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2000

Alfred Biolek interviewt Kunze

Biolek: Phil Collins hat einmal gesagt: "Ich war nie in Mode oder ein Liebling der Presse und konnte deshalb auch nie aus der Mode kommen." Würden Sie sagen, daß das auch für Sie gilt?

HRK: Ich bin zumindest immer noch da. Ich habe jetzt knapp zwanzig Jahre überstanden in diesem Gewerbe, interessanterweise die ganze Zeit bei der gleichen Plattenfirma, was ja auch nicht so selbstverständlich ist. Ich war immer bei der WEA. Und ich erlebe mittlerweile meinen vierten Geschäftsführer, Bernd Dopp, der mir neulich mal sagte, ich habe eigentlich lebenslänglich.

Biolek: Was ist Ihnen wichtiger – die Texte oder die Musik?

HRK: Als Oberschüler wollte ich mal Schriftsteller werden. Doch sehr schnell danach kam doch die Idee, das mit Musik zu verbinden, weil ich eben, seit ich dreizehn bin, Musik gesammelt und fanatisch archiviert habe. Ich habe ein riesiges Zimmer und brauche immer größere Wände, um das alles überhaupt zu stapeln. Ich habe ein bißchen geschwankt, ob ich Peter Handke oder Bob Dylan sein wollte. Letzten Endes wollte ich lieber Bob Dylan sein.

Biolek: Wenn jemand, der nicht viel über Sie weiß, alle Ihre CDs bekommen würde und diese sofort durchhören würde, glauben Sie, daß er sie der jeweiligen Zeit zuordnen könnte, in der sie entstanden sind?

HRK: Ich glaube schon. Ich denke, daß wir in unserer Musik eine extreme Bandbreite gehabt haben. Wir haben angefangen auf der ersten Platte mit Akustikgitarren, Kontrabaß und Klavier – fast also Liedermacher-Atmosphäre, und haben dann herum experimentiert mit allem, was uns in die Quere kam. Wir haben sehr früh schon Sequencer und Rhythmusmaschinen eingesetzt und mit der Neuen Deutschen Welle geflirtet. Aber wir haben eigentlich immer versucht, ein akustisches Tagebuch zu machen für jedes Jahr, in dem wir vorgekommen sind. Am liebsten würde ich es so sehen, wenn jemand meinen Kram hören würde, daß er sagen würde "darin kommt eigentlich alles vor, was es in den letzten zwanzig Jahren gegeben hat." Das war jedenfalls mein Plan. Ob es mir gelungen ist, das ist eine andere Frage.

Biolek: Versuchen Sie in Ihren Texten Fragen, die in dieser jeweiligen Zeit in der Luft liegen, zu beantworten?

HRK: Ich glaube, man kann in diesen zwanzig Jahren, in denen ich Platten mache, sehen, daß ich immer ratloser geworden bin. Als ich angefangen habe, waren mir Dinge angeblich klarer. Ich wußte irgendwie früher deutlicher, wo schwarz und weiß ist und wer böse und wer gut ist. Da werde ich jetzt etwas bedächtiger mit den Jahren.

Biolek: Eines der Stücke heißt Jesus Tomahawk. Wer ist das?

HRK: Jesus Tomahawk ist eine Fortschreibung von einem Stück, das ich 1991 einmal gemacht habe. Es hieß Brille und war ziemlich autobiografisch – meine Kindheit, meine Jugend – was ich eigentlich selten mache in dieser Offenheit. Normalerweise benutze ich mein eigenes Leben nur als Teil dessen, was ich erzähle und vermische es mit anderen Dingen. Das Stück damals war ziemlich ehrlich. Und da Brille meine Kindheit und Jugend behandelt hat, dachte ich mir, ich muß nun erzählen, wie es heute aussieht. Und Jesus Tomahawk ist jetzt der Stand der Dinge, der Stand meines Lebens. Ein sehr ratloser Stand. Ich gebe zu, es ist ein etwas nebulöses Stück. Man kann sich viel dabei denken, da es besonders offen und nicht direkt formuliert ist. Warum ich dieses Bild gewählt habe – es ist ein Mensch, ein guter Mensch. Jedenfalls versucht er gut zu sein.

Biolek: Und das ist Jesus?

HRK: Ja, aber er ist nicht bereit, auch die andere Backe hinzuhalten. Er versucht sich mit zu simplen Mitteln gegen eine überwältigende Zivilisation zu wehren. Ein Tomahawk ist kein Mittel, um gegen das Internet-Zeitalter klarzukommen. Ein ratloser Mensch. Leonard Cohen würde sagen: "Ein schöner Verlierer".

