Heinz Rudolf Kunze in Concert

2001

Am liebsten live: Heinz Rudolf Kunze spielt vor Hundertausenden und hat gerade sein 21. Album Halt veröffentlicht.

Von Rock'n'Roll bis "Madam Butterfly"

Er feilt an Texten mit Tiefgang und schreibt Gedichte: Heinz Rudolf Kunze ist ein "poetisch korrekter Sänger"

Zwischen zwei Interviews nascht er dunkle Mohrenköpfe. Zur Begrüßung mit Handschlag deutet er einen Diener an. Während des Gesprächs genehmigt er sich hin und wieder eine Prise Schnupftabak. Doch das sind nicht die einzigen Attitüden, mit denen Heinz Rudolf Kunze überrascht. Dem Klischee eines Berufsmusikers, der in die Schublade Sex, Drugs & Rock'n'Roll paßt, arbeitet der 44-Jährige in jeder Hinsicht kräftig entgegen: Gemeinsam mit seiner Frau und zwei Kindern lebt der gebürtige Westfale in der Nähe von Hannover auf dem Land, liest sich ganze Nächte quer durch die Weltliteratur und schreibt leidenschaftlich gerne Gedichte, die bereits in fünf Lyrikbänden erschienen sind.

"Einziger deutscher Rock-Intellektueller" – so lautet folgerichtig das Prädikat, das das Magazin "Musikexpress" Heinz Rudolf Kunze verpaßte. Interessanterweise wollte HRK – so die branchenübliche Abkürzung seines Namens – nämlich ursprünglich Lehrer werden und studierte Germanistik sowie Philosophie. Außerdem legt er größten Wert auf Texte mit Tiefgang, an denen er ausgiebig feilt: "Ich bewundere Autoren wie Thomas Mann, die sich täglich zu festen Zeiten an den Schreibtisch setzen und danach Feierabend hatten." Wenn ihn persönlich ein Thema packe, schreibe er hingegen endlos – zum Leidwesen seiner Familie, die in solchen Fällen auf Tauchstation gehen müsse. Auch in der Nacht liege immer ein Notizbuch neben dem Bett. Sogar unter der Dusche müsse er seine Gedanken loswerden. "Da habe ich die besten Einfälle." Zusätzlich vergräbt sich Kunze dann noch stundenlang im hauseigenen Kellerstudio, um die passenden Melodien zu seinen Liedern zu komponieren.

Resultat seines Arbeitseifers ist eine stolze Serie von Alben. Vom Beginn seiner Karriere, die 1980 mit einem Erstlingserfolg beim Pop-Nachwuchsfestivsal in Würzburg begann und 1985 mit dem Erscheinen des Erfolgsongs Dein ist mein ganzes Herz ihren vorläufigen Gipfel erreichte. Bis heute sind es genau 21 an der Zahl: akustische Tagebücher, die die Klangtrends des jeweiligen Jahres von Hardrock über die Neue Deutsche Welle bis zu Pop sowie soften Balladen spiegeln und zusätzlich Stellung beziehen zu aktuellen Themen, im Fall der gerade bei wea music erschienenen CD Halt beispielsweise in Sachen Fremdenfeindlichkeit oder Talkshow-Exhibitionismus.

Selbst wenn Heinz Rudolf Kunze dabei ausgefallene Wortspiele verwendet und neue Metaphern knüpft – ernsthafte Verständigungsprobleme können nicht aufkommen. Denn gesungen wurde und wird dauerhaft auf Deutsch. "Ich finde es pervers, meine Gedanken in einer anderen Sprache zu maskieren. " Experimente mit Englisch erlaubt er sich nur in umgekehrter Richtung: als Übersetzer von Musicals. Heinz Rudolf Kunze erinnert sich an die Anfänge: "Ende der 80er Jahre fragte mich mein Freund Marek Lieberberg, ob ich Les Misérables ins Deutsche übertragen wolle. Erst war ich skeptisch, hatte dann aber viel Spaß daran, daß ich weitergemacht habe." Auch Besucher von Miss Saigon, Joseph und Rent sind so bereits indirekt mit Kunzes Künsten in Berührung gekommen, die auf der Bühne besonders gut zur Geltung kommen.

Live ist der Liedermacher, der im Lauf seines Lebens eine unüberschaubare Zahl an Literatur- und Musikpreisen gesammelt hat, besonders beliebt. Allein letztes Jahr wurden seine Konzert von über 100.000 Fans besucht, die zum größten Teil Frauen sind. Im Gegensatz zu US-Stars, die sich von Bodyguards abschirmen lassen, genießt Kunze den direkten Draht zum Publikum: "Das ist der Lohn für die Qualen im Studio!" Auch im Frühjahr 2001 wird sich der Liedermacher wieder entsprechend ausleben: Von Mitte April bis Mitte Mai ist eine Tour geplant, bei der Altbekanntes sowie Auszüge aus seiner neuesten Platte zu hören sein werden – Best-of eines "poetisch korrekten Sängers", wie sich Kunze selbst nennt.

Antoinette Schmelter de Escobar, Diners Club Magazin, April 2001

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