung der schlechten Laune.

Mit welchen drei Eigenschaften charakterisieren Sie Sachsen?

Von den sogenannten neuen deutschen Bundesländern mit Sicherheit das quirligste. Also das, was am meisten an das Rheinland oder an Süddeutschland erinnert, weil die Leute hier doch sehr viel mehr Sekt im Blut haben als in Schwerin.

Zweite Eigenschaft – und das war ja auch schon vorher bekannt – : Das ist der rührigste Teil der alten DDR, wo am meisten passiert, wo am meisten auch wirtschaftlich floriert. Und man sagte ja auch der DDR nach, dass sie hauptsächlich von Sachsen kontrolliert wurde, weil das auch offensichtlich die agilsten sind.

Und zum dritten, ganz persönlich: Es gibt kaum einen anderen Bundesstaat in der Vereinigten Staaten von Deutschland, wo ich so viel auftrete – und das muss seine Gründe haben.

Wofür geben Sie das meiste Geld aus?

Das wird Sie als Antwort langweilen: für CDs und Bücher. Und ich hab wirklich kein ausgeprägtes Hobby, das weit weg von meinem Beruf führt. Ich spiele nicht Golf und ich fliege nicht im Heißluftballon, sondern alles, was ich in meiner Freizeit tue, führt auf irgend einem Umweg doch wieder zurück zu meiner Arbeit.

Auf einer Skala von Eins bis Zehn: Für wie eitel halten Sie sich?

Elf.

[Gelächter.]

Nur, es nützt nichts.

Können Sie gut Witze erzählen?

Nein. Ich kann mir insgesamt in meinem Leben nur – ich glaube – fünf Witze merken und beneide manchmal Leute, die Witze gut erzählen können. Und hasse Leute, die Witze schlecht erzählen können, es aber dauernd tun.

Was verpassen Sie nie im Fernsehen?

„Polizeiruf 110“ aus der alten DDR.

[Applaus.]

Hauptmann Fuchs, Leutnant Hübner, Sigrid Göhlers Filmnamen habe ich vergessen, und Genosse Supras.

Welche Sportart haben Sie schon in der Schule gehasst?

Alles, was mit Geräteturnen zu tun hat. Ich war nie ein guter Sportler, muss mich aber ein bisschen verteidigen: Ich hatte in der Mittelstufe eine Knochen-Krankheit im linken Bein, die eigentlich nur alte Leute haben, nämlich Arthrose, und bin über ein Jahr lang an Krücken gegangen. Deswegen wurde ich von der sechsten Klasse an vom Schulsport befreit. Und durfte, wenn ich wollte und konnte, außer Konkurrenz teilnehmen. Als ich einmal beim Volleyball mitmachen durfte, war das für mich etwas ganz besonderes, denn unsere Schulmannschaft vom Stauffenberg-Gymnasium Osnabrück war nämlich elf Mal Deutscher Meister. Und einmal durfte ich zumindest in der Turnhalle mitmachen, habe mich hingeworfen und einen Ball noch herbeigehechtet. Da sagte der Sportlehrer zu mir: „Stark geholt, Heinz.“ Das war mir mehr wert als manche Eins in Deutsch.

Wo hätten Sie gern Ihren Zweitwohnsitz?

Entweder in Sedona, Arizona. Oder in Machon auf Menorca.

Wo müssen Sie unbedingt noch auftreten: Auf einem Kreuzfahrt-Luxusliner, am Ballermann, bei einem Kindergeburtstag oder bei einer Frauentagsfeier?

Einer was?

Das gibt's noch. Ich war letztens auf einem Dorf. Da gibt es noch am achten März die Frauentagsfeier.

Und was genau ist das?

Da treffen sich die werktätigen Frauen abends und reden, bekommen Narzissen oder Nelken geschenkt – so war es zumindest zur DDR-Zeit – und Weinbrand-Bohnen und feiern dann eben.

Aber nur wenn sie alle Doppelnamen haben und ihn mir auch erzählen. Weil: ich hasse Doppelnamen. Mein Leben ist zu kurz für Doppelnamen.

Letzte Frage: Was wollten Sie als Kind gerne werden?

