Titelseite von "Artgerechte Haltung"

2005

Künstlerpech

Kennen Sie das?
Sie sind verheiratet, schon länger, ganz gut soweit,
Sie kommen noch einigermaßen darin vor.
Ihre Tochter hat Pferde und Jeannette Biedermann an der Wand,
Ihr Sohn ist vier Köpfe größer als Sie
und geht am Wochenende alcopoppen.
Ihre Frau geht langsam zu Ende, aber nur ganz allmählich,
jedenfalls nicht schneller als Sie, eher im Gegenteil.
Wie alt Sie geworden sind, merken Sie daran,
daß sie manchmal urplötzlich Anfälle von Mitleid
mit Gerhard Meyer-Vorfelder haben.
Was haben die Leute eigentlich alle gegen Doppelspitzen?
Jede Frau hat eine. Und "Hängende Spitze"
ist ein Fachausdruck aus der modernen Fußballphilosophie,
nicht mehr und nicht weniger,
ob es die Damen wahrhaben wollen oder nicht.
Eines wird sich nie ändern, solange die Welt um die Sonne eiert:
Mit Frauen diskutieren ist wie einem Pony Altgriechisch beibringen.
Es geht. Es geht ganz bestimmt.
Man darf nur nicht erwarten, daß man die Antworten versteht.
Kennen Sie das? Dieses sanfte Resignieren,
das sich in Ihnen breitmacht?
Das Sie wie einen scharlachroten Vorhang aus
gut abgelagertem Burgunder über Ihren Alltag breiten möchten,
wenn jeder Ihrer Urologen aussieht wie Jörg Pilawa,
wie er angesichts der vor ihm sitzenden Quiz-Volldeppen
in verzweifelter Kumpanei den Mund verzieht und ausstößt:
Das ist ... RICHTIG!, wenn alle Frauen vor und hinter Ihnen
in der Supermarktschlange aussehen wie Claudia Roth,
nur die Kassiererin nicht, die sieht aus wie Heide Simonis
und flüstert hinter vorgehaltener Hand, ob Sie sich
eventuell vorstellen könnten, sie zu tolerieren.
Mein Gott, sind die Leute empfindlich geworden.
Mißgünstig. Niederträchtig.
Nach jedem gelungenen Einparken schaut man Sie an,
als hätten Sie gerade voll konkret Rußland überfallen.
Kennen Sie das nicht? Ja wo leben Sie denn?
In Deutschland wohl kaum.
Und wissen Sie, was das Schlimmste ist?
Dieser bohrende Verdacht, wenn Sie Hannover verlassen,
daß irgendwo in dessen westlichen Endmoränen,
vielleicht in Wunstorf-Luthe oder Groß-Munzel,
die eine, einzige, einmalige Frau lebt,
für die Sie wirklich bestimmt waren –
oder der Mann, wer weiß. Oder der Knollenblätterpilz.
Und Sie werden es niemals erfahren,
weil Sie in diesen Zehenzwischenräumen Gottes
niemals anhalten werden, wenn Sie in Ihrem
VW-Phaeton mit WARP 4 nach Westen schießen,
Ihren Fans entgegen, in die Arme neuer williger
Literatur-Groupies, die nachtein nachtaus das Mantra murmeln:
Mißbrauch mich. Bitte mißbrauch mich.
Ich kann Ihnen sagen, es macht sich ja keiner ein Bild davon,
wie schwer das ist als Superstar der Sensibilität,
im Hamsterrad der Hingabe
das Kreuz tut weh, aber immer lächeln –
wie Golgatha soll es aussehen,
aber wie Colgate auch.

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