Heiner Lürig im Studio

2002

Im Interview: Heiner Lürig

Es ist ein winterlicher Tag, als Phil Köper und Nina Geiger (Fotos) von der Webverstärkung im Madagaskar Studio in der Wedemark eintreffen, um mit Heiner Lürig über das neue Album zu sprechen.

Wasser bis zum Hals steht mir ist das dritte "andere" Album von Heinz Rudolf Kunze, und in dieser Tradition ist es wieder ein Werk mit besonderer Betonung auf der literarischen Seite. So ist die Verstärkung für die teils ungewöhnliche, teils eingängige Begleitung wieder reduziert worden, dieses Mal auf Matthias Ulmer und Heiner Lürig.

Frage: Wie sehr seid Ihr bei so einer Produktion "freier" als bei einer reinen Studio-Musik-Platte?

Heiner Lürig: Das fängt damit an, daß man sich trifft, ohne vorher schon ein Demo zu machen. Jeder von uns hatte eine kleine Idee vorbereitet, und dann ging es los. Der Rest entsteht bei der Arbeit. Diese Art eine Platte aufzunehmen ist für uns ungewöhnlich.

Diese Platte war  für Heinz eher eine Art Therapie in dem Sinne, daß er das Studio hier als seine Spielwiese benutzt hat. Alles ist möglich – nur der Zeitrahmen, den wir uns selber gesetzt hatten, war die Grenze. Den hatten wir festgelegt, ohne zu wissen, wie viel Arbeit auf uns zukommen würde. Dabei war der Zeitdruck durchaus positiv: Idee haben, ausführen, abhaken – man kann sich am Ende die ganze Platte anhören und ist selber noch mal überrascht, ein schöner Effekt. Zum Beispiel gefiel mir, wie hoch der Musikanteil ist, der das Ganze lockerer macht, man kann sich das auch mehrfach anhören.

Frage: Wenn es also außer den Texten vorher kein Konzept gab, sind dann die Musikstücke erst während der Arbeit hier im Studio zu Musikstücken geworden?

Heiner Lürig: Es gab nur eine Idee zu dem Instrumentalstück (Eichenlaub), es gab die Klavierbegleitung zu Hallo Deutschland und das Motiv von Auszeiten. Den Rest gab es noch nicht, der entstand erst im Studio als gemeinschaftliche Produktion.

Frage: Ich finde, das hört man auch an den teils überraschenden Kompositionen, wie zum Beispiel bei der Verteidigung der Stammtische. Die war doch nicht unbedingt typisch. Manche Sachen erkennt man ja vom Stil her als langjähriger Hörer auch wieder.

Heiner Lürig: Die "Stammtische" hätten auch sehr gut auf ein reguläres Album mit Band gepaßt. Nach einem studiofreien Wochenende kam Heinz damit und sagte: "Ich habe das Stück jetzt fertig", worauf wir dann antworteten: "Schön, dann können wir es ja aufnehmen", und das haben wir dann auch gleich so gemacht. Frischer geht es nicht mehr.

Frage: Wie ist denn So lala entstanden?

Heiner Lürig: Heinz hat es gesprochen und wir haben es bearbeitet, da ist er dann auf die Idee gekommen: "Jetzt schrei ich das ganze noch mal". Danach hatte ich auch einen leichten Lachkrampf, denn irgendwie muß man das Gehörte ja abarbeiten – aber es war genial. Dann haben wir noch die Geräusche aufgenommen, und schon war das Werk fertig. Was heißt "schon", das sind dann eben die Zutaten.

Frage: Viele Stücke sind ja durchaus reich instrumentiert ...

Heiner Lürig: Ja, Matthias hat die Drums und Percussion programmiert und ich habe den Baß gespielt. Das machen ja sonst eigentlich CC und Raoul, aber da wir nur in "kleiner Besetzung" auf Tour gehen (Heinz, Matthias, Heiner) wollten, haben genau diese Musiker auch das Album eingespielt.

Frage: Also wird auf der Bühne dann einiges vom Band kommen müssen?

Heiner Lürig: "Vom Band" klingt doch sehr nach Playbackshow. Das gibt es bei uns nicht. Wir werden sehen, wie wir diese verschiedenen Stücke zu dritt auf die Bühne kriegen. Auf der Konzertbühne kann man mit ganz einfachen Mitteln viel erreichen. Es wäre durchaus denkbar, daß der eine oder andere Titel dann in späteren Tourneen auch von der ganze Band gespielt wird. Das müssen wir mal abwarten.

Frage: Wie kam es eigentlich zum Titel Wasser bis zum Hals steht mir?

Heiner Lürig: Es gab alles schon vorher: Es gab das Cover, die Grafik, es gab den Titel, es gab eine gebuchte Tournee – es gab nur noch keine Platte. Das ist zugegebenermaßen nicht der normale Weg (lacht), es ist alles anders als bei normalen Platten gewesen. Daß es Heinz gut steht, Wasser bis zum Hals zu haben, war auch für mich neu. Vielleicht hat ihn auch nur das Wortspiel in schwierigen Zeiten gereizt.

Frage: Zum Stück Jugend von heute: Wieviel habt Ihr vorgegeben und wieviel ist der Teil, den die Rapper bringen, eine echte Antwort auf Heinz' Text?