Also mein erster Auftritt ist dokumentiert mit einem Foto, als ich drei Jahre alt war. Da trug ich einen Bademantel und habe vor meiner Familie gepredigt. Das heißt, den Leuten irgend etwas beizubiegen – sei es theologisch, sei es poetologisch – , war ein ziemlich früher Impuls. Und als ich gemerkt habe, dass das den Leuten Spaß macht, was ich mir mit drei Jahren schon so alles ausdenken konnte, bin ich dabei geblieben.

Vorhin im Film-Einspiel haben wir gehört, Old Shatterhand war so ein Berufswunsch, wenn man das denn als einen Berufswunsch bezeichnen kann.

Ein Berufswunsch vielleicht nicht, aber wenn man es hinkriegen könnte, vielleicht ein so guter Mensch zu sein, wie ihn der Karl May ihn da in Radebeul erfunden hat, das wär doch schon was. Und Lex Barker war für mich natürlich ein großer Held. Als ich mit sechs Jahren zum ersten Mal in Georgsmarienhütte bei Osnabrück im Kino war und Winnetou sterben sah, das vergisst man nicht. Das sind so prägende Momente im Leben. Als Winnetou und Raumpatrouille Orion – das sind schon prägende Kindheitserlebnisse, und ich denke, wenn ich jemanden wie Pierre Brice, der ja noch lebt und aktiv ist, heute mal irgendwann treffen würde, hätte ich schon einen ziemlichen Blumenkohl im Hals. 

HRK liest – nach einleitendem Brille-Abnehmen („Ich bin nahsichtig im Kurzbereich“) – aus den Texten für sein neues Buch mit dem Titel „Artgerechte Haltung“:

  • Taten sehen
  • Deutschland ist Dornröschen-wach
  • Die Frauen
  • Steckbrief
  • Bleaching
  • Der Joschka und der Gerd
  • Älter werden
  • Künstlerpech

Fragerunde aus dem Publikum – Teil 2:

In welcher Form sind Sie im Bundestag aktiv? Und wie kam es dazu?

Ein sehr netter Mann aus der CDU, Günther Nooke aus Forst in der Lausitz, der Gegend, wo ich auch herstamme, hat mich vor mehr als zwei Jahren angerufen und hat gefragt, ob ich Lust hätte mitzumachen als sogenannter Sachverständiger in der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“. Ich habe gefragt, Sachverständiger wofür? „Für Ihren Bereich Popmusik im weitesten Sinne.“ Dann habe ich gesagt „Sie wissen, dass ich parteilos bin?“ „Ja, das stört mich nicht.“ Insofern bin ich von der Union als Parteiloser dorthin berufen worden – zusammen mit anderen Sachverständigen, die von anderen Parteien berufen worden sind. Wir sind jetzt im zweiten Jahr tätig und versuchen, Handlungs-Empfehlungen zu entwickeln für den Bundestag, mit dem immer weniger werdenden Geld, was für Kultur da ist, einigermaßen fair umzugehen. Das ist eine sehr interessante Tätigkeit. Ich habe da tolle Leute kennengelernt.

Man macht sich mit der Arbeit bestimmt keine Freunde, wie gesagt das Geld wird immer knapper. Aber ich bereue es nicht. Es ist faszinierend, was man da an Innenansichten des Bundestags und des Parlamentarismus so gewinnt, an Lebenserfahrung. Ich musste auch einige voreilige, flapsige Urteile über Politiker korrigieren, weil es da eine Menge Leute gibt, die wirklich beinhart arbeiten und nicht in Skandale verwickelt sind und einen so harten Arbeitstag haben, dass ich mit ihnen nicht tauschen möchte. Auf jeden Fall eine faszinierende Sache.

Wir werden am Ende dieses Jahres einen Bericht zusammenstellen nach den Metern – ungelogen Metern – von Akten, die sich bei jedem von uns zu Hause stapeln. Wir hoffen, dass dieser Abschlußbericht nicht zu dick wird. Und Bundestagspräsident Herr Thierse, der das alles in Auftrag gegeben hat, muss das dann alles lesen, der arme Mann. Inwieweit das dann noch beim Bundeskanzler ankommt, werden wir sehen. Ich weiß nicht genau, wieviel Gehör Herr Schröder Herrn Thierse noch zubilligt in diesen ja für Herrn Schröder nicht einfachen Zeiten.

Wie beurteilen Sie die neue Rolle von Kardinal Ratzinger?

