Titelseite von "Mücken und Elefanten"

1987

"Kopf verloren" ist ebenfalls als Sprechtext auf folgendem Album erschienen:

Cover des Live-Albums "Deutsche singen bei der Arbeit – Bootleg Edition" Deutsche singen bei der Arbeit
Bootleg Edition

Kopf verloren

Auf einer Eisenbahnfahrt von Frankfurt nach Bonn,
am Rhein entlang,
hat Kilian seinen Kopf verloren.
Kurz hinter Wiesbaden begann der Nebel.
Krähen hingen in der Luft,
das offene Land sah nach Selbstmord aus,
wie in österreichischen Romanen.
Aus dem Fluß stiegen milchige Fäden auf,
das Wasser glibberte wie Käse, den man zu lange liegen läßt.
In der Mitte des Zuges befindet sich ein Quick Pick,
das IC-Team erwartet Sie gerne, flüsterte aus dem
Lautsprecher eine Stimme mit der Anschmiegsamkeit Walter Wallmanns.
Kilians Gegenüber las die BILDzeitung.
Auf der Titelseite stand, daß man im SPD-Hauptquartier
inzwischen bereits Ritualmorde und Menschenopfer erwäge.
Kilian spürte, daß er sein Gedächtnis verlor:
Ein Gefühl, als ob man beim Schleudergang
in eine unendliche Waschmaschine schaut.
Er stolperte zum Münzfernsprecher, um seine Freundin
zu fragen, wo er aussteigen mußte. Als er vor dem
Gerät stand, wußte er nicht mehr, was er da wollte,
und ohnehin hätte er kein Kleingeld gehabt.
Ab Koblenz sah man die Hand vor Augen nicht mehr.
Unbemerkt von aller Welt saß Peter Rüchel auf der Loreley
und schnitt sich die Haare ab.
Kilian hörte Stimmen, Stimmen von Kindern
und Stimmen von Gefallenen, und alle redeten durcheinander.
Sie erzählten ihm alle Geschichten, die er jemals hätte
erleben können, und nahmen sie gleich wieder mit in den Fluß.
Die Person, die in Bonn ausstieg, wußte nicht warum.
Sie hatte keinen Kopf mehr,
oben am Hals war einfach Schluß.
Das fiel nicht weiter auf.
Alle andern sahen genauso aus.

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