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2001

Musik nonstop

HALT heißt das 21. Werk von Heinz Rudolf Kunze. Im Blind Date tritt der Pop-Veteran auch für seine Kollegen auf die Bremse.

Neil Young – Sample And Hold

Ein eleganter Versuch, mich hereinzulegen. Aber wenn man einen Künstler sehr genau kennt, erkennt man auch die Sachen, die nicht typisch für sein Werk sind. Das hier klingt eher nach Joy Division oder Kraftwerk. Young hat mal eine Erklärung abgegeben, warum er seine Stimme so entfremdet hat. Er hat mehrere behinderte Kinder und wollte nachvollziehen, wie es ist, wenn man sich mit seiner Stimme nicht richtig ausdrücken kann, sozusagen durch ein Handicap hindurch sprechen muß. Ich glaube nicht, daß ihm das liegt.

Blumfeld – Tausend Tränen tief

Dieses Lied hat mich mal in einem Hotel in Jena zutiefst getröstet. Ich war Mitglied einer Jury und mußte mir einen Tag lang Thüringer Nachwuchsbands anhören. Das alleine klingt ja schon wie Loriot. Und dann lief nachts dieses Lied im Hotel. Da ging dann irgendwie die Sonne auf. Ich bin immer großer Anhänger von Blumfeld gewesen. Es ist kein Zufall, daß Chris von Rautenkranz jetzt bei meiner neuen Platte als Produzent reingeschaut hat. Seine Arbeit imponiert mir.

Andrew Lloyd Webber – "Maskenball" aus "Das Phantom der Oper"

Es spielt wahrscheinlich auf meine Musical-Tätigkeit als Übersetzer an. Es muß irgendein Musical sein. Es ist das "Phantom der Oper"? Das verwundert mich. Denn ich habe das Drehbuch davon aufmerksam lesen müssen, weil Peter Hofmann, der das Phantom in Hamburg gesungen hat, die Erstübersetzung von meinem Namensvetter und Förderer Michael Kunze nicht gemocht hat. Und ich sollte hinter dessen Rücken eine andere machen. Aber ich habe ihn sofort angerufen und gesagt: "Hier läuft 'ne Sauerei". Seitdem habe ich einen bei ihm gut. Ich würde auch ein fünftes Musical übersetzen. Es macht Spaß, und ich habe handwerklich eine Menge dabei gelernt – abgesehen davon, daß es brillant bezahlt wird. Was singt der? "Die Sonne scheint dir aus den Augen"?

Rammstein – Sonne

Ich dachte, die Sonne scheint aus dem Arsch! Ist es Rammstein? Der wilde Rammstein-Sänger, diese Bestie, diese deutsche Marilyn-Manson-Figur ist, wenn man ihn hinter der Bühne kennen lernt, ein ganz sanfter Mann, der dir erzählt: "Bevor ich Musiker wurde, war ich Korbflechter in Schwerin." Und ich glaube, er hat mich nicht angelogen. Ich habe mich von ihrer Liveshow sehr unterhalten gefühlt. Den Verdacht, den die Presse hegt, daß sie nazistisch flirten, finde ich geradezu lächerlich. Für mich sind ihre Konzerte wunderbares, aggressives Vorkriegskabarett.

Sigur Rós – Svenf-G-Englar

Es kann nur Radiohead sein. Das ist die einzige Band, die so etwas kann, seit der frühen Phase von Pink Floyd. Und es ist mit weitem Abstand die beste Platte des letzten Jahres. Eine unheimlich mutige Platte ... Bitte? Das sind nicht Radiohead? Jetzt bin ich platt! Laß bitte laufen. Das ist tierisch! Ist das die isländische Band Sigur Rós? Das ist so Thom-Yorke-artig. Die Wirkungsgeschichte von Pink Floyd zu verfolgen ist sehr interessant. Johnny Rotten hat damals seinen Job bei den Pistols bekommen, weil er ein T-Shirt trug mit der Aufschrift "I hate Pink Floyd". Aber heutzutage beziehen sich wieder sehr viele junge Künstler auf die frühen Pink Floyd. Erfreulich.

Queens Of The Stone Age – Feel Good Hit Of The Summer

Es klingt für mich nach einer dieser neuen amerikanischen Gitarrenbands wie Queens Of The Stone Age oder At The Drive-In. Geil. So etwas darf bitte nie aufhören. So etwas muß es immer geben.

Kante – Die Summe der einzelnen Teile

Gefällt mir gut. Weil er so monoton singt, wenig Töne benutzt, dachte ich im ersten Moment, das wäre Ralf Hütter von Kraftwerk, aber er ist es natürlich nicht. Es sind auch nicht Die Sterne, oder? Vielleicht Die Regierung? Ich kenn es nicht. Aber mir gefallen grundsätzlich Zeilen wie "Mehr als die Summe der einzelnen Teile". Denn das ist immer noch eine ungewöhnliche Formulierung, die kaum einer benutzen würde. Außer mir vielleicht.

Ayman – Dieser Brief

Das ist Ayman. Ich bin ja in die Jury des Fred-Jay-Preises gewählt worden. Das ist ein Preis für deutsche Texter, der seit den Achtzigern von der Gema vergeben wird. Im letzten Jahr habe ich ihn bekommen. Ayman ist unser diesjähriger Preisträger. Ich finde, daß neben Naidoo noch mehr Platz ist für schwarze deutsche Stimmen ist. Das hier ist wirklich nicht Schlager, sondern Pop-Musik auf einem hohen Niveau.

Deichkind feat. Bintia – Weit weg

Ich kenn's zwar nicht, habe mit HipHop aber überhaupt kein Problem. Ich habe deutschen Rap und HipHop schon in den achtziger Jahren, als es das noch gar nicht gab, vorausgesagt und bin stolz, daß meine Prophezeiung eingetroffen ist. Die deutsche Sprache ist nicht so melodisch wie Englisch, Französisch oder Italienisch und eignet sich wegen ihrer inneren Rhythmik sehr gut dafür, gesprochen zu werden. Ich hab 1983 versucht, das mit Songs wie Sicherheitsdienst und Pornos vorwegzunehmen. Letzten Endes wird Sprechen den Gesang aber niemals ersetzen können.

Chet Baker – My Funny Valentine

Oh, ist das schön! Diese Stimme klingt wie das Tenorsaxofon von Coleman Hawkins. Ich höre sehr viel Jazz zu Hause als Gegengift zur Rock-Musik. Diese Version ist von Chet Baker? Ich kenne andere Platten von ihm, da hat er schon eine sehr brüchige, kranke und todgeweihte Stimme. Daß er mal so einen runden Ton hatte, wußte ich nicht. Ich könnte stundenlang zuhören. Eigentlich können wir alle unsere Löffel abgeben. Jazz war doch besser.

Katja Schwemmers, WOM Journal, Februar 2001

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