Ich glaube, dass – egal was dieser Mann in seiner Vergangenheit als Kardinal geäußert hat – diese Geste, dass eine deutsche Persönlichkeit diesen Posten bekommen hat, etwas ist, was für uns alle als Deutsche sehr wichtig ist, weil es ein weiterer Schritt ist hin zur Normalisierung Deutschlands in der Völkergemeinschaft. Und ich glaube, dass dieser Schritt – dass ein Deutscher Papst werden konnte nach über vierhundert Jahren – vielleicht fast noch wichtiger ist als die Wiedervereinigung, dass Deutschland wieder zurückkehrt in eine sich ganz allmählich anbahnende Normalität in der Völkergemeinschaft. Und insofern denke ich – egal ob man Katholik, Protestant oder sonst was ist – sollte man sich eigentlich darüber freuen und dem Mann auch erst mal eine Chance geben. Ich glaube, dass er in seiner neuen Verantwortung nicht ganz so eisenhart fundamentalistisch weiter verfahren wird, will und kann wie in seiner anderen Funktion vorher. Man sollte ihm erst mal eine Chance geben. Ich jedenfalls als Deutscher war stolz darauf.

Hier ist ein Zitat von Heinz Rudolf Kunze aus den 1980er Jahren: „Insofern ist Peter Maffay der Botschafter des Kanzlers Helmut Kohl“. Dies sorgte damals für Wirbel – und heute mit Peter Maffay auf Mallorca. Wie geht das?

Indem man sich ändert und Zeit vergeht. Ich habe mich damals noch viel gemeiner geäußert. Ich habe ihn als „Kurier des Kanzlers“ bezeichnet, der die passende Musik für Grillfeten der Jungen Union macht.

(Gelächter im Publikum.)

Ja, ich war auch mal ein junger Hengst und wollte mich an großen Vorbildern reiben. Das gehört sich ja auch so. Das war wie gesagt sehr lange her. Das war mein drittes Profijahr. Die Zeitschrift TIP in West-Berlin gab mir damals den Auftrag, Peter Maffay zu verreißen. Ich habe den Auftrag gierig und willig angenommen.

Was mich an Peter Maffay beeindruckt, ist, dass ihm dieser Artikel sehr weh getan hat und dass er mich daraufhin eingeladen hat, darüber zu sprechen. Das habe ich dann gemacht, und ich war von seiner Gekränktheit über diesen Artikel sehr angetan und habe dann einen Menschen kennengelernt, der mich persönlich sehr beeindruckt. Ich habe mich dann in aller Form entschuldigt und würde es nie wieder tun. Und seitdem sind wir vielleicht nicht Freunde, aber auf jeden Fall gute Kollegen.

Man ändert sich im Lauf der Zeit.

Wie stehen Sie zu Gerhard Schröder?

Ich kenne ihn schon recht lange. Das bleibt nicht aus, wenn man in Hannover lebt und da kommt man in dieser relativ kleinen Dunstglocke von Menschen, die sich immer wieder treffen in offiziellen Zusammenhängen, natürlich dauernd zusammen. Ich kenne ihn auch schon aus seiner Zeit, als er sich noch um das Ministerpräsidenten-Amt gegen Ernst Albrecht bewarb.

Diese Frage ist in Kürze kaum zu beantworten.

Ich halte ihn für einen gescheiterten Kanzler – aber es liegt nicht unbedingt an ihm persönlich. Er hatte viele richtige Einsichten, er hatte nach meiner Ansicht den falschen Koalitions-Partner und kam auch noch in eine wirtschaftlich unglückliche Zeit. Wenn man sich erinnert an seine erste Kanzlerschaft, da hieß es ja, dass er eigentlich lieber eine Große Koalition mit der CDU eingegangen wäre, weil er schon geahnt hat, was in den nächsten Jahren auf ihn an massiven Problemen in diesem Land zukommt. Vielleicht wäre das sogar, damit sich in unserem Land etwas bewegt, besser gewesen. Er wird – glaube ich – in den Geschichtsbüchern enden als eine ähnlich tragische Figur wie Helmut Schmidt, der auch viele richtige Sachen gesagt hat, aber auch nicht den richtigen Partner hatte. Es scheint irgendwie das Schicksal von SPD-Kanzlern zu sein.

