Heinz Rudolf Kunze

2005

Hoffnung macht mir, dass irgendwann die 68er abtreten müssen

Der Liedermacher Heinz Rudolf Kunze über Gott, Welt, Politik und Werte

Evangelische Verantwortung: Sie haben einmal in einem Interview im Zusammenhang mit dem Prozess des Älterwerdens gesagt, dass dieser wohl leichter zu ertragen sei, wenn man gläubig sei, Sie hingegen würden an nichts glauben und auch nichts erwarten. Heute präsentieren Sie mit Ihrer Band den Song für den 30. Evangelischen Kirchentag, wie passt das zusammen?

Heinz Rudolf Kunze: Ach, man sagt soviel, wenn das Leben lang ist. Was meinen Sie wohl, wie viele Interviews ich schon gegeben habe, pro Platte sind es ungefähr 200. Das ist jetzt die 25. Platte. Jetzt können wir das mal ausrechnen (lacht).

Wenn ich gesagt habe, ich glaube an nichts, ich erwarte nichts, dann habe ich gelogen, oder ich hatte schlechte Laune oder war mit dem falschen Fuß aufgestanden oder der Kaffee war sauer oder was weiß ich. Es ist richtig, dass ich nicht an sehr viel glaube und auch nicht an sehr viel Konkretes, was ich mir mit Rauschebart und Engelsflügeln vorstellen kann. Aber an gar nichts zu glauben, das war sicherlich von mir entweder glatt gelogen, oder ich habe mich völlig im Tag vergriffen (lacht).

Evangelische Verantwortung: In dem Lied Abschied muß man üben heißt es: „Sterben ist die Brücke, deren Weite keiner kennt. Gehe hinaus ins Licht, das nur wer hier bleibt Dunkel nennt (...) Ende soll auch Anfang sein.“ Welche Vorstellung vom Tod verbirgt sich dahinter?

Heinz Rudolf Kunze: Eine Wunschvorstellung. Ob das so ist, weiß ich natürlich auch nicht. Manchmal kann man ja auch mit Liedern versuchen, sich selber zu etwas zu überreden, was man gerne glauben möchte.

Evangelische Verantwortung: Ist das vielleicht die christliche Vorstellung vom Tod, vom ewigen Leben?

Heinz Rudolf Kunze: Eine im weitesten Sinne religiöse auch christliche, aber nicht nur. Ich glaube, da kann sich der Buddhist auch einklinken.

Evangelische Verantwortung: Sind Sie denn ein gläubiger Mensch?

Heinz Rudolf Kunze: (hält einen Moment inne) Ich fürchte, das wäre zuviel gesagt. Ich halte Glaube für möglich und eigentlich auch für erstrebenswert. Aber um jetzt sagen zu können, ich bin gläubig, habe ich doch zuviel immer wieder auftauchende Zweifel.

Evangelische Verantwortung: Sehen Sie darin einen Widerspruch?

Heinz Rudolf Kunze: (langes Schweigen) Bis zu einem gewissen Grade nicht. Bis zu einem gewissen Grade ist Zweifel auch eine lutherische Tugend. Aber wenn die Zweifel so ins Grundsätzliche gehen, so dass man sich wirklich fragt, ob denn dieser Sinn überhaupt besteht, dann würde ich doch sagen, dass mein Glaube einem Schweizer Käse ziemlich ähnlich ist.

Evangelische Verantwortung: Hermann Ehlers, der zweite Bundestagspräsident, der Gründer des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, hat einmal gesagt: „Wo es keine große Hoffnung gibt, da gibt es auch keine vernünftige Politik“. Könnten Sie den Satz unterschreiben: Wo es keine große Hoffnung gibt, gibt es auch keine große Kunst?

Heinz Rudolf Kunze: Ja, auf jeden Fall. Wie man nun diese Hoffnung beschreibt, woran man sie festmacht, das ist eine andere Sache. Aber Künstler sind auf jeden Fall insofern in einer Parallele zu sehen, zu Predigern, zu Pastoren, zu Theologen, als sie auch an ein Reich glauben, das nicht von dieser Welt ist, das man nicht anfassen und nicht greifen kann.

Evangelische Verantwortung: Erwarten Sie ein besonderes Engagement von Christen?

Heinz Rudolf Kunze: Ja, ich denke schon. Jedenfalls verstehe ich Leute, die mir das wirklich glaubhaft vorleben wollen, als Leute, die nicht nur in ihrem Kämmerchen vom Himmelreich reden und sich nicht nur in Innerlichkeit verkriechen, sondern, die schon auch versuchen, im uns aufgegeben Diesseits das Bestmögliche zu machen.

Evangelische Verantwortung: Wie könnte das Engagement konkret aussehen?

Heinz Rudolf Kunze: Das muss jeder selber wissen, da gibt es keine parteipolitische Anbindung, glaube ich. Das ist vielfältig möglich.

Evangelische Verantwortung: 1988 haben Sie das Lied „Das weiche Wasser bricht den Stein“ von Dieter Dehm zum 125-jährigen Jubiläum der SPD für die Partei aufgenommen. Wäre ein Song von Heinz Rudolf Kunze zum Bundestagswahlkampf 2006 denkbar?

Heinz Rudolf Kunze: Völlig undenkbar. Ich glaube nicht, dass ich noch einmal so weit gehen würde, mich an eine Partei mit irgendwelchen propagandistischen Maßnahmen zu binden. Das damals war auch weniger politisch motiviert, sondern mehr aus Befriedigung persönlicher Eitelkeit heraus. Als Dieter mir erzählte, dass Willy Brandt auch mitmachen wird, habe ich gesagt, ich möchte unbedingt mal auf einer Platte mit Willy Brandt zusammen sein. Das war der einzige Grund.

