Heinz Rudolf Kunze

2005

Ich bin Dichter, was soll ich sagen?

Seit etlichen Jahren hat Heinz Rudolf Kunze mehr oder weniger intensiv mit der Kirche zu tun. Im Umfeld der Musical-Produktion Ein Sommernachtstraum in Hannover hat die Evangelische Kirche nun ihn und Heiner Lürig gebeten, für den ebenfalls in der Landeshauptstadt stattfindenden Kirchentag im Mai 2005 eine Erkennungsmelodie zu schreiben. Die Single Mehr als dies ist seit einigen Wochen erhältlich. Über diese Produktion und seinen Blick auf Geistliches sprach Phil Köper mit dem Multitalent im Auftrag von www.Sound7.de , dem Internetportal für moderne Christliche Musik.

Koeper: Wie bist Du dazu gekommen, den Song für den Kirchentag zu schreiben?

Kunze: Wie das Leben immer so spielt: Zufällig. Der Präsident des Kirchentages, Herr Nagel, ist seit Jahren mit Familie Lürig befreundet. Nach seinem Besuch beim Sommernachtstraum fragte er Heiner, ob eine Zusammenarbeit für den Kirchentag vorstellbar wäre. [Anm.: Heiner Lürig ist Heinz' Freund, Gitarrist und Produzent] Wir drei haben dann mehrere Male telefoniert und überlegt, bis das Gespräch sich auf eine Art Erkennungsmelodie konzentrierte. Das hat Herrn Nagel gefallen. Er hat uns dann mit einem Vorbereitungsteam hier in Hannover zusammengebracht, mit denen wir diese Idee näher ausgetaltet haben, ohne daß diese Leute sich jedoch in unsere inhaltliche Arbeit eingemischt hätten. Zu jener Zeit war auch das Motto des Kirchentages noch gar nicht festgelegt. Als es dann nachgereicht wurde, hatte ich als hauptberuflicher Sprachverbieger den Ehrgeiz, das nachträglich noch hineingebaut zu bekommen – nicht genug damit: wir haben im Gegenchor auch noch die Themen der einzelnen Arbeitsgruppen untergebracht. Da fühlt sich auch mein Spieltrieb herausgefordert. Die Kirche hat sich dann sehr gefreut, fand es lustig, daß dies alles hineinpaßte und wäre wohl mit noch weniger Anspielungen zufrieden gewesen. Es sollte keinesfalls der Eindruck entstehen, daß etwas erzwungen würde. Die Evangelische Kirche ist ja sehr darauf bedacht, sich nach außen zu öffenen, freut sich, wenn von dort etwas kommt und nicht nur aus dem eigenen Saft. Sie war dann ganz verdutzt, wie viel ich letztlich von ihren eigenen Sprachregelungen verwenden konnte.

Wir haben das später im engeren Kreise vorgeführt, damit sie hören können, wie in etwa die Musik werden wird. Es war natürlich klar, daß wir keine Kirchentagshymne machen wollen, die keine Sau mitsingen kann. Man kann sich aber auf Heiner verlassen, daß sich Menschen da einklinken, es sich aneigenen und ohne Musik studiert zu haben nachsingen können, beispielsweise als Chor. Das Lied soll nicht nur für uns funktionieren. Daß die Menschen es in den Gemeinden selber ausüben, war auch der Plan, so war es angelegt.

Koeper: Wie stehst Du denn zu den Unterschieden zwischen den beiden großen Konfessionen? Hältst Du etwas vom sogenenannten ökumenischen Gedanken?

Kunze: Ich selber bin evangelisch wegen meiner Herkunft aus der Lausitz, wo man nunmal nicht katholisch ist. Wäre ich katholisch geboren, dann wäre ich auch dort nicht ausgetreten, sondern hätte versucht, von dort aus das beste draus zu machen. Meine Vermutung bezüglich der Ökumene ist, daß, wenn die Evangelische Kirche – wenn sie nicht eine sehr bewußte und sehr listige konservative Wende macht – eines Tages wieder von der Katholischen geschluckt werden wird. In einer Zeit, in der es eigentlich nur noch darum geht, ob man sich überhaupt mit geistlichen Dingen einläßt, wird derjenige den längeren Atem haben, der die konsequentere Ladung anbietet. Der Unterschied ist ja nicht mehr der zwischen Protestanten und Katholiken, sondern zwischen denjenigen, die sich überhaupt mit Religion beschäftigen, und denen, die das für eine Geisteskrankheit halten. Auch die Freikirchen, mit denen ich im übrigen gar keine Berührungspunkte habe, werden, da sie aus echten Überzeugungstätern bestehen, wahrscheinlich länger durchhalten als die Evangelische Kirche, die sich, wenn sie so weitermacht, wohl in reiner Sozialarbeit auflösen wird.