Zur menschlichen Seite möchte ich mich nicht äußern. Da kenne ich ihn auch – und das ist sehr diffizil. Das ginge dann schon fast ins Private.

Ich glaube, dass er in einer schwierigen Zeit Deutschland regieren musste und dass die Opposition jetzt viele Jahre ganz froh war, dass sie es nicht tun musste. Aber dass zum Teil durch Verschulden dieser Regierung – zum Teil auch nicht – der Zustand so dramatisch wird, dass eine Ablösung unausweichlich ist.

Ich traue der Opposition keine Wunder zu – das gewiss nicht – , aber schlechter kann’s ja eigentlich kaum noch werden.

Insofern ist Gerd Schröder für mich eine tragische Figur.

Ist der Titel „Vertriebene“ rein autobiographisch?

Ziemlich, ja. Es gehört zu den vier, fünf Stücken, wo ich ganz robust das Privatleben nach außen gekehrt habe, weil ich dauernd darauf angesprochen werde, was ist erlebt und was ist erfunden. Und manchmal kriege ich einen Anfall und mache dann ein Lied, was richtig deutlich eins zu eins autobiographisch ist. Das ist schon quasi fast alles wahr, was da drin steht. Ja.

Warum wird im Konzert nie „Lisa“ gespielt?

Das stimmt so nicht. Wir haben „Lisa“ gespielt auf der „Wasser bis zum Hals steht mir“-Tour, also der vorletzten. Unter anderem auch in der Semper-Oper.

Welches ist Ihr persönliches Lieblings-Lied?

„Salty dog“ von Procol Harum?

Was hat es mit den Telepromptern auf sich, die Sie bei den Konzerten an der Bühne haben? Können Sie sich den Text nicht merken?

Ja – isso. Es ist genau wie das Navigationssystem in Autos. Eine solche Erfindung macht blöd. Und wenn man einmal einen solchen Teleprompter gehabt hat, macht das süchtig. Man kann nicht mehr ohne. Und ich gucke ja nicht dauernd hin – aber ab und zu schon. Wenn er weg wäre, wüsste ich gar nichts mehr. Bei so vielen Liedern ...

Sie brauchen doch aber nur in die erste Reihe zu blicken und vom Mund abzulesen.

Das ist zwar wahr, dass die erste, zweite bis hin zu zehnten Reihe es besser können als ich – und dafür bin ich auch sehr dankbar – , aber dazu ist doch das Halbdunkel im Saal zu uneindeutig, als dass ich mich auf die Lippen verlassen könnte.

Hier fragt jemand, was ist ein Stirnenfuß?

Das ist ein Fuß, der aus der Stirn herauswächst und mit dem man radschlagend mit den zwei anderen Füßen schneller vorwärts kommt. Also ein anderes Wort für Phantasie.

Welche Beziehung haben Sie zum Ost-Rock, also zu den Kollegen von Karat, City und anderen?

Die meisten von denen habe ich kennengelernt. Ich habe zu Toni Krahl ein sehr gutes Verhältnis. Wir haben bei meinem ersten Besuch in der DDR 1987 angefreundet. Ich hatte auch noch mit Silly Kontakt, mit Tamara. Und mit dem Herbert von Karat habe ich mich auch oft unterhalten und fand sein Schicksal sehr traurig. Ich habe persönlich viele gute Kontakte gehabt.

Der erste Kontakt überhaupt zu DDR-Kollegen war, als Pannach und Kunert in den Westen kamen. Da sind die aufgetreten beim Barden-Treffen in Nürnberg, das ich damals moderiert habe als „Grüß-Onkel“. Und als die spielten, rief einer von beiden „Junge, setz Dich dazu, spiel mit“. Ich sagte, dass wäre mir eine große Ehre, doch ich könne ihre Lieder nicht. Darauf sie: „Macht nichts – spiel einfach mit.“ Habe ich dann auch gemacht – und es war ein großer Spaß.

Den engsten Kontakt habe ich sicher zu Toni Krahl.

Es gab mal eine Sendung, wo Sie mitgewirkt haben – das „Musikalische Quartett“, eine schöne Geschichte. Mir geht es immer so, dass ich im Plattenladen stehe und etwas ratlos dastehe. Wäre so etwas nicht auch eine tolle Geschichte in der heutigen Zeit?