Evangelische Verantwortung: Berührungspunkte mit der Politik gibt es bei Ihnen dennoch immer. Sie sind beispielsweise seit 2003 als Sachverständiger in der von allen Bundestagsfraktionen eingesetzten Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. Was hat Sie bewogen, sich dort zu engagieren?

Heinz Rudolf Kunze: Eigentlich auch wieder eine spontane menschliche Geste. Günther Nooke, der Kulturpolitische Sprecher, hat mich angerufen, und ich habe mich so oft in meinem Leben vor öffentlichen Ämtern und Funktionen gedrückt, dass er mich ganz einfach auf dem richtigen Fuß erwischt hat. Und da habe ich gesagt, na gut, jetzt haben sie mich. Also, ich mag ihn sehr gerne, ich finde ihn sehr nett, wir haben uns gleich gut verstanden beim ersten Gespräch und als er mich anrief, sagte ich ihm schon: „Sie wissen aber schon, dass ich parteilos bin.“ „Ja, ja, aber das stört uns nicht.“ – und da haben wir es eben gemacht.

Evangelische Verantwortung: Sie haben sich einmal als wertekonservativ bezeichnet. Was verstehen Sie darunter?

Heinz Rudolf Kunze: Oh, das ist ein langes Thema. Aber es ist schon im Prinzip richtig. Auch das ist nicht parteipolitisch festzumachen. Ich habe jetzt durch meine Arbeit in Berlin Leute kennen gelernt, von Herrn Zehetmair von der CSU bis hin zu Antje Vollmer. Beide empfinde ich vollkommen gleichermaßen als wertekonservativ. Das ist eine Grundeinstellung, die man mit drei Buchstaben vor dem Namen eines Parteietikettes nicht erklären kann.

Evangelische Verantwortung: Können Sie noch ein paar Werte nennen, die Sie für wichtig erachten?

Heinz Rudolf Kunze: Ich finde schon, dass so altmodische Werte wie Familie z.B. etwas Schützenswertes und Besonderes sind. Viele von den so genannten deutschen Tugenden, die jetzt manchmal so spöttisch kleingeredet werden und gleich mit dem Nazismus in einen Topf geworfen werden, sind eigentlich doch sehr wertvoll, vor allen Dingen, wenn man im Ausland feststellt, wie wir eigentlich darum beneidet werden. Hierzu zählen auch Eigenschaften wie Disziplin, Pünktlichkeit, die so genannten preußischen Eigenschaften. Ich bin gerne Preuße, das bin ich ja auch von der Herkunft her.

Evangelische Verantwortung: Sehen Sie Gefahren für die Zukunft unserer Gesellschaft?

Heinz Rudolf Kunze: Ja, natürlich jede Menge. Dazu müssen Sie ja nur die Zeitschriften aufschlagen und das Fernsehen anmachen. Meine größte Sorge zurzeit ist eigentlich die Art und Weise, wie wir mit unseren Medien umgehen und wie unsere Medien mit uns umgehen. Es wird für mich zu einer ganz gefährlichen molochartigen Gewalt im Staate, die die anderen Gewalten schon fast erdrückt, manchmal auch überlagert. Und wenn ich sehe, wie Politiker danach hecheln, vorteilhaft in den Medien vorzukommen, wie sie alle ihre Entscheidungen auf die Wirksamkeit abstimmen und wie Medienleute „machen“ und vernichten können, wird mir angst und bange. Medien können eine gute Sache sein, indem sie schnell und global Menschen zusammenschließen und vernetzen und informieren. Und auch das, was in den Medien als Unterhaltung geleistet worden ist, will ich überhaupt nicht kleinreden. Aber ich habe das Gefühl, dass da Instanzen fehlen in unserem Land, eigentlich in der gesamten westlichen Welt, die Medien doch noch einmal zu kontrollieren und zur Ordnung zu bringen.

Evangelische Verantwortung: Was hat Sie in letzter Zeit am meisten erfreut?

Heinz Rudolf Kunze: Sie meinen das jetzt im politischen Sinn?

Evangelische Verantwortung: Nicht unbedingt.

Heinz Rudolf Kunze: (zögert)

Evangelische Verantwortung: Oder was macht Ihnen Hoffnung?

Heinz Rudolf Kunze: Hoffnung macht mir, dass irgendwann auch die 68er alt werden und abtreten müssen.

Evangelische Verantwortung: Eine letzte Frage. Was planen Sie für die Zeit vom 25. – 29. Mai? Wissen Sie das schon?

Heinz Rudolf Kunze: Ja, ich werde natürlich hier in Hannover beim Kirchentag sein. Ich werde unter anderem eine Bibelarbeit mit gestalten und mich dann an mein germanistisches Proseminar aus meiner Studentenzeit erinnern. Ferner gebe ich am 27. Mai mit meiner Band ein Openairkonzert auf dem Opernplatz in Hannover. Das wird sicherlich eine schöne Sache, denn da werden ja auf jeden Fall doch viele tausend Leute sein

Evangelische Verantwortung: Wird der Privatmann Heinz Rudolf Kunze auch mal über den Kirchentag schlendern?

Heinz Rudolf Kunze: Das wird wohl kaum möglich sein, weil das genau die Zeit ist, wo wir auch schon wieder Open-Air spielen, d.h. am 28. habe ich auch schon wieder einen Auftritt. Ich bin also zur Bibelarbeit hier, beim Konzert – ansonsten bin ich, denke ich, gar nicht in Hannover.

Evangelische Verantwortung: Vielen Dank für das Interview.

Melanie Liebscher, Evangelischer Arbeitskreis , Mai 2005

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