Heinz Rudolf Kunze

2009

„Ich bin manchmal zynisch, sicherlich“

Kurz nach seiner Deutschlandtour mit Liedern des Albums Protest legt Heinz Rudolf Kunze sein neues Doppelalbum Räuberzivil vor – ein abendfüllendes Programm mit sieben neuen und 15 alten Songs sowie zwölf neuen Sprechtexten. Er spielt Räuberzivil bis Ende Februar landesweit in kleineren Sälen.

Welt: Herr Kunze, was sagen Sie zum Ergebnis der Bundestagswahl?

Heinz Rudolf Kunze: Interessant ist natürlich, dass die deutschen Wähler auch in Zeiten einer Krise es doch eher den Bürgerlichen zutrauen, den Laden in Ordnung zu bringen. Den schwachen Rechten und den starken Linken müsste es zu denken geben, dass sie nicht mal in Krisenzeiten richtig punkten können. Das ist aber auch ganz beruhigend für dieses Land, dass es irgendwie stabil bleibt. Ich habe vor Schwarz-Gelb überhaupt keine Angst. Und alle Kabarettisten jubeln. Jetzt haben sie endlich wieder die Regierung, die sie brauchen.

Welt: Wie bewerten Sie den Absturz der SPD?

Heinz Rudolf Kunze: Ein solcher Absturz macht mich besorgt, weil ich schon glaube, dass es dem Land gut tut, wenn es eine starke CDU und eine starke SPD gibt.

Welt: Auf ihrem neuen Doppelalbum Räuberzivil gibt es eine ganz Reihe von Texten, die sehr nah am politischen Kabarett sind. Verstärkt sich dieser Wirkungsbereich in ihrem Schaffen?

Heinz Rudolf Kunze: Das gab’s schon immer in meinen Programmen. Vielleicht ist es ein bisschen mehr geworden, was einer gewissen Bühnenerfahrung geschuldet ist, aber als roter Faden zieht es sich von Anfang an durch. Die Leute lachen gern über Politisches, und wenn man sich gemerkt hat, womit man die Leute zum Lachen kriegt, möchte man das ausbauen, man will ja das Publikum ja nicht zu sehr verdüstern und vergrübeln und da bieten sich bestimmte Figuren wie Thorsten Schäfer-Gümbel einfach an.

Welt: Wie kommt es, dass Sie so kurz nach dem Erfolgsalbum Protest ein neues Programm haben und unterwegs sind, statt die von Ihnen angekündigte kreative Pause zu machen?

Heinz Rudolf Kunze: Weil ich so viel Material habe, dass ich irgendwo unterbringen wollte. Da reicht nicht eine Platte alle zwei Jahre, da quillt der Tisch über. Deswegen bleibt mir gar nichts anderes übrig, als mehrere Programme zu machen, Lesungen, Räuberzivil zu Dritt, Gemeinsame Sache mit Purple Schulz zu Viert und die Band ist eben nur noch eins von vier Beinen, auf denen der Tisch steht. Ich bedauere das ein bisschen, aber die Band ist eben eine sehr aufwendige Unternehmung. Da haben wir im Frühjahr eine Tour gemacht, die nur aus 13 Konzerten bestand, weil sich dieser mittlere Wanderzirkus nur schwer rechnet. Mit Räuberzivil haben wir eine Möglichkeit mit wenigen Kosten überall hinzugehen, auch in kleine Orte, wo das mit der Band niemals möglich wäre.

Welt: Die meisten Künstler, die in kleinen Orten auftreten, füllen keine großen Hallen?

Heinz Rudolf Kunze: Das hat sich inzwischen bei uns zwischen den Projekten verschoben. Wir sind mit Gemeinsame Sache neulich in einem Ort an der polnischen Grenze vor 4000 Leuten aufgetreten, und wir dachten schon, das wird ein Gipfeltreffen zwischen NPD und PDS und riecht nach Schlägerei. Das war aber überhaupt nicht so, das waren 4000 aufmerksame und hoch motivierte Leute. Und mit Räuberzivil sind wir jetzt auf Platz 86 in die Charts eingestiegen. Ich war noch nie in meinem Leben auf einen Platz 86 so stolz, denn dieses Doppelalbum kommt als Underground-Album ohne Radiosingle ohne Fernsehen ohne jede Werbung nur durch echte Nachfrage in die Charts.

Welt: Wandelt sich die Aggressivität in ihren Texten mittlerweile auch nach Ihrer Wahrnehmung stärker ins Zynische?

Heinz Rudolf Kunze: Zynisch bin ich manchmal, sicherlich, also einfach gallig, als eine Art Gegenwehr gegen die Verhältnisse. Aber wenn ich so zickige Lieder nehme wie „Irrland“, die hätte ich genauso gut früher geschrieben haben können. Mir sind solche Alben auch wichtig, weil es immer Leute gibt, die sagen: Na, der wird langsam versöhnlich, der wird altersmilde? und das stimmt nicht.

Welt: Tja, Sie sind doch eher auf dem Weg zum bösen alten Mann.

Heinz Rudolf Kunze: Gerne.

Welt: Auf Alben von Ihnen sind immer wieder Stücke oder Texte, die provozieren. So heißt es in Erdkunde (Stammtisch) auf Räuberzivil, in dem Vorurteile über die Völker dieser Welt heruntergebetet werden, zum Beispiel über England, „die Wehrmacht hätte den Stöpsel rausgezogen“. Das ist nur schwer zu ertragen, die Wehrmacht hat es ja bekanntlich versucht... Was soll so ein Satz?

Heinz Rudolf Kunze: Ich bin viel unterwegs und mache meistens spitze Ohren. Natürlich sind die Leute auf dem falschen Dampfer, wenn sie das als meine Privatmeinung sehen. So ein Satz ist eine Collage von bierdunstigen Gesprächen, die ich mitkriege und die ich dann einfach auslote, wobei ich mich gebärde, als sei ich so ein Stammtischbruder.

Welt: Das ist dann von der Form her aber nicht durchgehalten, da kombinieren Sie dann Stammtischparolen, die ja jeder erkennt, mit eigenen Reflexionen, die wieder eindeutig von Heinz Rudolf Kunze stammen.

Heinz Rudolf Kunze: Ja, ich sitze ja auch dabei.

Welt: Das macht es beim Zuhören schwierig?

Heinz Rudolf Kunze: Mir macht es eine diebische Freude, wenn man beim Applaus der Leute hört, wie sie sagen „Bohoho, was sagt der denn da, das ist ja ungeheuerlich, das kann man doch nicht machen.“

Welt: Sven Regener von Element of Crime hat neulich sinngemäß gesagt, seine Band hätte im Grunde dreieinhalb Songs, die sie immer wieder neu erfinde. Wie geht es Ihnen beim Komponieren?

Heinz Rudolf Kunze: Ich träume eigentlich davon, dass ich so etwas mal von mir sagen könnte. Wenn man das so kokett ausdrückt, will man doch damit sagen, dass man eine große stilistische Geschlossenheit hat. Das habe ich nicht. Ich bin neugierig in alle musikalischen Richtungen, habe so viele verschiedene Stile zitiert in meiner Musik in den vergangenen 29 Jahren. Obwohl: Manchmal wäre ich auch gern John Lee Hooker oder Lou Reed. Die haben nur ein Lied in ihrem Leben, aber das ist gut.

Stefan Grund, Die Welt, 9. Oktober 2009

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