Titelseite von "Klärwerk"

1999

Wir

Wir möchten Sie darauf aufmerksam machen,
daß der folgende Text ein politischer ist,
Eltern sollten ihn nicht ohne Begleitung ihrer minderwertigen
Kinder hören oder lesen. In diesem Text geht es ums Ganze.
Um die Wurst, um die Zukunft, um Ulm und um Ulm herum,
um die Glaubwürdigkeit, die Freiheit, die Freizeit,
um Himmels willen, um ein Haar. In diesem Text
wird jedes heiße Eisen angefaßt, bis es ausgekühlt ist,
in jedem wunden Punkt mit dem Finger gebohrt,
sei es auch das Nasenloch deines Nächsten oder der eigene Anus.
Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles besser,
wenn nicht gar schlechter. Unsere Politik
spiegelt die wirklichen Verhältnisse wieder,
anstatt die Unwirklichkeit der Verhältnisse zu bekämpfen.
Es ist eine Politik zwischen Karneval und Karzinom,
Promille und Projektil, Fußball und Verdammnis.
Spaß soll sie machen, gleiches Unrecht für alle,
was dem Volk am meisten stinkt, riecht man am besten
mit Pappnase. Der Doppelpaß klappt nicht,
weder staatsbürgerlich noch auf dem grünen Rasen,
der DFB denkt schon über ein fußballfeldgroßes Mahnmal
in Jacksonville/Florida nach, ein Name, der sich nahtlos einreiht
in die Geschichte großer deutscher Schlachten wie Verdun,
Stalingrad, Wembley. Strom kommt nach wie vor
aus der Steckdose, und wenn nicht, dann müssen wir halt
alle mal tief durchatmen und die Windräder anpusten.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eilt von Sieg zu Sieg:
Frauenbeauftragtenbeauftragte, Schröder-Doubles
(schließlich kann selbst der nicht überall sein),
Hundekotsammelkompanien, schon wieder ein paar
Soziologiestudenten von der Straße. Die Opposition?
Das Schweigen der Belämmerten. Sie, hochverehrte
Wählerinnen und Wähler, Sie, Volkssouverän, von dem
alle Gewalt ausgeht, sanfte und weibliche, gegen Sachen
und gegen Kinder, die richtige und die rechte, haben gewählt:
Jetzt gibts Grünkohl statt Systemkohl,
da haben Sie den Salat.
Wir lassen nichts unversucht, wir knien uns
lewinskymäßig rein für Sie, probieren geht über studieren,
parodieren über regieren, wir schützen Sie vor sich selbst,
lernen Sie neinsagen, lernen Sie Ihre Ängste zu lieben,
genießen Sie Ihre Schwäche und Kernkraftlosigkeit,
nur eines genießen Sie bei uns nicht: Ankündigungsschutz,
Wahltag ist Prahltag, Alltag ist Zahltag –
die Abschaffung des Alltags ist eines unserer tuffigsten Projekte,
eine Anzeigenkampagne mit Hermann Göring, Verona Feldbusch
und Pumuckl ist in Arbeit. Zum Schluß noch eine Richtigstellung:
Es ist unwahr, daß Jürgen Trittin EU-Kommisar in Brüssel wird.
Wahr ist vielmehr, daß er ab sofort die Rolle des Brisko Schneider
in der "Wochenshow" übernimmt. Bastian Pastewka kümmert sich
derweil um die gesamtdeutsche Witzewiederaufbereitung.
Dies war eine Sprechblase der jetzigen und jeder künftigen
Bundesregierung – bessere werden Sie durch freie Wahlen
nimmer bekommen. Ein herzliches Humba, auch an die ehemalige
Tätärä. Tu mir mal nochn Pils, Kanzler.

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