Ja. Ich habe auch nie verstanden, warum das von VH-1 keine größere Ausstrahlung gehabt hat. Moderiert hat das Allan Bangs. Ich war mehr für die sachlichen Beiträge zuständig und Götz Alsmann für die clownesken. Wir waren ein gutes Trio, und als vierter war immer ein Gast dabei.

Ich hatte letztens Gelegenheit, dem ZDF-Programmdirektor davon zu erzählen. Der fiel aus allen Wolken und sagte „Stimmt – eigentlich eine gute Idee“. Denn wenn so etwas für Literatur – sei es mit Reich-Ranitzki, sei es mit Heidenreich – möglich ist, müsste das eigentlich für Musik noch eher möglich sein, weil das noch  mehr Menschen interessiert als Bücher. Das kann man beklagen, das kann man zur Kenntnis nehmen – es ist einfach so, dass Musik noch mehr Leute erreicht als Bücher. Die Kollegin Elke macht das ganz wunderbar, und ich schätze sie sehr. Aber ich finde, ein Forum für Musik sollte es auch geben.

Glauben Sie an Auferstehung?

Sonst würde ich wahrscheinlich meinen Job nicht machen. Oder fahren wir es ein bisschen runter auf „Spuren hinterlassen“.

Welche Musikrichtung hören Sie privat?

Das kann man nicht eingrenzen. Ich höre Musik sehr vieler Sparten und versuche mich einerseits auf dem laufenden zu halten, was aktuelle Musik betrifft – nicht nur Rockmusik, sondern auch moderne E-Musik. Ich habe andererseits auch ein großes Herz für Jazz und Klassik und Country. Ich bin da sehr polypen-artig veranlagt. Am liebsten höre ich gute Musik.

Was macht Ihre Verbindung zu Herman van Veen?

Ich habe in den letzten fünfzehn Jahren sehr viele Stücke für ihn gemacht – und das bleibt auch so. Auf seinem Geburtstags-Album und -Programm habe ich – wie eigentlich immer seit zwölf, fünfzehn Jahren – das Titelstück gemacht, also „Alles unter einem Hut“ ist von mir. Wenn man sich die letzten Alben von Herman anguckt: Der Titelsong war eigentlich immer mein Text und manchmal auch meine Musik. Und das bleibt auch so.

Wir sind uns nach wie vor gut verbunden. Das ist eine sehr ideale Arbeitsbeziehung, weil wir uns gar nicht ins Gehege kommen und weil wir überhaupt keine Probleme haben, uns gegenseitig zu achten, weil es gar keine Ellenbogen gibt, mit denen man sich anstoßen könnte.

Ich denke, er ist einer der größten Entertainer der Welt, und es ist einfach eine Ehre, für ihn zu arbeiten

In Ihrem Text „Ausrede“ behaupten Sie, Sprache ist ein Versuch, der das Scheitern wert ist. Was sagen Sie zu Wittgensteins Meinung „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“?

Ja.

Ich nehme an, das hat ein Studienrat oder Philosophie-Student gefragt. Das ist der berühmte letzte Satz aus dem „Tractatus logico philosophicus“.

Da ist schon was Wahres dran. Wenn Leute anfangen rumzuschwalmen und zu schleimen und zu sagen, bei Literatur geht es um Gefühle, dann sag ich immer „Ja schon, aber wenn die nicht verbalisierbar sind, was mach ich dann damit?“ Was nicht ausdrückbar ist, steht uns nicht wirklich zur Verfügung. Darüber kann man dann nur spekulieren. Oder man muss dann schweigen und es der Musik ohne Text überlassen.

Wie kamen Sie auf die Idee des Kilians in einigen Ihrer Texte?

Ich habe einfach eine Figur benannt, die stellvertretend für mich irgendwas aushalten sollte, die zum Teil – aber nur zum Teil – mit mir identisch war und die so als Test-Person, als Crash Test Dummy, durch verschiedene Situationen gejagt wurde.

Und irgendwann habe ich ihn aus den Augen verloren. Ich glaube, er ist ausgewandert.

Bekommen Sie viel Feedback von jüngeren Leuten? Erkennen sich auch Jugendliche in Ihren Texten wieder?

Es sind schon eher Erwachsene. Aber das war immer so. Als ich angefangen hab, war ich 24 Jahre alt und die Leute im Publikum auch schon mindestens zwanzig Jahre. Teenie-Publikum hatte ich eigentlich nie. Das waren immer eher schon Leute, die was erlebt hatten.

