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1991

So grell und bunt wie nie zuvor...

Sein Herz schlägt für Live-Musik - Heinz Rudolf Kunze am 26. April in Saarbrücken

Schon der erste Blick auf Heinz Rudolf Kunzes Plattenhülle überrascht: Der optisch sonst eher bieder und geradlinig wirkende Kunze präsentiert sich auf dem Cover, als sei er gerade einem poppigen Modejournal entstiegen. Die grelltoupierte Wave-Frisur, das karierte pastellfarbene Jacket und die knallbunte Krawatte nehmen dem Poeten jene steife Ernsthaftigkeit, die ihm in der Vergangenheit allzuoft von Kritikern vorgeworfen wurde. Wie kommt es zu diesem Sinneswandel? Läßt er jetzt nach sovielen Jahren sein altes Ego raushängen?

"Das Bild existierte schon vor der Veröffentlichung der letzten Platte. Die Band meinte jedoch, es passe nicht so zum Inhalt. Ich war enttäuscht und wütend und sagte: Nächstes Mal werde ich eine Platte abliefern, die zu diesem Bild paßt. Was mir an dem Bild so gut gefällt, ist, daß ich zwar nicht so in der Öffentlichkeit herumlaufe, es aber trotzdem so eine Art Charakterbild darstellt."

Das Cover steht tatsächlich in einem sehr engem Bezug zu Kunzes neuem Album Brille. Rein musikalisch gesehen ist die 11. LP seine bisher grellste und bunteste. Kunze und seine Band spannen einen breiten Bogen zwischen dem rockigen Opener Die Verschwörung der Idioten - "so etwas wird in Deutschland diesseits der Toten Hosen nur selten gemacht" - country-angehauchten Balladen, klassisch-chansonhaftem wie Der alte Herr und Folk Der Abend vor dem Morgen danach... Alle Lieder entstanden nahezu live im Studio, mit einem hohen Maß an Ursprünglichkeit.

Im Gegensatz zu Kollegen wie Lindenberg... verabscheut Kunze plakative, direkte Beschreibungen. "Ich finde diese Methode, daß sofort jeder alles verstehen muß, unerträglich." Seine lyrischen Assoziationen, vertonten Träume Tausendschön und der Drang, Realitäten beim Namen zu nennen Alles gelogen, sprechen jedoch auch ein ganz anderes Publikum an. Sie zeigen, daß bei Kunze auch nach mehr als zehn Jahren von Ermüdungserscheinungen keine Rede sein kann.

Im stark autobiographisch eingefärbten Titellied verarbeitet der Künstler seine - von frühester Kindheit an - falsch verstandene Identität. Momentaufnahmen aus dem Muff der 50er und 60er Jahre, in denen unerfüllte Kleinbürgerträume der Erwachsenen auf ihre Kinder projiziert wurden. "Meine Eltern sind heute noch entsetzt, wenn sie mich zu meiner Kindheit befragen und ich ihnen darauf antworte, daß meine Erinnerungen überwiegend schrecklicher Art sind. Erst mein Einstieg in die Rockmusik war für mich der Einstieg in die Menschheit."

Trotz der bitteren Erfahrungen verwundert der globale Rundumschlag gegenüber seinen ehemaligen Mitschülern, im selben Lied. Ist es nicht anmaßend, diese Leute aus heutiger Sicht als "scheintot" zu bezeichnen?

"Das Lied ist eine späte Rache an denen, die mich früher immer so geschnitten haben", erklärt Kunze. "Ich treffe immer wieder Mitschüler von damals und höre ihre Lamentos, solche, die (wie ich einst) Lehrer wurden und jetzt sehr frustriert sind, zum Beispiel wegen der Apathie der Schüler. Ich bin heilfroh, aus dem erlernten Beruf herausgekommen zu sein, um nicht wie sie sagen zu müssen: Ich wollte, ich wäre schon 65!"

Die Aufnahmen für das neue Album belegen, daß Kunzes Herz für die Live- Musik schlägt Das möchte er nach der überaus erfolgreichen Gute Unterhaltung-Tour ein weiteres Mal unter Beweis stellen. Am 26. April hat er dazu in der Saarbrücker Eissporthalle Gelegenheit.

Nach der Tour wird er seine Zeit dann wieder dem Schreiben widmen. Auf einen Roman oder gar ein philosophisches Werk müssen wir zwar noch etwas länger warten, für 1992 hat Kunze allerdings bereits einen neuen Lyrikband angekündigt.

Eric Rauch/Dietmar Lüning, Saarbrücker Zeitung, 7. März 1991

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