Cover der Sonderedition des Kirchentagsongs "Mehr als dies"Koeper: Zum Lied selber: „Wenn Dein Kind Dich morgen fragt“, 5. Mo 6,23, hält die Juden an, ihren Kindern die Traditionen zu erklären und mit Inhalten zu füllen, statt sie nur zu überliefern. Bis heute gibt es bei ihnen die Sitte, daß der Sohn eben dies tut, nämlich fragen, und der Vater antwortet, nämlich das jeweilige Fest oder den Ritus erklärt. Wie gibst Du denen, die Dich fragen, Werte weiter?

Kunze: Ohne diesen rituellen Hintergrund so genau zu kennen: Natürlich gibt es das im täglichen Leben, nicht nur in religiösen Zusammenhängen. Es ist das ganz normale Aufwachsen mit Kindern, die einen mit ihren entwaffnenden und ehrlichen Fragen ziemlich in die Ecke drängen können. Man macht da als Vater oder Mutter zuweilen eine schlechte Figur, wenn man auf die elementaren Fragen keine einfache Antwort weiß und überrumpelt wird. Es ist dabei wichtig, sich nicht zu drücken und lieber noch einmal nachzudenken, um nichts falsches zu sagen, denn nichts wäre schlimmer, als durch die eigene Verbitterung des Älterwerdens dann eine Antwort zu geben, die ihnen die Lebensfreude nähme.

Koeper: „Was man ganz tief drinnen spürt“ ist für mich der Punkt beim Nachdenken über das Leben im allgemeinen und Gott und Seinen Einfluß auf mich im speziellen, an dem der Verstand endet. Wie geht es Dir mit solchen Fragen, mit sochen Empfindungen jenseits der Logik?

Kunze: Eigentlich ist das der Versuch einer Selbstüberredung: Manchmal spüre ich etwas und manchmal nicht, das scheint eine Frage des inneren Wohlbefindens zu sein. Manchmnal habe ich diese Zuversicht, auch nicht-beweisbares für mich gelten zu lassen, und manchmal ist da nur ein großes Loch. Diese Art von Zweifel, so habe ich mich aber belehren lassen, ist ja durchaus nicht unprotestantisch.

Koeper: C. S. Lewis, ein Freund Tolkiens, hat an der Stelle mal eine philosophische Lösung versucht, indem er Gott „weg-denken“ wollte. Schließlich ist er zur Erkenntnis gelangt, daß „Gott Gott sei“, und hat sich in der, wie er schrieb, „widerwilligsten Bekehrung in ganz England“ entschieden, Gottes Existenz anzuerkennen.

Kunze: Ich kann nicht anerkennen, daß es Gott gibt – das ist mir schlicht nicht möglich. Ich kann es nur weiterhin für möglich und für wünschenswert halten. Wenn wir es beweisen wollten, dann redeten wir an jenem Phänomen vorbei. Dieser Versuch hat etwas rührendes, tapferes, vor-aufklärerisches; seit Immanuel Kant wissen wir aber, daß es sinnlos ist. Entweder lassen wir diesen Bereich gelten und akzeptieren, daß wir mit Argumenten nicht zum Ende kommen, oder wir schließen ihn aus. Das ist eine Entscheidung, die jeder Mensch treffen muß. Darum ist Theologie die wunderbarste Spiegelfechterei der Welt und hat die größte Ähnlichkeit mit Don Quixote, weil ständig mit wissenschaftlichem Gebaren über etwas räsonniert wird, das man nicht erklären kann. Es kommt dann immerhin teilweise große Poesie heraus, denn diese Vergeblichkeit, sich an etwas abzumühen, das nicht lösbar ist, diese Sysiphos-Arbeit des Formulierens zum Beispiel bei Karl Barth, erinnert schon manchmal an große Dichtung oder ist sogar welche. Letzten Endes kann wohl nur der, der Zutrauen in das Unendliche und Nichtgreifbare hat, auch im Realen etwas ausrichten. Deswegen lassen wohl auch einige der größten Wissenschaftler dieses Thema, auch wenn sie sich nicht näher darauf einlassen, mit großem Respekt gelten.

Koeper: Manchmal scheinen mir inzwischen die studierten Theologen diejenigen zu sein, die am wenigsten an Gott wirklich glauben. Hat sich die moderne Theologie mittlerweile womöglich dahingehend verändert, daß sie Unerklärliches erklärbar machen will, sogar soweit, daß es kein Übernatürliches mehr geben darf und sie sich letztlich selbst ad absurdum führt?

Kunze: Den Eindruck kann man manchmal haben, gerade weil sie sich durch den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit ja zusehends von Naivität oder Kinderglauben weggeschraubt haben. Sie haben ihn vor lauter Analyse schon fast tot-zergliedert.