Heiner Lürig: Das haben die hier in der typische Art, wie solche Bands auch arbeiten, vor Ort entwickelt: jeder hat seinen Zettel und entwirft die Reime, die Antworten, dann gehen sie das zusammen durch. Danach haben wir das aufgenommen, immer wieder; dann singen sie ihre Zeilen wieder und wieder gegen Heinz' Gesänge oder auch alleine. Und später habe ich das dann verarbeitet und dem gegenübergestellt, was Heinz schon gesungen hatte. Sie haben also direkt auf Heinz' Vorgaben reagiert. Das ist ja auch nicht ganz einfach gewesen, schließlich bestand die Gefahr, daß sie mit der Gegenposition schlecht dastehen. Aber sie haben Positionen vertreten, die man eben haben kann: Heinz' Position ist ja eine extreme Sichtweise, und mir war es einfach wichtig, daß jemand darauf hart antwortet.

Frage: Es ist ja nun auch besonders bissig ...

Heiner Lürig: Die eigene Positionierung bleibt dem Hörer nicht erspart, das liegt dann zwischen: "unerhört" oder "genau".

Heiner Lürig im Studio

Frage: Wann kam denn die Idee, die Rapper dazuzunehmen? War das denn eine Idee, die sich ergab oder am Ende eine Überlegung wie "So etwas müssen wir auch mal machen"?

Heiner Lürig: Nein, es war von Anfang an Heinz' Idee, diesen Song so zu machen, mit einem Groove drunter und seinem von ihm als Rap gesungener Text. Später kam von mir die Idee, die Jungs von "Le 'zon" aus Osnabrück zu fragen für einen Versuch, und wenn es gut gelingt, wollten wir es verwenden.  Die vier können übrigens verdammt gut singen, ich hoffe, sie finden bald eine Möglichkeit, ihr erstes Album zu veröffentlichen.

Frage: An der Stelle eine Zwischenfrage: Als ich Heinz mal nach seinem Text Jesus Tomahawk fragte, weil es mir wichtig war, seine vielen Andeutungen zu Gott und Bibel etwas besser zu verstehen, sagte er: "Da mußt Du Heiner fragen, der wollte den Text sehr gerne vertonen. Vielleicht hat er ihn verstanden, ich selber habe es nicht".

Heiner Lürig: Ich versuche da jetzt gar nicht, irgendetwas hineinzuinterpretieren. Mich hat der Text beeindruckt. Aber ich stehe auch manchmal vor Bildern, die mich beeindrucken. Ich erwarte gar nicht von einem Text, daß ich ihn komplett verstehe. Es reicht, wenn mich der Text anspricht und mich mit seinen Worten, seinen Bildern einfach inspiriert – zu einer Musik, die dann vielleicht dazu beiträgt, daß man Text letztlich doch besser versteht. So ähnlich also wie ein abstraktes Gemälde.

Obwohl man mir das vielleicht weniger zutraut, weil ich eher die populären Schiene bediene: Mich reizen besonders solche geheimnisvollen, dunklen Themen, wie auch Richter-Skala, so etwas finde ich genial. Alleine die Wortwahl, die einiges offen läßt, wo ich nicht gleich weiß, was ist denn da gemeint: Das interessiert mich am meisten, vor allen Dingen für Musik.

Frage: Inwieweit beeinflußt der Text dann Deine Musik?

Heiner Lürig: Das beeinflußt die Musik natürlich sehr, denn wenn ich den Text nicht gelesen hätte, hätte ich ja gar keine Musik dazu geschrieben. Sicher gibt es ja auch Musiken, die ich schon habe, bevor ich einen Text lese. Aber da beeinflußt die Musik dann ihrerseits, welchen Text ich dazu auswähle.

Oft habe ich den Text vorher gelesen, und der Text gibt dann schon die Richtung vor. Ich spüre dann, wo es hingeht. Ich habe manchmal so ein Bild im Kopf, was ich am Ende erreichen will – ein Gefühl, das ich haben will, wenn ich das fertige Lied dann höre. Das bleibt mir während der ganzen Produktion dann im Kopf. Ich mache mir am Anfang ein Demo, das dem möglichst nahe kommt, und das höre ich mir dann immer wieder zwischendurch an, ob ich dran geblieben bin oder mich zu weit entfernt habe.

Frage: Genug dazu, zurück zum Album. Gibt es auf dem Album ein Lieblingsstück?

Heiner Lürig: Ja, das gibt es. Ich äußere mich sonst da ja eher zurückhaltend. Das ist zum einen Auszeiten: das haben wir wirklich gut entwickelt, von der Atmosphäre und vom Sprechen. Und zum anderen finde ich die Stimmung bei Der endgültige Ozean sehr gelungen. Ich spiele auch So lala gerne vor ...

Frage: Was war denn am schwierigsten umzusetzen?

Heiner Lürig: Am schwierigsten, das wird Matthias sicher gerne bestätigen, war Alte Filme. Er hat da sehr lange dran gearbeitet. Uns kam die spontane Idee: "Mach doch einfach mal so eine Musik, die immer passend zu dem ist, was Heinz da gerade sagt!" Wie eine Filmmusik zu Heinz' Worten, ganz einfach. So sahen wir ihn dann tagelang unter seinem Kopfhörer, während wir irgendwelche anderen Sachen machten, und man hörte immer nur seine Tasten klappern. Bis er die ganze Filmmusik dann fertig programmiert hatte, verging eine ganze Weile. Insofern gut, daß das Stück nur 1:48 lang ist, sonst säßen wir wohl heute noch an der Partitur.

Ansonsten war es wirklich schwierig, jeden Tag ein Ende zu finden, es kamen so viele Ideen zusammen, und die Arbeit ging gut von der Hand. Teilweise zog es sich bis nachts um zwei oder noch länger hin [nachts um halb drei, Red.]; eigentlich gar nicht mein Stil, da ich sonst auch gerne den Abend beim Italiener bei einem guten Essen beende ...

Frage: Heiner, Vielen Dank für das Interview!

 

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