Cover des Buches "Papierkrieg"

1986

Spuren

Wir öffneten das Massengrab.
Der Capitano spuckte seinen Zigarettenstummel aus
und blickte ruhig von einem zum andern.
Ein Gewitter von Blitzlichtern zog auf.
Die letzten Kubikschaufeln voller
offensichtlich erst vor kurzem festgestampfter Erde
häuften sich neben dem bezeichneten Platz.
Diejenigen, die sich uns als Opfer,
Überlebende und Hinterbliebene vorgestellt hatten,
bohrten durcheinanderschreiend und rotgesichtig
mit ihren zitternden Zeigefingern Löcher in die Luft.
Das erste, was wir fanden,
war ein roter Kotflügel einer amerikanischen Limousine.
Es folgten
zwei deutsche Kühlschränke ohne Türen.
Wir gruben tiefer.
Laut war das Ächzen der Schaufeln im Erdreich.
Unsere Zeugen der Anklage: Stumm wie der Himmel.
Ungläubig blinzelten wir auf unsere Lagepläne,
verglichen sie, nickten
und zuckten mit den Achseln.
Als wir in beträchtlicher Tiefe auf zwei
vernagelte Kisten stießen, kam das spärlich gewordene
Blitzlichterklicken noch einmal in Gang.
Wir erbrachen die Behältnisse.
Drinnen befanden sich muffige feuchte
italienische Modezeitschriften,
zwanzig japanische Massagestäbe mit britischen Batterien
und zerbrochenes französisches Porzellan.
Fuchtelnd lief einer der Zeugen davon.
Er glaubte sämtliche Vermißte soeben
am Horizont gesehen zu haben,
wie sie in einen Bus einstiegen.
Wartet, schrie er, ich hol sie zurück.
Das war es dann wohl, Hombres, sagte der Capitano,
kickte mit der Fußspitze einen Feldstein in das Erdloch
und zündete sich eine neue Zigarre an.

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