Heinz Rudolf Kunze

2005

Deutschland im Zeichen der Schnabeltasse

Heinz Rudolf Kunze begeistert bei seiner Lesung in Cottbus

Es ist erstaunlich, wie jemand, der Sätze herunterrattert wie Das Tröstliche an den Deutschen ist, dass sie aussterben, und seinen Landsleuten attestiert, einen Humor zu haben fast so lustig wie ein Galgen, sein Publikum beim 13. Cottbuser Leseherbst blendend unterhält. Tatsächlich ist das Fazit zur Lage der Nation, das Heinz Rudolf Kunze in seinem gerade erschienenen Buch Artgerechte Haltung zieht, durchaus deprimierend. Doch kann man sich bei einem dreifach um die Ecke denkenden Halb-Ironiker wie ihm nie so sicher sein, wo der Ernst aufhört und der Spaß beginnt.

Heinz Rudolf Kunze und Wolfgang Stute (Foto: Helbig, LR) Da ist er also, der Obercoole, Meisterdenker und Metaphernzitze: So stellt sich der in einem Vierteljahrhundert altgediente Literat und Deutschrocker, Musicalübersetzer und -Autor, kurz: das sprachliche Multitalent Heinz Rudolf Kunze seinen Zuhörern in der Cottbuser Stadt- und Regionalbibliothek am Donnerstagabend vor. In Cargohose, grobem Jackett, mit angegrautem Bürstenschnitt sitzt er hinterm Mikro, wie ein eloquenter und leicht dämonischer Studienrat auf Speed. In Wahrheit ist er ein Germanist und Philosoph, der sich in treffender Selbsterkenntnis einen feuchten Traum von Deutschlehrern und unbemannten Bibliothekarinnen nennt.

Paradoxien-Reiter und Pointen-Fließband wären weitere treffende Titel. Atemlos schichtet der in der Niederlausitz geborene Hannoveraner Wortkaskaden aufeinander. Wortspiele und grammatikalische Kabinettstückchen jagen sich mit Schlagworten, Nonsens, Zoten und Kalauern. Eine Poesie irgendwo zwischen Beatnik, Dada und Kurt Tucholsky ist das, mit einem Humor, in dem der Zuhörer – auch wenn er en passant kaum alle Feinheiten auffangen kann – sofort heimisch ist. Geht es doch in Kunzes Texten und Liedern von 2003 bis 2005, die sein neues Buch zusammenfasst, grundsätzlich um den aktuellen Zeitgeist in Deutschland: Slipeinlagen-Werbung, Kanzlerin (!) Schröder, Jeanette Biedermann und immer wieder Adolf Hitler.

Wenn Kunze liest, ist das, als käme ein guter, wenn auch nicht ganz geheurer Freund ins Wohnzimmer. Politisch korrekt ist das nicht unbedingt, aber befreiend, wenn der Vortragende in seinem mal trocken-coolen, mal hysterischen Wortschwall Passivraucher mit Judenvernichtungserfüllungsgehilfen gleichsetzt, Frauen auf dieses Kleid, diesen Gang, diesen läufigen Geruch reduziert oder (in Wir sind kein Volk ) einem Ostberliner Pöbel-Proll mit Wir sagen jetzt zehnmal Danke für die Wiedervereinigung entgegentritt. Das ist übrigens der Lacher des Abends. Wie Kunzes Manager Wolfgang Stute, der mit Flamenco-inspirierten Gitarren-Elogen dem Publikum kurze Verschnaufpausen zwischen den Ironie-Feuerwerken des Meisters gönnt, hinterher verrät, beruht die Episode auf einer wahren Begebenheit.

Unter Sarkasmus und Selbstironie allerdings verbirgt Heinz Rudolf Kunze eine tiefe Nachdenklichkeit. Er scheint sich regelrecht zu quälen mit seiner eigenen Lage und der Deutschlands. Häufig ist von Alter und Überalterung die Rede. Tatsächlich ist Kunzes Publikum mit dem Liedermacher grau geworden. Kaum einer im Saal ist unter 30, um nicht zu sagen unter 50. Alt werden heißt, die Frage ,Ist das Glas halb voll oder halb leer’ ist falsch gestellt, wenn sich das Glas als Schnabeltasse entpuppt, formuliert Kunze morbide, um resigniert zu schließen: Alt werden ist einfach Scheiße.

Gibt es also im demographisch gebeutelten Deutschland keine Hoffnung, keinen Trost« Mit Kurt Tucholsky gefragt: Wo bleibt das Positive» Auf den ersten Blick kommt es bei Heinz Rudolf Kunze, der zu Beginn seiner Karriere als Niedermacher angepriesen worden ist, nicht vor.

Nein, Hoffnung steckt kaum in den galgenhumorigen Aussagen von Kunzes Texten. Wie kommt es, dass seine Lesung dennoch heiter stimmt« Das liegt an der Art, in der der Autor seine Diagnose vorträgt – die lässt hoffen. Solange es im Lande solche Wortkünstler gibt, kann die Situation so schlimm nicht sein. Und hat Deutschland, wie Kunze beweist, nicht eine wunderschöne, großartige und feinsinnige Sprache»

Freilich gewinnen die Texte aus Artgerechte Haltung bei der Lesung durch die stimmliche Ausdrucksfähigkeit des Verfassers immens. Doch bietet das Buch die Möglichkeit, in den Verästelungen der Kunzeschen Poesie verborgenen Pointen nachzuspüren.

Felix Krömer, Lausitzer Rundschau, 8. Oktober 2005

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