Cover des Buches "Heimatfront"

1997

Gesichtskontrolle

"Ich bin jung."

"Das sagen alle."

"Mein Lieblingslied in der Geschichte ist Hitler. Also, rein interessemäßig. Ich weiß nicht, wie man »Rechtschreibreform« schreibt. Und Umweltverschmutzung find ich irgendwo wahnsinnig gefährlich."

"Das klingt schon besser. Herzlich willkommen."

"Ich bin jung."

"Das sagtest du schon."

"Aber ich mag nicht tanzen."

"Wie bitte?"

"Ich mag nicht tanzen."

"Error. Erbitte Korrektur."

"Es ist wahr. Ich HASSE Tanzen."

"Dann bist du nicht jung."

"Ich trage Baseballkappen. Verkehrtrum."

"Das tun auch viele Gesamtschullehrer bis Fünfzig, um sich anzubiedern."

"Ich nehme Crack, trage Tarnhosen und finde Kondome ätzend."

"Das könnten methadonmüde Hippies, Großväter, die die Silbe »Ex« vor »Nazi« hassen, und klimakterische Kaplane auch sagen."

"Heinz Rudolf Kunze ist ein Oberlehrer."

"Das ist zwar falsch, aber deswegen bist du noch lange nicht jung. Nur im Irrtum. Aber man lernt ja nie aus, auch nicht im Alter."

"Vergiß es. Sprechen wir über was anderes."

"Damit gibst du zu, daß du nicht jung bist. Du lenkst von dir ab wie Liz Taylor. Du würdest tanzen, wenn du jung wärst. Du MÜSSTEST tanzen."

"Aber warum?"

"Das fragst du nicht, wenn du jung bist. Du tanzt."

"Das mußt du mir erklären."

"DUFF DUFF DUFF DUFF DUFF."

"Was?"

"Du verstehst nichts. Gar nichts verstehst du. Weil du nicht jung bist."

"Verdammtnochmal, ich bin jung! Reif, aber jung! Die SPD sagt, die deutsche Jugend wird immer reifer! Ich werde der erste Gemeinderat mit Akne!"

"DUFF DUFF DUFF DUFF DUFF. Hundertachtzig Beats pro Minute. Der Overkill."

"Duff Duff Duff?"

"DUFF. Du bist nicht jung. Dir sabbert kein Speichel aus den Mundwinkeln.
Deine Augenlider flattern nicht schneller als Kolibriflügel, also bist du nicht mal Musikvideozuschauer.
Wenn du Kippen aus dem Seitenfenster wirfst, kehren sie mit dem Fahrtwind zurück und versengen dir
Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Du bist die Sollbruchstelle jeder Party,
die Brandschutzübung jedes Schäferstündchens.
Deine Witze sind so gefürchtet wie das Lächeln Ewald Lienens,
nun ja, villeicht nicht ganz, da du glaubhaft behauptest, ihn nicht zu kennen, diesen ebenso sozialkritischen wie erfolglosen FUSSBALL-LEHRER.
Dir sind Begriffe wie »SPD« geläufig,
also kannst du gar nicht jung sein.
Und seit Minuten siehst du mir tatenlos zu, wie ich ein Messer von einer Hand in die andere werfe.
Hättest du es mir doch bloß längst weggeschnappt und deinem vergeudeten Geschick ein Ende gesetzt, fast wie am Schluß des Buches von diesem Prager Juden, der auch nie jung war.
Und mir ist, als hätte er auch das noch geschrieben: Dies, mein Junge, war DEINE Tür.
Und ich schließe sie nun.
Der Nächste bitte."

"Aber man ist so jung, wie man sich fühlt!"

"Ich weiß.
Ich war auch mal jung.
Verpiß dich."

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