Koeper: Dabei sollen wir doch gerade werden wie die Kinder...

Kunze: Nun, je größere Brenngläser man verwendet, desto eher verbrennt das, was man untersuchen will.

Koeper: Ist es denn möglich, daß ein existenter Gott sich auch äußert? Ist die Bibel eventuell mehr als Menschenwerk?

Kunze: Ich glaube nicht, daß irgendjemand, der an der Bibel mitgewirkt hat, nicht fünf Finger an einer Hand gehabt hat, um eine Feder zu halten. Das ist aber auch nicht der Punkt. Wichtig ist doch, was sich in dieser Leute Köpfen abgespielt hat. Ich fürchte, daß man heute viele dieser Eingebung wegtherapieren oder medikamentös behandeln würde, daß viele Visionäre heutzutage die Klapse nicht mehr verlassen würden. Damals hatte man einen anderen Umgang mit Träumen und Visionen.

Koeper: Ist denn für Dich was dabei bei diesen „Träumen und Visionen“?

Kunze: Ich bin Dichter, was soll ich sagen? (schmunzelt) Das ist mein täglich Brot und Handwerkszeug. Ich habe großen Respekt davor, morgens aufzustehen und zu sagen: „Gott hat im Schlaf zu mir gesprochen, ich solle dieses und jenes tun“. Warum eigentlich nicht? Ich habe gerade gestern den unglaublichen Satz von Paul Valéry gelesen: „Ein Mensch, der sein ganzes Leben lang jede Entscheidung von Würfeln abhängig macht, wird am Ende genausoviel oder genauso wenig richtig gemacht haben wie einer, der sich alles überlegt hat“. Warum also nicht Eingebungen folgen? Vielleicht fährt man gar nicht so schlecht damit.

Koeper: Eine Zeile noch: „...der fast alles vergibt“ hast Du in einen Kontext geschrieben, der Hoffnung enthält: „Ist es das was wir glauben dürfen?“. Ist das für Dich ein Angebot?

Kunze: Das ist eine Formulierung, die irgendwann einfach hineinwollte; allerdings laß ich mir da noch ein Hintertürchen offen: mir als kleiner schwacher Mensch ist es nicht vorstellbar, alles zu vergeben. Ich halte „Liebe Deine Feinde!“ für ein unmögliches Gebot, ein interessantes und erstrebenswertes, aber für mich nicht durchführbar. Ein Gott, der alles vergibt, ist mir auch zu nah dran an einem Gott, dem alles gleichgültig ist.

Koeper: Für mich klingt die Bibel da etwas anders: Es ist Gott eben nicht gleichgültig; weil er aber gerne vergeben möchte, hat er selber alles dafür getan.

Kunze: Da kann ich nicht folgen. Es gibt einfach Verbrechen, man kann auch „Sünden“ sagen, da kann ich mir einfach nicht vorstellen, daß sie vergeben werden. Und das will ich mir auch nicht vorstellen, da ist meine Grenze.

Koeper: Kann man denn so eine Grenze ziehen zwischen diesen und jenen Sünden?

Kunze: Ja. Aber jeder da, wo er will.

Koeper: Kommen wir noch kurz zu „Allee der Kosmonauten“ <www.alleederkosmonauten.com> , für deren Beitrag „Dein Lied“ Du beim diesjährigen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest die Patenschaft übernommen hast. Gefällt Dir ihre Musik?

Kunze: Sie machen eine Musik, die ich guten Gewissens weiterempfehlen kann, deswegen habe ich mich auch zu dieser Unterstützung entschlossen. Ich sehe hier im Fahrwasser von Xavier Naidoo eine Band, die ungleich spiritueller und entschlossener als dieser an das Thema Religion herangeht und dafür sorgt, daß hierzulande endlich mehr auf diesem Themengebiet passiert – von Johnny Cash bis Bono von U2 hatten uns das die Angloamerikaner schon seit langem vorgemacht.

Koeper: Mischa und Jott tragen - wie ich höre - ihren Glauben auf der Zunge. War das für Euch eventuell schon Gesprächsthema, die Ihr doch allesamt, wenn auch von verschiedenen Seiten kommend, derzeit etwas ganz ähnliches macht?

Wir haben noch nicht viel miteinander geredet. Allerdings sehe ich, daß AdK mit dem Thema Glauben sehr viel deutlicher, offener umgehen und hier schon so etwas wie eine religiöse Aufgabe sehen: eine persönliche Erfahrung auf diese Art und Weise auszudrücken und weiterzugeben. Mir selbst ist das zu intim, ich streife in meinen Texten derlei Themen eher und gehe damit als Beobachter um.

Heinz, Dir vielen Dank und weiterhin viel Erfolg!

Phil Köper, Sound7, Februar 2005

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