Ich habe da die merkwürdigsten Sachen erlebt. Ich habe mit Lehrlingen gesprochen, die haben mir völlig einleuchtende Sachen zu meinen Texten gesagt. Und manchmal auch mit Akademikern, die haben ein dermaßen verquastes Zeug abgeliefert zu dem, was ich da vorgegeben habe, dass ich dachte „Wo lebt ihr denn?“.

Können Sie sich noch an das Konzert in Leipzig 1987 am Auensee im Regen erinnern?

Na klar. Da hat mir neulich einer – was mich sehr gefreut hat – seine original Eintrittskarte geschenkt. Darauf stand „Internationales Sonder-Gastspiel – Heinz Rudolf Kunze (BRD)“. Die ist heute schon richtig was wert.

Wie war das damals? Hat man Sie zensiert bei dem Konzert?

Nein, überhaupt nicht. Es war ein ganz ungewöhnliches Erlebnis, dass ich in der DDR seit 1987 – also vor BAP, vor Grönemeyer und vor Lindenberg – auf Tour gehen durfte, weil mich einige Leute von der FDJ und SED-Kulturabteilung interessanterweise für einen Marxisten-Leninisten hielten.

Ich habe denen, um Euch kennenzulernen, nicht widersprochen.

[Gelächter.]

Und es war Hartmut König persönlich, der ehemalige FDJ-Chef und spätere stellvertretende Kultusminister der DDR, der meine Sachen sehr mochte. Und auf dessen Initiative durfte ich hier rein. Deswegen könnt Ihr gegen Hartmut König sagen, was Ihr wollt: Ich werde ihn bis zum letzten verteidigen. Ich habe ihm viel zu verdanken.

Als wir vom jüngsten Konzert vorige Woche nach Hause kamen, fragte unsere Tochter „Na, wie wars?“ Ich schickte ihr ein paar Episoden, besonders von den literarischen Zwischenstücken. So zum Beispiel „Baby an Bord“. Ihre Reaktion darauf: „Der greift aber ganz schön die Leute an.“

Welche Leute? Ich schone weder Männer noch Frauen. Ich versuche, wahrhaftig zu sein. Ich versuche, gleichermaßen auszuteilen. Ich habe gegen Frauen nicht mehr als ich gegen Männer habe. Insofern denke ich, es ist fair. Es gibt immer wieder auch Passagen, wo ich mich selber durchaus nicht so ganz tierisch ernst nehme.

Ich weiß nicht genau, was diese Tochter damit genau meint, denn ich bin längst nicht so hart wie jede Ausgabe von RTL „Blitz“. Ich versuche nur, der Wirklichkeit auf der Spur zu bleiben. Ich kann gar nicht so gemein sein wie das tägliche Fernsehen.

Heinz Rudolf Kunze im Kabarett "Leipziger Funzel" (Foto Holger Zürch)Wie kommen Sie vom Tonträger-Sammeln und Germanistik-Philosophie-Studium dazu, selbst Musik zu machen?

Das eine hat doch einen sehr engen Kontakt zum anderen. Ich habe mit 13, 14 Jahren meine ersten Schülerbands gegründet und hatte einfach das Gefühl „Ich will das auch machen“. Das war für mich ein Tor zur Welt. Ich saß in einer sehr behütenden westdeutschen Provinzstadt namens Osnabrück. Ich bin zwar oststämmig, aber im Westen aufgewachsen. Das war da schon sehr provinziell. Für mich waren Musik und Literatur ein Fenster zur Außenwelt. Und irgendwann wollte ich auch mal durch das Fenster – und nicht nur Rausgucken. Das ergab sich ganz logisch.

Wenn man kleinbürgerlich mit Lehrer-Eltern aufgewachsen ist, die einem auch den Klavier-Unterricht aufs Auge gedrückt haben, und man dann fünf, sechs Jahre braucht, wo man dieses Instrument gehasst hat, bis man dann entdeckt „Augenblick mal – ich kann damit etwas machen, was mit mir zu tun hat, ich muss nicht nachspielen“, dann geht alles sehr schnell. Das ist eine Lawine. Wenn man die ersten Töne selber entwickelt und den Klavierlehrer verstört, dass man nichts mehr an Technik lernen möchte, sondern eher sich selber ausdrücken möchte an diesem Gerät, dann ein paar Freunde anspricht, geht das alles ruckartig. Es gab zwar wieder ein paar Rückschläge. Ich habe dann mit 13, 14, 15 ganz viel gemacht, fühlte mich sehr unverstanden von meinen Kumpels, habe mich dann Jahre zurückgezogen, aber irgendwie ging es dann ja doch.

