Heinz Rudolf Kunze 2003

2003

"Die Plattenfirmen schicken nur noch Klone auf die Bühne"

Rock-Poet Heinz Rudolf Kunze sieht deutsche Musiker im Rundfunk benachteiligt

Der Rock-Pop-Markt ist beherrscht von englisch singenden Stars und Gruppen. Heinz Rudolf Kunze, der mit deutschen Rock-Titeln große Erfolge feiern konnte, hat die Benachteiligung deutscher Interpreten in den deutschen Medien oft beklagt. Mit Übersetzungen von Musicals, zuletzt einer eigenen Musical-Fassung von Shakespeares Sommernachtstraum für die Landesbühne Hannover in den Herrenhäuser Gärten, hat er sich ein neues Genre eröffnet. In der Reihe "Ich stelle mich", in der drei unserer Leser Prominente befragen, fordert er, im Musical an die Stoffgeschichte von Singspiel und Kabarett der Weimarer Republik anzuknüpfen. Wegen der Benachteiligung durch den Rundfunk müssten sich immer mehr deutsche Rock-Bands auf Spartenkanäle und in Kleinkunst flüchten.

Christian Eitner: "Cats" und "Phantom der Oper" sind abgespielt, der große Musical-Boom ist verflogen. Oft waren die deutschen Übersetzungen nicht zeitgemäß. Wohin muss das Musical gehen, um eine Chance zu haben?

Kunze: Als die Musical-Welt noch ein El Dorado war, hatte das den guten Nebeneffekt, dass Ausbildungsmöglichkeiten speziell für Musicaldarsteller auch in Deutschland enstanden. Wie in den USA sollten Gesang, Tanz und Schauspiel zusammenfließen. Damals gab es einen enormen Bedarf. Jetzt sind sie da, doch es gibt zu wenig Produktionen. Unterhaltung ist zeitabhängig, aber ich fände es schade, wenn es solche Großproduktionen nicht mehr geben würde. Unser Projekt, in den Herrenhäuser Gärten Shakespeares Sommernachtstraum als Musical zu zeigen, ist auch ein Versuch, dagegen zu wirken. Es wäre wünschenswert, wenn das Muscial von den Stoffen her wieder an deutsche Traditionen wie das Singspiel und Kabarett der Weimarer Republik anknüpfen könnte, aber jetzt mit der Professionalität, die wir in Amerika gelernt haben. In der Rockmusik ist das übrigens ganz ähnlich. Wir sollten die Musical-Szene nicht bloß Karl May und Richard Wagner überlassen.

Eitner: Aber "Falco" und "Elisabeth" liefen ja auch nicht so prächtig ...

Kunze: Sogar mit dem Aids-Musical Rent, das nun wirklich ein Jugendthema anspricht und auch sehr gute Kritiken bekam, haben wir nicht mehr als einen Achtungserfolg erzielt. Die jungen Leute sind so mit ihren Vorlieben beschäftigt, dass sie gar nicht erfahren, dass sie gemeint sind. Die Abneigung gegen das Genre Musical war offenbar nicht zu überwinden, trotz guter Werbung.

Meike Koester: Ähnlich schwer hat es deutsche Rockmusik, zum Hörer vorzudringen. Könnte eine Quote für deutschsprachige Musik im Radio, die Sie mal befürwortet haben, dabei helfen?

Kunze: Inzwischen bin ich für überhaupt keine Musik im Radio mehr. Nur durch künstliche Verknappung bekommen wir die Leute vielleicht wieder dazu, wenigstens Schallplattten zu kaufen. Einige niedersächsische Sender kann ich überhaupt nicht mehr ertragen, das ist Umweltverschmutzung. Anderswo ist die Vielfalt viel größer.

Koester: In Berlin haben Bands wie Zweiraumwohnung und Wir sind Helden eine zweite deutsche Welle ausgelöst.

Kunze: Es wäre ja schön, wenn man nicht jedes deutsche Phänomen mit Daumendrücken begleiten müsste, sondern sie selbstverständlich zwischen den Gruppen aus England und den USA stünden. Dabei wird viel mehr deutschsprachige Rockmusik verkauft, als im Rundfunk gespielt wird. Ich würde mir einfach eine fairere Chance auch für deutsche Produktionen im Radio wünschen. Wenn Blumfeld resigniert sein neues Album nur noch auf Vinyl herausbringt, ist das ein schicker Rückzug in den Elfenbeinturm.

Olaf Eickstädt: Sie sind für gesellschaftskritische Texte bekannt. Bringt das Probleme mit der Plattenfirma? Wird man auch deshalb im Rundfunk gemieden?

Kunze: Auf den Alben kann ich mich austoben. Von der Firma gibt es keine Zensur. Ich glaube auch nicht, dass es im Rundfunk einen Index gibt, mehr so eine still funktionierende Zensur durch die allgemeine Blödheit der Medien.

