Titelseite von "Mücken und Elefanten"

1992

Texas-Klinik

Man sollte mehr fernsehen. Ehrlich.
Fernsehen ist die verkörperte Gegenwart Gottes.
Erst mit dem Fernsehen haben wir den Allmächtigen eingeholt,
der uns vom Urknall an als Nonstopshow beglotzt,
mit Horror, Sport und viel Musik.
Jetzt glotzen wir uns selber an – und damit Gott,
nach dessen Bilde wir und so weiter.
Einstand, Schöpfer! Deuce! Tie-Break!
Wir amüsieren uns zu Tode? Meinetwegen!
Immer noch besser, als sich zu Tode zu langweilen.
Im Fernsehen haben die luftdichten Toten keinen Gefrierbrand.
Fernsehen! Schwarzes Loch für bestechliche Dichter!
Programmtafel! Täglicher Gedenkstein der vor den
Gagen gefallenen Poeten! Welche Dichtkunst im Feierabendhagel!
Neulich las ich's, und wie Schuppen von der
ozonlochsonnenverätzten Haut fiel mir's:
Dallas – hat Sendepause. Schwarzwaldklinik – dreht neue Folgen.
Was tun derweil? Na klar: Die Texas-Klinik!
Texas-Klinik! Einfach genial! Sechs Folgen! Spitze!
Und danach: Der Bohrturm im Schwarzwald!
Mit Thomas Gottschalk als Bohrturm und Uschi Glas als ...
Texas-Klinik! Diese virtuose Zuspitzung, diesen
Mount Everest der Genüsse muß man sich mal REINTUN!
Ein verbaler Traumpaß, wie der von der Mittellinie
zu Günther Netzer im DFB-Pokalfinale Gladbach gegen Köln,
way back in the Seventies.
Fernsehen bildet.
Ab.
Es hilft nicht unbedingt, Dinge zu erkennen,
aber es hilft immerhin, Dinge wiederzuerkennen,
und das ist doch auch schon was in diesen depperten Zeiten, gell?
Mehr Wiederholungen! Fordert mehr, noch mehr,
nur noch Wiederholungen! Von morgen bis zur
Wiedervereinigung Deutschlands jeden Abend um acht
die Tagesschau vom 14. 5. 1979,
egal was da los war, wahrscheinlich eh wieder nichts.
Nur noch Wunschfilm! Einen einzigen! Immer!
Jägerblut, oder Ochsenschwanz, oder wie der hieß.
Nachtgedanken? Na gut, aber nur noch einen!
Alle Programmgestalter arbeitslos!
Hirnschlag und Herztod für alle rund um die Uhr besoffenen,
um ihr nichtiges Wirken gebrachten Verantwortlichen!
Nicht lockerlassen: Weiter fernsehen, schneller, härter,
bis es tagt, das Jüngste Fernsehgericht.
Und wenn wir dereinst mit den Bäumen und Robben vereint sind
und Gott mit der Karawane des Kanzlers über andere
Milchstraßen zieht, laufen in verlassenen Wohnungen,
durch die der Sternenwind weht,
die einsamen Apparate unerblickt weiter,
ein blindes Rauschen wie vor dem Anfang der Welt.

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