Artikelfoto (Foto von R. Drexler)

1988

"Der Mann wird die nächsten zwei Monate fast ständig auf Tour sein. Kreuz und quer durch die Republik. Körperlicher Streß für einen Kopfarbeiter."

Der Rockpoet Heinz Rudolf Kunze auf Tour

Dieser Mann hat Charakter. Wie er da vor den mehr als 100 000 Fans auf der Bühne steht und sie begrüßt. Ganz in rotem Leder, mit flippiger Brille. Nicht Elton John steht da im gleißenden Licht der Scheinwerfer, sondern der Literat der deutschen Rockmusik. Kunze gibt den Zuhörern vor der Ostberliner Bühne viele legendäre Versatzstücke mit auf den Weg und so mancher wird sagen: "Ein tolles Konzert, dieser Mann macht Musik, die Geschichte macht." Und die von der Vergangenheit profitiert. Kunze bekennt sich zu seiner Leidenschaft für Musik.

Ausgelassen kann er das Konzert seiner derzeitigen Lieblingsband, der Georgia Satellites, in der Hamburger Markthalle genießen, ungestört kann er sich den ruhigen Tönen von Brian Eno hingeben und sie einsaugen. Kunze zeigt sich aufnahmefähig für die Highlights der Musikgeschichte und setzt sie für sich um. Er konserviert in seinen Songs die Gitarrenriffs von Keith Richards und die Chöre der Beatles, den Baß der Who, kurz bevor die Gitarre am Bühnenboden ihr Leben aushaucht, und den Artrock von Genesis. Alles ist schon dagewesen und nur Narren wollen die Musik neu erfinden. Kunze erschließt seine Songs über die Erfahrung anderer. Das neue Album Einer für alle ist zweifellos die bislang gelungenste Synthese aus dem, was man, so abfällig oft, Kommerz nennt und einer recht eigenbrötlerischen krummen Art. Er ist vielleicht der einzige deutsche Künstler, dem die Gratwanderung auf den Leib geschneidert ist. Er hat die Stimme, um all die Klippen der Songs zu meistern und er ist er selbst. Immer. Auf der Bühne und dahinter.

Kein anderer verbindet Bildung und Trivialität wie er. Da zitiert er unter dem Text zu Amok den Philosophen Adorno und singt gleich darauf wieder von schnöder Liebe.

Heinz Rudolf Kunze und Verstärkung auf der Bühne zu erleben ist wie ein Bildungsurlaub in der New Yorker Bronx. Kraftvoll und energisch legen sich Kunze und seine Band in die Songs, wild und entschlossen liefert er die Zeilen, die aus einem Lyrikband stammen können, es vielleicht ja auch sind.

Das Cover der neuen LP spricht Bände. Auch da wird Kunze den Widersprüchen in seiner Person gerecht. Der sensible Mensch als rationaler Geschäftsmann. Einer für alle. Ihm kann man das glauben.

Ihn nicht einmal gesehen zu haben, ist wie nie an einer Zitrone gelutscht zu haben. Sauer, aber gesund. Erfrischend und einzigartig. Heinz Rudolf Kunze ist eine Ausnahmeerscheinung auf deutschen Bühnen. Er muß nicht englisch singen, um Worten den richtigen Klang geben zu können. Er bleibt sich treu und läßt seine Zuhörer verstehen, was er zu sagen hat. Und das ist eine Menge.

Hingehen und Zuhören! An Gelegenheiten mangelt es in den nächsten Wochen nicht. (Die genauen Daten stehen auf den Hit The Road Seiten.)

T.W., Music Live – Das Concert Magazin, Oktober 1988

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