Eitner: Erfolg mit deutschen Titeln haben vor allem in Deutschland groß gewordene Ausländer wie Bro’Sis, Naidoo, Laith Al-Deen. Können vielleicht deutsche Musiker mit ihrer eigenen Sprache nicht mehr umgehen?

Kunze: Schon seit Bata Illic und Howard Carpendale haben Deutsche eine Schwäche dafür, ihre Sprache schlecht ausgesprochen zu hören.

Eitner: Naidoo spricht ja lupenrein!

Kunze: Der ist eben einfach gut und hat zusätzlich noch diesen exotischen Reiz. Vielleicht haben diese Soldatenkinder noch den amerikanischen Soul im Blut, darum kommt der deutsche Text bei ihnen so cool rüber. Schade ist, dass die Plattenfirmen daraus dann immer eine Masche machen und nur noch Klone auf die Bühne schicken, statt gerade auf Kontraste zu setzen. Ich habe übrigens überhaupt nichts gegen diese Mentalitätserweiterung in unserer Multikulti-Gesellschaft. Diese Mischlingsgefühle sind eine Bereicherung. Nur finde ich eben auch diese typisch deutsche Art von Rock, den aggressiv-neurotischen von Westernhagen oder den zackigen von Grönemeyer, spannend.

Eitner: In Berlin haben Spartensender deutsche Gruppen ganz schön nach vorn gebracht.

Kunze: Radio war früher der Gradmesser für Erfolg überhaupt. Es gab auch Sender wie ffn, Radio 21, die haben gut angefangen, aber unter dem Druck der Einschaltquoten haben sie sich dem Mainstream angepasst. Wer was Besonderes bieten will, muss jetzt auch besondere Kanäle wählen. Es gibt Interpreten, die ziehen sich mit literarischen Programmen in die Clubs zurück, das ist dann Kleinkunst, nicht mehr Pop-Musik. Wir haben mit dem Sommernachtstraum-Musical das alte Medium des Theaters als Spielfläche wiederentdeckt, da entscheiden dann eben mündige Bürger und nicht so ferngesteuerte Radiomoderatoren.

Koester: Sie haben 220 Titel geschrieben. Haben Sie Angst, irgendwann keine Ideen mehr zu haben?

Kunze: Diese Angst habe ich jeden Morgen. Größere Blockaden blieben mir bislang aber erspart.

Koester: Neil Young hat gesagt, alle Lieder, die er schreibt, seien für ihn wie Kinder, und da sei es ihm egal, was die Nachbarn von ihnen halten.

Kunze: Wenn das beim Ausdenken der Texte so ist, ist es gut. Wenn sie fertig sind, muss ich aber doch bedenken, was die Nachbarn von den Kindern halten werden. Ich will ja ein Album daraus machen, und wenn das dann keiner hören mag, wäre das auch traurig. Als Künstler braucht man schließlich Rückmeldung, sonst vertrocknet man.

Koester: Machen Sie zuerst die Texte, oder schreiben Sie auf fertige Melodien?

Kunze: Ich schreibe fast ausnahmslos zuerst die Texte, die ich oder ein Komponist dann vertonen, sonst fühle ich mich eingeengt.

Eickstädt: Hören Sie Ihre eigenen Platten noch? Wie gefallen Ihnen Ihre Texte von früher?

Kunze: Ich höre höchstens mal zu Studienzwecken rein, um gewisse Effekte nachzuprüfen. Am liebsten höre ich andere Musik, meistens übrigens angloamerikanische, schließlich bin ich nicht mein eigener Kunde. Aber zu meinen Texten kann ich, wenn ich die jeweiligen Zeitumstände berücksichtige, durchaus noch stehen, auch wenn ich jetzt manches anders sagen würde. Aber daran sieht man, wie man sich verändert.

Eitner: ...und älter wird. Sind die Fans eher aus der eigenen Generation?

Kunze: Man bleibt natürlich vor allem mit seiner Generation verbunden. Ich komme aus dem zahlenmäßig starken Jahrgang 1956, das ist eine gute Basis. Ich selbst höre erheblich jüngere Musik als meine Altersgenossen, und ich würde mich auch gern stilistisch weiter aus dem Fenster lehnen bei meinen eigenen Liedern. Aber da nehme ich doch Rücksicht darauf, dass sich meine Hörerschaft in meinen Titeln wiederfinden möchte. Ich gehe nach wie vor gern auf Tournee, weil ich erfahren möchte, wie sie mit meinen Liedern umgehen, wie sie reagieren. Jede Live-Tour ist auch so etwas wie der Abschluss eines Lebensabschnitts. Vom ersten Text an dauert er immer circa eineinhalb Jahre. Dann wird wieder ein neues Tor geöffnet.

Braunschweiger Zeitung, 26. August 2003

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