Allerdings war es dann ein mittleres Weltwunder, dass es dann zum Beruf geführt hat. Das hatte ich wirklich nicht zu hoffen gewagt.

Kam das durch den bundesweiten Wettbewerb in Würzburg bei der Phono-Akademie?

Ja. Da war ich schon in der Lehrer-Ausbildung und hatte gedacht, das wird alles nix mehr. Ich habe mich am Wettbewerb beteiligt – und das war dann der Durchstieg durchs Fenster. Es war einfach ein günstiger Moment im Herbst 1980 waren alle Plattenfirmen wie verrückt darauf aus, Leute einzukaufen, die Deutsch gesungen haben. Damals ging ja gerade die „Neue Deutsche Welle“ richtig los. Und die ersten fünf, sechs Zuschauer-Reihen bei diesem Nachwuchs-Festival im Stadttheater Würzburg waren ausschließlich gefüllt mit hochkarätigen Leuten der Platten-Industrie. Das war eine märchenhafte Situation. Da konnte man sich dann als Preisträger vor Angeboten, gar Mehrjahres-Verträgen nicht retten. Das waren einfach goldene Zeiten. So etwas kann man jungen Kollegen heute nur wünschen. Heutzutage wird ja ein junger Kollege, wenn er nicht im ersten Jahr gleich etwas abwirft, meistens dann gleich weggeworfen.

Was geben Sie jungen Talenten mit auf den Weg?

Eigentlich immer das Gleiche, nämlich hartnäckig bei der Sache zu bleiben und sich nicht einreden zu lassen von irgendwelchen angeblich gutmeinenden Leuten „Seid so wie jemand, dann hat das Erfolg“. Denn bis man dann so weit ist mit der eigenen Platte, so wie jemand zu sein, ist dieser Jemand schon wieder abgemeldet, und man selbst gerät in den Sog des Ex-Jemand. Also hartnäckig bei dem bleiben, was man selber ist – und nicht versuchen, irgend jemand nachzumachen.

Wie ist Heinz Rudolf Kunze als Band-Chef?

Eher zurückhaltend. Ich habe meinen Mann fürs Grobe.

Ich bin kein sehr autoritärer Band-Chef. Der Heiner Lürig, mein Partner, ist eigentlich der musikalische Leiter der Band. Der ist auch hartgesottener als ich und eher imstande, klare Ansagen zu machen. Ich bin da doch eher zurückhaltend und gebe auch zu, dass ich da ein bisschen Verantwortung gern auch delegiere.

Ist das Album „Richterskala“ ein Konzept-Album gewesen?

Nö. „Richterskala“ fand ich einfach einen guten Titel, weil ich denke, wenn man poetisch-musikalisch arbeitet, muss man schon eine Art Erdbeben-Messer. Also man versucht schon, die Schwingungen und Beben in der Zeit zu protokollieren und abzubilden. Die Songs auf „Richterskala“ sind doch alle sehr verschieden. Es hat keinen roten Faden, es ist keine verkappte Rock-Oper. Jedoch gehört sie für mich von den fünfundzwanzig Alben, die ich gemacht habe, zu den fünf liebsten.

Damals war ich in einer großen Aufbruchstimmung, weil ich die klassische Kunze-Band, die so lange zusammengespielt hat, kurz vorher aufgelöst hatte. Es war ein Neubeginn mit sehr vielen Hoffnungen. Das Album hat leider nicht viel Erfolg gehabt – einige danach waren wieder erfolgreicher. Und ich freue mich heute noch besonders, wenn mir Leute das entgegenhalten, das signiere ich besonders gern.

Gibt es Musiker, die Heinz Rudolf Kunze schon mal gecovert haben?

Ja. Es gibt einige ganz merkwürdige Versionen von „Dein ist mein ganzes Herz“. So Tekkno-Versionen, eine in Holland, eine in der Türkei, eine in Norwegen – alles natürlich gewaltige Hits, die Sie unzweifelhaft kennen.

