Cover des Albums "Wasser bis zum Hals steht mir"

2002

Kunze über sein drittes "anderes Album"

Heinz Rudolf Kunzes drittes „anderes Album" ist ganz anders geworden. Wasser bis zum Hals steht mir heißt sein literarisch-musikalisches Kontrastprogramm.

Frage: Auf der Hülle ein Kunze, der im Schwimmbad absäuft, dazu ein Titel Wasser bis zum Hals steht mir. Was sagt uns das?

HRK: Das soll nur heißen: Wenn es ernst wird, fühle ich mich am wohlsten...

Frage: Das dritte andere Album steht auf dem Stempel unten links – ist das die Warnung für den Rockflügel, der Lockruf für den literarischen Zirkel der Kunze-Fans?

HRK: Ich hoffe, dass es für alle ein Lockruf wird. Wir wollten nur keine Mogelpackung verkaufen, und es ist nun mal kein reguläres Rockalbum. Ein Literarisches ist es dann aber auch nicht geworden. Wir machen sehr viel Musik darauf...

Frage: Und zwar Dub und Ambient, Filmmusik und HipHop, ein bißchen Elektrorock à la La Düsseldorf. Ist das eine neue Kehrtwendung?

HRK: Es ist keine Richtungsentscheidung auf Dauer. Ich wollte das mal ausprobieren. La Düsseldorf und Neu! habe ich mir vor 20 Jahren gekauft, HipHop und Ambient gefällt mir einfach, und ich wartete schon lange auf einen geeigneten Kontext, das zu verarbeiten.

Frage: Die Texte sind voller Widerhaken, an einem Wort scheint sich der Sinn plötzlich in viele zu teilen, man muß schnell sein, sonst wird man beim Radiohören aus einem Stück wie der chinesischen Wasserfolter geschleudert.

HRK: (Lacht) Na, der Radiosender, der meine Wasserfolter spielt, den müssen Sie mir zeigen. Diese Stücke sind natürlich zum Wiederhören gedacht. Die harmonischen Ballungen bei Mahler und Beethoven versteht man ja auch nicht unbedingt beim ersten Mal ...

Frage: Ist das Radio denn generell Kunze-unfreundlich?

HRK: Nein, es gibt Rocksender wie Radio 21, mit denen ich viel und gern zusammen arbeite. Dem üblichen Dudelfunk, der Rocksachen wie meine außen vor lässt, gebe ich auch keine Zukunft mehr. Oder kennen Sie noch jemanden, der davon nicht genervt ist, der diese Sender vor 23 Uhr ertragen kann? Selbst die Taxifahrer, die Propheten des Gewöhnlichen, schieben sich inzwischen lieber CDs oder Musikkassetten ein ...

Frage: Wie schreibt Kunze seine ungewöhnlichen Texte – mit dem Bauch oder mit dem Kopf.

HRK: Mit beidem. Am Anfang ist es instinktiv, ein tranceartiger Zustand. Breton würde das dann so stehen lassen, weil ich aber ein ordentlicher Mensch bin, bastele, sortiere ich. Und höre schon mal auf Heiner (Lürig) und Matthias (Ulmer). Wenn die sagen, das holpert doch musikalisch, dann nehm ich auch mal was zurück.

Frage: Manche Formulierungen sind hart. Für Anbiederer fordern Sie die Todesstrafe.

HRK: Das ist natürlich überspitzt. In meinen Texten bin ich viel krasser als privat. Ich bin ein ruhiger Mensch, wer mich kennt, würde mich sogar als harmoniebedürftig bezeichnen.

Frage: In der Wasserfolter fordern sie sogar auf, gegen die Zähnefletschzombies der TV-Shows Bomben zu werfen. Der Text entstand lange vor dem 11. September, klingt aber in einer veränderten Welt merkwürdig.

HRK: Ich vertraue auf meine Hörer, von denen ich eine nicht unbeträchtlich hohe Meinung habe. Und ich lasse mir – das haben Sie jetzt provoziert – von Herrn Bin Laden nicht vorschreiben, wen ich zu hassen habe.

Frage: In Nichts ist so erbärmlich wie die Jugend von heute beschimpfen Sie dann noch die Jugend als gepiercte Spießer, laue Genießer. Die Jugend rappt in dem Song dagegen, aber mehr als laues Kunze-Dissen ist nicht drin. Womit Sie also Recht zu haben scheinen.

HRK: Wenn ich schon boxe, will ich auch gewinnen (lacht). Nein, es gibt Songs mit denen möchte ich Unrecht behalten. Wenn jemand käme und mir nachweisen würde: Beobachtungen falsch, alles anders, würd ich sagen: Prima! Und die Osnabrücker Rapper, ich hatte gehofft, es geht auf Augenhöhe mit ihnen, aber die mochten mich und wollten mich nicht so hart anpacken. Deswegen gehts gut für mich aus.

Frage: Solche Zeilen klingen nicht mehr nach dem Herzenslinken Kunze.

HRK: Ich würde mich heute nicht mehr als Linker bezeichnen, ich kann mit den Richtungsbegriffen nichts mehr anfangen und bin konservativer geworden. Ich habe ein sehr persönliches Verhältnis zu Sigmar Gabriel, bin aber auch mit Herrn Wulff befreundet. Keine Etiketten mehr, ich bin Wechselwähler, ich lasse mich nicht mehr politisch verorten.

Frage: Was halten Sie von der bedingungslosen Solidarität der Regierung mit den USA?

HRK: Ja, die Solidarität. Wir werden sehen, was es uns kostet, wie sich das Diskussionsklima verändern wird, wenn so ein Einsatz mehr bedeuten würde, als dass alle heil wiederkehren. Ob die Bevölkerung und die Parteien das noch mitmachen. Wir haben sicherlich eine Verpflichtung gegenüber den Amerikanern, aber ein unkritisches Verhältnis zu ihnen sollte es nicht geben, genausowenig übrigens wie zum Staat Israel.

Neue Presse, 4. Februar 2002

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