Heinz Rudolf Kunze & Purple Schulz

2008

„Es wird die Post abgehen“

Reinfeld – Purple Schulz ist seit 35 Jahren im Musikgeschäft. Vor seinem Auftritt am Sonntag in Reinfeld sprach er im LN-Interview über die „Gemeinsame Sache“ mit Heinz Rudolf Kunze und eine zweite DDR-Nationalhymne.

Lübecker Nachrichten: Wussten Sie, dass Sie für ein Kindheitstrauma meiner Schwester verantwortlich sind? Der Schrei „Ich will raus“ in Ihrem Song „Sehnsucht“ hat sie damals völlig verängstigt.

Purple Schulz: Oh, ich nehme alle Schuld auf mich. Auf den Song gab es in der Tat bei vielen Menschen sehr unterschiedliche Reaktionen.

Lübecker Nachrichten: Zum Beispiel?

Purple Schulz: Es gab einige Hörer, die den Song auf ein ungeborenes Kind bezogen haben. Und ein paar Jahre später hat „Sehnsucht“ dann noch einmal eine ganz neue Dimension erfahren.

Lübecker Nachrichten: Was ist dann passiert?

Purple Schulz: 1988 wurde das Lied in der DDR zur zweiten Nationalhymne. Es wurde der Song der Ausreisewilligen, das hat mich sehr berührt.

Lübecker Nachrichten: Eine Textzeile lautet „Warum hast du mich geboren? Bevor ich da war, war ich schon verloren“. Wie viel Purple Schulz steckt darin?

Purple Schulz: Gar nicht so viel. Das Lied beinhaltet viele Metaphern und kann viele verschiedene Gedanken auslösen. Interpretationen meiner eigenen Stücke liefere ich jedoch nicht mit.

Lübecker Nachrichten: Haben Sie ein eigenes Lieblingslied?

Purple Schulz: Ja, „Immer nur Leben“ von der CD „Purple Schulz“ aus dem Jahr 1990.

Lübecker Nachrichten: Wie kam es jetzt zu dem Projekt „Gemeinsame Sache“ mit Josef Piek, der schon zur Gründungsformation von Purple Schulz gehörte, Wolfgang Stute und eben Heinz Rudolf Kunze?

Purple Schulz: Unsere „Gemeinsame Sache“ habe ich zusammen mit Josef Piek vor vier Jahren gestartet. Wir laden uns dann jeweils einen prominenten Gast aus Musik oder auch Kabarett ein, der per E-Mail eine bestimmte Anzahl von eigenen Titeln oder auch Fremdkompositionen vorschlägt und diese dann nur beim Soundcheck nachmittags mit uns anspielt. Und abends wird dann vor Publikum getreu dem Motto „Ohne Proben nach oben“ ein Abend voller Spontaneität und Witz gestaltet. Gäste waren zum Beispiel bereits Ulla Meinecke, Pe Werner, Stoppok, Tommy Engel und die Wise Guys. Die Leute sind immer begeistert.

Lübecker Nachrichten: Und wann und wie kam da Heinz Rudolf Kunze ins Spiel?

Purple Schulz: Uns verbindet die gemeinsame Vorliebe für Musik der 70er Jahre à la Genesis oder Yes. Wir sind die einzigen beiden Musiker in Deutschland, die ein bestimmtes Genesis-Lied spielen können.

Lübecker Nachrichten: Welches ist das?

Purple Schulz: „Supper’s ready“ von der LP „Foxtrott“, ein schwieriges 22-Minuten-Stück.

Lübecker Nachrichten: Und dann war Heinz Rudolf Kunze auch mal bei „Gemeinsame Sache“?

Purple Schulz: Genau, und es hat ihm so viel Spaß gemacht, dass die „Gemeinsame Sache“ mit Schulz, Piek, Kunze und Stute seit 2007 in ganz Deutschland unterwegs ist. Niedersächsische Tristesse trifft dabei auf rheinischen Frohsinn.

Lübecker Nachrichten: 50 Auftritte gab es bislang, und ein Ende ist demnach nicht in Sicht.

Purple Schulz: Nein, im Gegenteil, es ist ein gemeinsames Album in Planung, auch eine neue Band.

Lübecker Nachrichten: Und wie wird die heißen?

Purple Schulz: Das verrate ich noch nicht. Es wird aber auch jeder seine eigenen Sachen weitermachen.

Lübecker Nachrichten: Was erwartet die Leute in Reinfeld?

Purple Schulz: Ein komplettes buntes Unplugged-Programm mit unterschiedlichen Stücken und einer Dauer von mindestens drei Stunden, bei dem die Post abgeht. Ich spiele Klavier und die anderen Gitarre, Wolli Stute dazu noch Cajon. Es fällt gar nicht auf, dass das Schlagzeug fehlt. Und wir erzählen einige Geschichten dazu, es wird lustig

Lübecker Nachrichten: Ist es für Sie ein Abstieg, in Reinfeld unter anderem zusammen mit der Finkwarder Speeldeel aufzutreten?

Purple Schulz: Ich habe Zeit meines Lebens überall gespielt, wo man ein Handtuch ausbreiten kann. Vor fünf Wochen habe ich mit Mel Gaynor, dem Drummer der Simple Minds, im Krefelder Jazzkeller zusammengespielt. Da passen nur 120 Leute rein. Die Bühne war zwei mal vier Meter groß und sein Becken hing neben meinem rechten Ohr. Vor drei Wochen habe ich in Freiberg in Sachsen gespielt, da sahen uns 6000 Leute. Jetzt gerade waren es 250 mit Heinz Rudolf Kunze in einem Biergarten bei Köln. Wir spielen gerne und oft und vor allem überall. Ich habe mit Josef letztes Jahr auch in der Psychiatrie in Köln-Merheim gespielt. Danach habe ich mich nur gefragt: Wieso nennt man die da draußen eigentlich normal?

Lübecker Nachrichten: Die Musiklandschaft hat sich innerhalb der vergangenen 25 Jahre unheimlich verändert. Was war für Sie und Ihre Band am gravierendsten?

Purple Schulz: Früher konnte man hervorragend von Plattenverkäufen und dem Airplay im Radio leben. Das hat sich völlig verändert. Auf Konzerten verkaufen wir CDs wie geschnitten Brot, aber über die Ladentheke geht fast gar nichts mehr. Die Livegeschichte ist heutzutage das A und O. Es gibt auch heute unfassbar gute Musik in Deutschland, aber was da im Radio läuft, kotzt mich an. Die Sender nehmen ihren kulturellen Auftrag gar nicht mehr wahr.

Lübecker Nachrichten: Neben der „Gemeinsamen Sache“ haben Sie jüngst auch ein Projekt mit ihrem 18-jährigen Sohn Ben gestartet.

Purple Schulz: Er ist ein begnadeter Texter. Hätte ich früher solche Texte geschrieben, müsste ich heute nicht immer noch „Verliebte Jungs“ singen.

Lübecker Nachrichten, Markus Carstens, 27. August 2008

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