Heinz Rudolf Kunze 2003

2004

Baden die Autoren nun die Krise der Musikbranche aus?

Gema: 40 Prozent weniger Lizenzeinnahmen für Komponisten und Liedtexter – jeder Musikautor ist betroffen

Hamburg – Für Frank Ramond sieht die Zukunft nicht sehr rosig aus. Als Autor und Liedtexter bekannter Künstler wie Udo Lindenberg, Vicky Leandros oder Lotto King Karl lebt der Familienvater aus Buchholz vor allem von den Einnahmen aus den so genannten Gema-Lizenzgebühren – die aber möchte die deutsche Landesgruppe der IFPI (International Federation of Phonographic Industry) jetzt um rund 40 Prozent kürzen.

Kassierte die Gema, die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, bisher 9,009 Prozent des Händlerabgabepreises von der deutschen Tonträgerindustrie, ist diese in Zukunft nur mehr bereit, einen Vergütungssatz von 5,6 Prozent zu zahlen. Also: Wurden von einem durchschnittlichen Kaufpreis von zwölf Euro bisher rund ein Euro Gema-Gebühr pro CD fällig, sollen es zukünftig nur noch knapp 60 Cent sein. Geld, das – abzüglich der Verwaltungsgebühr für die nicht gewinnorientiert arbeitende Gema – direkt an die Autoren und Komponisten weitergeleitet wird. Es ist die Vergütung ihrer Urheberschaft an den Titeln und damit ihre Lebensgrundlage. "Wenn das wegfällt, wird die Situation für Autoren extrem bedrohlich", sagt Ramond, "für einige bedeutet es, dass sie sich einen neuen Beruf suchen müssen. Ich selbst muss nun an meine finanziellen Reserven." Auch Kulturstaatsministerin Christina Weiss bezeichnete die finanzielle Lage der Künstler in Deutschland gestern als "alarmierend". Ihr Durchschnittsjahreseinkommen liege mit 11.100 Euro weit unter dem der übrigen Bevölkerung.

"Dramatisch" nennt allerdings auch die Plattenindustrie ihre Umsatzverluste, vor allem der vergangenen vier Jahre. Durch die Verminderung der Lizenzabgaben will die IFPI nun "neue Rahmenbedingungen für einen krisengeschüttelten Tonträgermarkt" bestimmen. Denn durch "überhöhte Lizenzen der Autoren" sieht Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände, die Existenzgrundlage der Tonträgerunternehmen gefährdet: "Autoren und Verleger leben nicht auf einer heilen Insel inmitten stürmischer See."

Was Gebhardt hier zu vergessen scheint: Auch Texter und Komponisten mussten in den vergangenen Jahren unter den negativen Umsatzentwicklungen leiden - das liegt bei einer prozentualen Vergütung in der Natur der Sache. "Empörend", nennt Gema-Vorstandsvorsitzender Reinhold Kreile daher den Versuch der Tonträgerindustrie, den Vergütungssatz "auf dem Rücken der Kreativen" zu senken: "Dies ist - in voller Absicht - existenzbedrohend."

Die Gema spricht von "Lohndrückerei" und "Schikane" mit dem Ziel, die Gewinnspanne der Tonträgerhersteller zu erhöhen: "Wenn die Industrie ihre Verluste auf dem Rücken der Urheber wettmachen will, dann verkennt sie nachhaltig den Wert des geistigen Eigentums." Daneben wittert die Gema einen weiteren Grund der Abgabensenkung: "Sollen die unabhängigen Verlage so in finanzielle Bedrängnis gebracht werden, dass sie dann nur noch von den IFPI-Konzernverlagen 'gerettet', nämlich übernommen, werden können?"

IFPI-Sprecher Hartmut Spiesecke bezeichnet diese Vermutung als "blanken Unsinn". Der IFPI sei "doch gar nichts anderes übrig geblieben", als diesen Schritt zu gehen, da "die Gema in den letzten drei Jahren nicht bereit war, auf dem Verhandlungsweg realistische Lizenzen mit den Tonträgerunternehmen zu vereinbaren". Daher stelle sie nun, da Tarifverhandlungen zwischen den Kontrahenten gescheitert sind, "den Tarif strittig". Bis die zuständige Schiedsstelle entscheidet, zahlt die Industrie den Differenzbetrag auf ein Sperrkonto. Im ungünstigen Fall kann das bedeuten, dass das Geld fünf Jahre für niemanden zur Verfügung steht – nicht für die Autoren, die sich teilweise kaum bis dahin über Wasser werden halten können, aber auch nicht für die Tonträgerindustrie. Die Gema spricht von "mehr als 40 Millionen Euro", die sie möglicherweise nicht an ihre Rechteinhaber ausschütten könne.

"Dadurch wird die Vielfalt und die nationale Identität bedroht", bedauert Frank Ramond. "Wenn man als deutscher Autor nicht mehr davon leben kann, Texte zu schreiben, wird das zu einer noch stärkeren Amerikanisierung des Musikmarktes führen."

Heinz Rudolf Kunze sieht die Lage etwas anders. Der Musiker ist seit Jahren erfolgreich als Sänger und Songwriter im Geschäft, ist bei der Plattenfirma WEA, einem der Branchenriesen, unter Vertrag und als Interpret nicht ausschließlich auf die Gema-Einkünfte aus den CD-Verkäufen angewiesen: "Ich bin daher grundsätzlich schon bestürzt, versuche aber, mir ein faires Bild zu machen." Kunze erklärt, er habe sich die Lage von seinem Freund Gerd Gebhardt, dem Vorstandsvorsitzenden der deutschen Landesgruppe der IFPI, erklären lassen. Kunzes Lehre aus diesem Gespräch: "Wir Aktiven sind nicht die einzigen Leidtragenden, auch der Plattenindustrie geht es schlecht. Worüber wir jetzt sprechen, ist nur Symptom einer Krise, deren Ursache lautet: Das Raubkopieren vernichtet auf Dauer alle Existenzen der Musikbranche." Natürlich bedeute eine Verminderung der Lizenzabgaben "erst einmal dramatische Einbußen für Kollegen, die etliche Schmalverdienende wohl nicht überbrücken können", sagt der Musiker. "Es ist ja keine Frage, dass es mir anders auch lieber wäre. Die Klagen der Industrie sind aber diesmal nicht ohne Berechtigung. Dass das nach unten weitergegeben wird, ist eben so."

In Frank Ramonds Ohren muss diese Ansicht zynisch klingen. Er hofft nun auf unabhängige Musikverlage, auf eine stärkere Öffentlichkeit, eine rasche Einigung zwischen Gema und IFPI (die beide behaupten, "grundsätzlich verhandlungsbereit" zu sein) und auf einen Schulterschluss der Branche. Da allerdings macht ihm Heinz Rudolf Kunze wenig Hoffnung: "Solidarität gibt es in diesem Gewerbe nicht. Das musste ich selbst oft genug bitter erfahren. Diese Branche besteht aus sehr spitzen Ellenbogen."

Maike Schiller, Hamburger Abendblatt, 14. Februar 2004

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