Biolek: Also "Tomahawk" ist natürlich auch assoziativ Amerika. Wie wichtig ist Ihnen Amerika als Land, Kultur und natürlich in dem Fall die Musikkultur, also die Rockkultur. Wie wichtig ist sie Ihnen und wie sehr hat sie Sie beeinflußt?

HRK: Absolut, ohne Einschränkung. Ich habe mich sehr darüber geärgert, daß ich in den letzten Jahren festgenagelt wurde mit dieser leidvollen Quotendiskussion, die immer an mir festgemacht wurde. Ich war ja eigentlich nur das Sprachrohr für achtzig Kollegen, die gemeinsam eine Petition unterschrieben haben, daß es mehr deutschsprachige Musik im Radio geben sollte. Und ich habe die gesamte Prügel dafür bekommen. Meine gesamte musikalische Herkunft ist anglo-amerikanisch. Das ist gar keine Frage.

Biolek: Trotz der deutschen Texte?

HRK: Ja.

Biolek: Ist das ein Versuch, einen Kompromiß zu schließen ?

HRK: Nein. Das war für mich völlig natürlich, weil ein Mann wie Bob Dylan ja auch nicht französisch singt oder kisuaheli, sondern in Englisch. Und ich habe viel von den Anglo-Amerikanern gelernt – Memphis Tennnessee, Liverpool, London, San Francisco, New York – das hat das ausgemacht, was ich musikalisch mache. Das gebe ich zu. Ich habe niemals das Gefühl gehabt, daß in Deutschland – abgesehen von wenigen Glanzlichtern wie "Can" oder Kraftwerk – etwas entstanden ist, was der Welt-Rockmusik etwas wesentliches hinzufügen kann. Damit klinken wir uns alle ein in die anglo-amerikanische Gesamtkultur. Und unser einziger möglicher Beitrag von Originalität, von Wichtigkeit, von Wesentlichkeit besteht darin, daß wir versuchen, es mit unseren Texten zu verbinden und von hier zu erzählen. Aber musikalisch sind wir alle, ob wir es zugeben oder nicht, von England und Amerika total geprägt.

Biolek: Mit über Vierzig gehören Sie ja schon zu den etwas gesetzteren Erwachsenen. Ist das ein Problem mit dieser Art von Musik?

HRK: Ja. Sicherlich. Es gibt zwar die Möglichkeit, durch diesen Beruf etwas länger jung bleiben zu dürfen als viele andere Menschen, die in einem Büro sitzen und etwas langweiliges tun müssen. Das genieße ich auch. Aber es gibt natürlich auch die Gefahr, sich zu verkrampfen und sich künstlich jugendlich zu gebärden. Das versuche ich zu vermeiden. Und ich gebe gerne zu, daß mich Leute, die älter sind als ich und noch immer auf der Bühne stehen, wie beispielsweise Lou Reed, den ich sehr bewundere, ermutigen. Sie geben mir das Beispiel, daß man, wenn man etwas will, etwas zu sagen hat, dieses lange durchhalten kann. Ich höre und sammle nun seit dreißig Jahren Musik. Ich habe vierzigtausend oder mehr Tonträger zu Hause. Ich orientiere mich eher an älteren Vorbildern. Neil Young, Lou Reed, Randy Newman oder Bob Dylan sind Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, sie sind älter als ich und haben mir wahrscheinlich immer noch einiges an Lebenserfahrung voraus. Wenn ich eine Band höre wie Radiohead, finde ich sie auch gut, nur entdecke ich darin Spuren der frühen Pink Floyd und denke "ja prima, aber das haben wir schon einmal gehabt".

Biolek: Aber das ist sicherlich auf den meisten Gebieten der Kunst so. Man fragt sich sowieso, wie es noch Maler gibt, die überhaupt irgendwelche Farbe auf eine Leinwand bringen, da wirklich alles gemacht wurde von den alten Meistern, die perfekt naturalistisch waren bis zu all den Leinwänden, die einfach nur mit einer Farbe gestrichen sind – weiß, schwarz, grün oder gelb – und alle knien davor nieder. Und dazwischen: alles, was möglich ist, ist passiert. Und es geht doch immer wieder weiter. Daß das natürlich immer wieder ein Weitergehen und Zurückgreifen und Verändern alter Dinge ist, das ist wohl so.

