Artikelfoto

2001

Hüsch mit E-Gitarre

Heinz Rudolf Kunze will junge Rechte zur Begegnung mit Fremden zwingen: «Wenn man die Gastfreundschaft anderer Völker erlebt, kann man keinen mehr verhauen»

Auch nach mehr als zwanzig Jahren im Musikgeschäft geht es Heinz Rudolf Kunze immer noch darum, mit seiner Musik unterhaltende Denkanstöße zu vermitteln, wie auch jetzt auf dem neuen Album Halt, das er gestern erstmals live bei einem «Unplugged Showcase» im Prenzelberger Prater präsentierte und das er auf großer Tournee im April und Mai in den Konzerthallen der Republik vorstellt. Am 8. Mai kommt er in die Columbiahalle.

Berliner Morgenpost: Herr Kunze, gibt es Dinge, von denen Sie sagen können: typisch Kunze?

Heinz Rudolf Kunze: Eine gewisse Eigensinnigkeit in der Wortwahl und in der Herangehensweise an Musik. Auch ein gewisser Trotz: Man kann mich nicht unterkriegen, ich bin seit 20 Jahren in der zweiten Reihe. Ich habe ein Publikum und kann arbeiten. Ich möchte letzten Endes lieber Hans Dieter Hüsch sein als Michael Jackson. Ich möchte gern ein Hüsch mit E-Gitarre sein und auch so alt werden.

Berliner Morgenpost: Der Titelsong beschäftigt sich mit dem Thema Fremdenhaß und Rechtsradikalität. Sie singen: «Fäuste statt Verstand, die ergreifen keine ausgestreckte Hand». Für wen haben Sie dann dieses Lied geschrieben?

Heinz Rudolf Kunze: Ich sage gern mal das Gegenteil von dem, was ich meine. Ich wünsche mir, daß auch die Skins das Lied hören und zu dem Schluß kommen: Tun wir doch! Ich bin der Meinung, daß man locker neunzig Prozent dieser jungen Rechtsradikalen ins normale Leben zurückholen kann, wenn man ihnen Angebote macht. Das klingt jetzt sehr weltfremd, gebe ich zu.

Berliner Morgenpost: Welche Ideen haben Sie, um diese Jugendlichen zurückzuholen?

Heinz Rudolf Kunze: Ein sinnvolles Projekt wäre es, junge Rechte staatlicherseits zu konkreten Begegnungen mit Fremden zu zwingen. Man müßte die mal nach Portugal, nach Süditalien, in die Türkei, nach Griechenland schicken und dort mit Menschen konfrontieren. Wenn man einmal die unglaubliche Gastfreundschaft anderer Völker erlebt hat, kann man keinen mehr verhauen.

Berliner Morgenpost: Ein weiterer Schlüsselsong des Albums ist Talk Show Schmutz.

Heinz Rudolf Kunze: Es geht um diese normalen, schmutzigen Nachmittags-Talkshows. Es ist wohl ein Phänomen eines gottlosen, atheistischen Zeitalters, daß die Menschen eine öffentliche Beichte brauchen. Sie wollen irgendwas bekennen und hoffen, daß bei den Millionen Zuschauern jemand dabei ist, der sie versteht. Das empfinde ich als Religionsersatz. Sicher spielt auch eine ganz primitive normale Eitelkeit eine Rolle.

Berliner Morgenpost: Sie sind seit mehr als 20 Jahren Profi. Wie beurteilen Sie die Veränderungen im Musikgeschäft?

Heinz Rudolf Kunze: Es wird kälter und rauer. Diejenigen, die übrig bleiben, müssen näher zusammenrücken. Ich habe mal lange mit Marius Müller-Westernhagen geredet und der sagte: Wenn wir beide heute anfangen würden, würden wir keinen Vertrag kriegen.

Berliner Morgenpost: Glauben Sie, daß die so genannten Neuen Medien einschneidende Auswirkungen auf das Musikgeschäft haben?

Heinz Rudolf Kunze: Ja, sicherlich. Internet ist etwas, was wir erst zu ahnen beginnen. Meine Kinder gehen damit völlig selbstverständlich um. Für mich ist das sehr schwierig. Und die verantwortlichen Leute in den Plattenfirmen sind so alt wie ich oder älter. Für meine Generation ist das kompliziert.

Berliner Morgenpost: Plattenfirmen klagen laut über die Raubkopien per Internet. Wie sehen Sie dieses Problem?

Heinz Rudolf Kunze: Da gibt es eine technologische Dimension, die juristisch bisher nicht aufgearbeitet ist. Natürlich wird alles, was machbar ist, auch gemacht. Und natürlich ist es Unrecht. Wenn ich Musik erzeuge, kann es nicht fair sein, daß sie unentgeltlich abgerufen wird. Ich bin der Meinung, daß schnellstens ein Weg gefunden werden muß, daß Urheberrechte wieder gesichert sind. Sonst haben wir einen Zustand wie vor 250 Jahren mit dem Buchdruck, als auch Goethe erleben mußte, daß er ständig mit Raubdrucken konfrontiert wurde. Ich finde es sehr zynisch und gemein von bestimmten Kollegen, die sich bei den Leuten anbiedern und sagen: Ruft doch meine Platten frei ab. Ich bin sicher, daß gerade die Kollegen, die das öffentlich sagen, die teuersten Anwälte der Welt beschäftigen, um das zu verhindern.

Holger Erdmann, Berliner Morgenpost, 24. Januar 2001

Copyright & Datenschutz Heinz Rudolf Kunze Top