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1996

Mit Fast-Glatze und Fledermaus-Sonnenbrille: Heinz Rudolf Kunze bei seinem ausverkauften Gastspiel im Tempodrom im Tiergarten.

Heinz gibt sich nach oben hin ganz offen

Kunze überzeugt mit neuer Band in Berlin

Er liebt Kontraste. Er provorziert gern mit Worten. Er ist ein Poet, der seine Muttersprache schätzt. Er ist ein Dichter, der Realitäten wortgewandt auf den Kopf stellt und zum Mitdenken zwingt. Und er ist ein gnadenloser Rock-'n'-Roller. Im Rahmen seiner "Nach oben offenen Tour '96" stellte Heinz Rudolf Kunze jetzt im ausverkauften Tempodrom nicht nur seine neue CD Richter-Skala, sondern auch seine fast komplett neue Band vor.

Der so vielseitige wie vielbeschäftigte Komponist, Texter, Buchautor und Musical-Übersetzer (Les Miserables, Miss Saigon), hat sich bis auf Gitarrist Heiner Lürig von seinen langjährigen Mitmusikern getrennt und nach neuer Verstärkung gesucht.Die ist so international wie seine Musik. Peter Hammills Keyborder und Geigenspieler Stuart Gordon aus dem englischen Bristol gehört jetzt zur Gruppe, Ex-Westernhagen-Bassist Raoul Walton ist dabei sowie Schlagzeuger CC Behrens (Ex-Fair-Warning).

Diese Neubesetzung nach einer Trennung nicht ohne Blessuren kommt einer Frischzellenkur für Kunzes so vielseitige und aus vielen Quellen schöpfende Musik gleich. Der Sound ist homogen, erdig und bekommt besonders durch Gordons Geigenspiel seine neue, besondere Note. Von ist A Beautyfull Day bis Cure, von The Flock bis King Crimson, von den Beatles bis zu den Red Hot Chili Peppers reicht die musikalische Assotioationskette, die sich unwillkürlich aufdrängt.

Und doch schafft es Heinz Rudolf Kunze, aus seinen musikalischen Vorlieben ein höchst eigenwilliges Klangbild zu schaffen. Wie es überhaupt könnerhaft meistert, seine keineswegs immer einfachen Texte in ein ohrengefälliges Gewand zu packen. Kunze 1996 ist noch rockiger geworden. Krachende, perlende, kantige Gitarrenriffs dominieren phonstark das Geschehen, und eine prächtig ausgesteuerte Soundanlage sorgt dafür, daß man selbst in der hintersten Ecke noch jedes Wort versteht, auch wenn sich manchmal trotzdem manch einer fragt: ja, wie meint er das denn jetzt? Die kleinen grauen Zellen bekommen in einem Kunze-Konzert noch immer jede Menge zu tun bei seinen Aphorismen und Apercus, seinen verbalen Seitenhieben und Sturzflügen, seinen satirischen Spitzen und bizarren Pointen.

Doch fährt die Musik auch gehörig ins Tanzbein und bringt das Tempodrom schnell in ausgelassene Bewegung. Die neuen Songs, ob das bitterböse und hart rockende Möchtegern-Opfer, bilderreiche Ballade Bis zum zwölften Niemalstag, das freche Halt's Maul oder das ironisch poppige Liebeslied Brigitte passen sich ein in die treibende Song-Revue, die nach mehr als zwei Stunden mit Wenn Du nicht wiederkommst ihr gefeiertes Finale findet.

Anstelle von Zugabe-Rufen sang das ganze Tempodrom immer und immer wieder lautstark diese eine Refrainzeile. Und natürlich kam er wieder, und nicht nur für eine Zugabe. Der Jubel war dankbar und frenetisch.

Peter E. Müller, Berliner Morgenpost, Mai 1996

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