[Gelächter.]

Ansonsten ist es in der Tat eher selten, dass ich gecovert werde.

Wie wichtig sind Ihnen Fans?

Letzten Endes ist das ein Beruf, der sich in der Öffentlichkeit abspielt. Es geht ja nicht nur darum, dass man irgendwann Resultate in den Hitparaden liest oder sich einsam mit seinem Bankkonto beschäftigt. Sondern man will ja auch wissen, wie das, was man gemacht hat, von den Leuten angenommen wird. Deswegen sind natürlich Live-Konzerte etwas, worum uns alle anderen Künstler beneiden, denn da sieht man und kriegt mit, was die Leute von der eigenen Arbeit, von der Musik halten. Deswegen würde ich mit einem Maler nie tauschen wollen.

Wie fühlen Sie sich, wenn am Konzert-Ende mit dem Singen Ihrer eigenen Liedzeile „Wenn Du nicht wiederkommst“ eine Zugabe einfordern?

Als ob ich irgend etwas richtig gemacht hätte.

Sie haben mal ein sehr schönes Kinderlied gemacht. Haben Sie vor, so etwas ähnliches noch mal zu schreiben? Vielleicht gar eine Kinder-Platte?

Das war so ein Ausflug. Ich hab da nie das Gefühl gehabt, in der Richtung kommt etwas nach. Sie müssen jetzt ganz stark sein: Ich find heute das Lied unglaublich peinlich – aber ich freue mich, wenn es Ihnen gefällt.

[Gelächter.]

Und wer bin ich, dass ich mehr Recht haben sollte als meine Fans?

Sie haben frühzeitig gesungen „Glaubt keinem Sänger“ und später auch dementiert, irgend eine Botschaft zu haben. Sie sind fünfundzwanzig Jahre in diesem Geschäft und wissen, wie virtuell diese Realität ist. Wieviel Authentizität und wie viel Statement würden Sie anderen in Ihrem Business heute zugestehen?

Das kann man nicht allgemein beantworten. Das müssen Sie sich von Person zu Person und von Künstler zu Künstler angucken. Und es ist Ihre Sache, wie viel Sie jemandem glauben. Ich kann nicht für die Kollegen sprechen. Ich weiß nicht, wie ernst die es meinen. Ich kann nicht in sie hineingucken. Ich habe einen Eindruck von Musikern – manchmal fühle ich mich belogen, und manchmal ernsthaft angesprochen. Warum das so ist, kann ich selbst oft gar nicht qualifizieren.

Ich meine meine Arbeit ernst. Ich habe nie behauptet, dass ich irgendwelche Botschaften rüberbringen will. Ich möchte den Leuten etwas erzählen. Ich möchte Angebote machen. Und das mache ich mit großem Ernst. Ich nehme meinen Job sehr ernst – auch wenn es um Kalauer geht oder um Lacher. Und ich nehme ein so genanntes öffentliches Thema genauso ernst wie ein Liebeslied. Da ist immer alles drin, was ich tun kann.

Ich arbeite immer unter Hochdruck und Volldampf und spiele nie auf Zeit und nie auf Reserve. Wieviel Sie mir davon abnehmen, ist Ihre Sache. Ich kann nur mein Angebot machen. Gemeint ist das alles absolut und einhundert Prozent so, wie es rüberkommt. Ich habe in meinen fünfundzwanzig Jahren Arbeit auf meinen Platten nie etwas gemacht, was ich heute von vorne bis hinten verlogen finde und wofür ich mich schäme.

Es gibt Sachen, die würde ich heute vielleicht nicht mehr machen oder anders sagen – aber aus der Zeit heraus verstanden war es alles in Ordnung. Ich schäme mich für den Lebensweg nicht. Gott sei dank sind es inzwischen so viele Lieder, dass die Leute, die sich überhaupt für mich interessieren, ihre jeweiligen Vorlieben treffen können. Aber der Ansatz ist durchaus einer von Wahrhaftigkeit. Ich denke, man kann gar nicht fünfundzwanzig Jahre überstehen, wenn man es nicht ernst meint.

Gesprächs-Mitschnitt und Verschriftung: Holger Zürch, Leipzig; Fotos: Holger Zürch, Sven Walther

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