Cover des Buches "Deutsche Wertarbeit"

1984

Ich bin einer von denen

Ich bin einer von denen, für die nachts alle Theorien grau sind. Deren Plattenspieler jeden Musikfreund mürbe lächeln läßt. Die noch nie geflippert haben, nie Squash gespielt. Ich bin einer von denen.
Mir bitte Yoko ohne! Als Kind war ich oft und gern krank. Dann las ich Bücher von Zeltlagern, kurze Hose, Nachtmärsche, bis ich wieder aufstehen mußte, und hinaus, wo mich keiner vermißte. Einer von denen bin ich.
Machen Sie mit mir, was Sie wollen! Ich mache mit Ihnen ja auch, was ich will. So soll es sein. Leben: eine naßkalte Kategorie, Kant und sein Konjunktiv, was soll mir das alles, wo ich mir (heute noch!) Zukunft nicht vorstellen kann, es sei denn als das alte weiche Mißverständnis, und danach seine feuchte Klebrigkeit, die man wegwäscht, in aller Unschuld.
Ich bin einer von denen, die nie das Teilen lernten, das Miteinander, was aber völlig verständlich ist, weil sie immer zuviel von Allem hatten und es nie jemand gab, mit dem geteilt werden konnte. Was dazu führte, sich öffentlich mit-zuteilen, pausenlos, zwanghaft und auf eigene Gefahr, ich bin einer von denen.
Auf Toiletten feuere ich mich an. Bei Gesprächen fasse ich mich gern kurz und setze sie später am Telefon fort, bis beide Ohren glühen. Liebe heißt für mich: erstaunt sein darüber, daß überhaupt ein Mensch irgendetwas an irgendeinem anderen Menschen findet. Wer mich nicht kennt, meint, ich sei kalt. Unnahbar. Rätselhaft. Aber leider nicht auf diese schicke Art, bei der die Augen der Frauen verschwimmen. Dann gibt es welche, die haben trotz allem Geduld mit mir. Die sagen, ich sei eigentlich ganz anders. Die kennen mich noch nicht. Einer von denen bin ich. Ich kann nicht kochen. Was Barthaare betrifft, habe ich mich schon oft gefragt, ob die bei mir nach innen wachsen. Ich bin durchaus für die Weltrevolution, andererseits stelle ich sie mir so belanglos vor wie alles Wichtige. Als Kind sah ich atemlos, mit Speichel auf der Kinnspitze eine Fernsehserie über die letzten Wochen der armen Marie Antoinette und über ihren hinreißend scheiternden, wie der Teufel reitenden, fechtenden, gepuderten Retter. In meinen Träumen verschmolz er mit dem Lederlendentarzan, der ich selber war, wenn ich Dschungeln, Meeren, Sternen entstieg, meine Tanzstundendame auf dem Arm (unzureichend bekleidet, bewußtlos und doch dankbar). Der Weißgardist der Königin hieß Chevalier de Maison Rouge, ein Name, den ich nie vergessen werde, wenn ich ihn spreche, entrollt sich meine Zunge wie das Lilienbanner der Bourbonen. Ich bin einer von denen, deren Leben an keinem roten Faden hängt, die die Schlagfertigkeit einer Schnecke haben, eines Opfertiers, eines Kontinents. Die sich freuen über goldenes Novemberlicht, wenn der Himmel aufreißt, nachmittags um vier. Die keine gemeinsame Überschrift haben. Warum nicht? Das ist eine lange Geschichte. Falls ihr nicht wißt, woran man die erkennt, falls es euch überhaupt interessiert: ich bin einer von denen.

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