HRK: Deswegen finde ich dieses Credo von Lou Reed so schön, der gesagt hat: "Ich halte so lange am Rock'n'Roll fest, bis man mir etwas besseres zeigt.

Biolek: Sie haben ein Lied auf der CD, "Talk Show Schmutz" – das scheint Sie ja zu bewegen, was man da so sieht.

HRK: Es geht um die Nachtmittagsshows, die ich häufig sehe. Ich bin ein ziemlich intensiver und extensiver Fernseher. Häufig ohne Ton, wenn es mich interessiert, dann stelle ich den Ton an. Wenn ich da so manche Menschen sehe, die sich offenbaren und ihre doch wirklich sehr intimen Dinge preisgeben und ich den Eindruck habe, daß sie das Fernsehen als eine andere Art des Beichtstuhls benutzen, um öffentlich sich mit einem Partner auszusprechen, oder auch manchmal nur, um sich zu spreizen und zu gebärden. Also es gibt einfach Momente, die haben mich so angeekelt bei diesen Nachmittagsshows, daß ich nicht anders konnte, als etwas dazu zu machen. Ich habe es aber, weil ich mich nicht in einer anklagenden Position befinden wollte, als Song in der "Wir"-Form geschrieben und mich insofern auch selber schmutzig gemacht.

Biolek: Was ist Murphys Gesetz?

HRK: Murphys Gesetz heißt: alles, was schiefgehen kann, geht auch schief. Und deswegen habe ich versucht, in diesem Text zu beschreiben, wie so eine Welt aussähe für einen Murphy. Die Welt wäre eine Utopie, in der nicht unbedingt alles rund sein muß – es kann auch eckig sein.

Biolek: Das heißt, wenn man von vornherein das Scheitern als selbstverständliche Möglichkeit einplant ...

HRK: Also am besten gefällt mir die erste Strophe, weil ich es sehr schön fände, wenn Menschen sich so benehmen würden wie Katzen.

Biolek: "In Murphys Welt wären Menschen von Katzen kaum zu unterscheiden, wären still und geschmeidig und würden einander meist meiden." Ich weiß nicht, ob ich das so möchte.

HRK: Ich aber halt.

Biolek: Ja, da sind wir anderer Meinung. Aber die Frauen kommen schon auch immer wieder vor.

HRK: Sicher.

Biolek: Abgesehen davon, daß Sie glücklich verheiratet sind, spielen die Frauen eine wichtige Rolle in Ihrem Leben?

HRK: Ich weiß mit großer Freude und Genugtuung, daß die Mehrzahl der Menschen, die meine Alben kaufen, Frauen sind. Das hat die WEA mal herausgefunden, nachdem wir eine Untersuchung gemacht haben. Ich habe gar nicht damit gerechnet. Ich bin kein "Womanizer", nicht besonders umtriebig. Ich bin tatsächlich stetig verheiratet und nicht ständig auf Achse. Aber wenn ich höre, daß die Weiblichkeit mich gerne hört, bin ich darüber sehr froh empfinde es als Kompliment. Gerade weil ich ja auch nicht unbedingt so aussehe wie ein Star.

Biolek: Ich auch nicht, und ich habe auch hauptsächlich weibliche Zuschauer.

HRK: Ich habe einmal ein Erlebnis gehabt: Eine Journalistin eines Stadtmagazins aus Hamburg sah aus wie eine klassische Punkerin, mit Rasierklingen im Ohr, blaß geschminkt und schwarzem Lippenstift, ganz furchterregend. Sie kam auf mich zu und ich dachte die will mich abschlachten. Sie sagte: "Herr Kunze, ich danke Ihnen. Ich habe das Gefühl, seitdem ich Ihre Sachen höre, daß ich die Männer etwas besser verstehen kann."

Biolek: Gibt es Zukunftswünsche, Träume, Vorstellungen. Was möchten Sie noch erreichen. Gibt es Ziele?

HRK: Ja, es gibt ein klares Ziel. Ich möchte gerne enden als der elektrische Hüsch. Ich möchte der elektrische Geschichtenerzähler sein, der noch lange weitermachen darf und eine Institution sein darf wie Hans Dieter Hüsch. Ich möchte den Leuten noch lange etwas erzählen über dieses Land und über mich, wenn es sie interessiert, und so eine Gestalt werden, die man einfach braucht. Nicht unbedingt in den Hitparaden, aber die notwendig ist. Das wäre mein schönster Plan.  

WEA, Dezember 2000

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